Kapitel 4
Verknotung – Methodik subjektwissenschaftlicher Forschung

Einleitend

Aufgabe dieses Kapitels ist es, das Verhältnis der bisherigen Stränge der Arbeit zu bestimmen. Die Perspektive dieser Bestimmung ist dabei die Gewinnung einer Methodik für die weitere Arbeit. Aus methodologischer Perspektive werden die Grundüberlegungen der letzten drei Kapitel rekapituliert. Als Verschränkung der Stränge soll am Ende dieses Kapitels deutlich sein, was subjektwissenschaftliche Methodik auszeichnet. Begründungsdiskurs, Bedeutungskonzept und restriktive Handlungsfähigkeit sind die zentralen Kategorien der vorangehenden Kapitel. In dieser Reihenfolge werde ich sie vergegenwärtigen und in ihnen liegende methodologische Implikationen aufsuchen. Ob es gelingt, sie in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen, sie als Momente einer Methodik zu begreifen, wird der letzte Teil dieses Kapitels zeigen.

Die zentrale Kategorie zur Gewinnung der Methodik ist Subjektwissenschaft. Demzufolge tritt die psychologische Dimension in diesem Kapitel am klarsten in den Vordergrund. Gleichzeitig muß im Ergebnis der spezifische Ort ‘Designentscheidung im Software-Entwicklungsprozeß’ präzise benannt werden können. Im Ergebnis wird sich zeigen, daß der Gegenstand (Designentscheidung) einer subjektwissenschaftlichen Untersuchung nicht eine austauschbare Leerstelle ist, sondern zum zentralen Bestimmungsgrund der konkreten, materialen Untersuchung wird. Somit liegt die Perspektive der Arbeit dann in der Präzisierung des Gegenstandes.

Begründungen, Bedeutungen und Handlungsfähigkeit

Begründungsdiskurs. Der zentrale Gedanke des ersten Kapitels war, daß menschliches Handeln nicht als ‘durch Umstände bedingt’ gefaßt werden kann. Jedes Modell, welches versucht den Zusammenhang ‘Umstände, Bedingungen –> Verhalten’ zu extrahieren, unterschreitet damit notwendig menschliche Subjektivität. Alternativ wurde im ersten Kapitel das Modell des begründeten Handelns entwickelt. Menschliches Handeln ist nicht frei – im Sinne von ‘freischwebend’ –, sondern immer ‘unter den Umständen begründet’. Gründe sind immer erster Person: ‘meine Gründe’, genauer: ‘je meine Gründe’ [1]. Dieser Sachverhalt läßt sich auch methodisch nicht unterlaufen. Sobald ich ‘über den Kopf des Subjekts hinweg’ versuche sein Verhalten zu erkennen, Hypothesen über Zusammenhänge formuliere und in der Beobachtung bestätige oder scheitern lasse, verlasse ich ein intersubjektives Verhältnis und reduziere – im Rahmen des Bedingtheitsmodells – den oder die Beforschte auf ein Versuchsobjekt aus der Perspektive des außen stehenden Beobachters, des klassischen Forschers. "Subjektwissenschaftliche Kategorien, Theorien, Methoden sind nicht Theorien und Methoden etc. über die Betroffenen, sondern für die Betroffenen." (GdP, 543f) Methodisch kann es im Forschungsprozeß somit nur um Selbstaufklärung gehen: Selbstaufklärung von Forschenden und Betroffenen. Die Schranke zwischen ihnen wird zu einer relativen, unterschiedliche Subjekte mit unterschiedlichen Sichten. Intersubjektivität wird zum Modus der Forschung, in der Kommunikation zwischen Forschenden und Betroffenen findet ‘Forschung’ statt. Die Subjektivität der Forschenden, traditionell in den Raum eines Außen gebannt, einer Gottesperspektive gleich, wird somit zur Grundlage der Forschung selbst. Nur weil die Forschende ein Subjekt ist und der Betroffene ebenso, haben sie die Möglichkeit allgemeine Momente je ihrer Subjektivität herauszuheben und sich gegenseitig zu verstehen. Die hier gefundene Ebene der Forschung darf im weiteren nicht verlassen werden.

Aus der Tatsache, daß Subjektivität ihr Medium im Begründungsdiskurs hat, läßt sich für die Untersuchung etwas folgern. Die Betrachtung dessen, was eine Begründung ist, kann eine – zunächst formale – Struktur liefern, die die Ansatzpunkte der weiteren Diskussion sortiert. Holzkamp analysiert sie folgendermaßen: "Ein ‘Begründungsmuster’ (…) hätte demnach folgende Form: Bedingungen/Bedeutungen –> Handlungsprämissen –> intentionale Zwischenglieder –> Handlungsvorsatz –> Handlung. Der eigentliche Begründungszusammenhang besteht dabei in der Beziehung Handlungsprämissen –> intentionale Zwischenglieder –> Handlungsvorsatz." (Holzkamp 1993, 35f) Die Begründung besteht im Begründungszusammenhang. Hier findet sich die eigene Logik des Subjekts. Es vermittelt in seiner Weltsicht, aufgrund seiner Interessen Prämissen und Handlungsvorsätze [2]. Der Begriff ‘Begründungsmuster’ (BGM) umgreift diesen Zusammenhang, indem er ihn in Welt einläßt. Prämissen sind die Welt aus der Sicht des Subjekts – die Bedingungen und Bedeutungen kommen ins Spiel. Prämissen sind je meine Umstände, unter denen je mein Handeln begründet ist. Die Handlung selbst ist der Vollzug der Handlungsintention: je ich greife in das Weltgeschehen ein. An dieser, alle Begründungen umgreifenden, formalen Struktur lassen sich im weiteren die verschiedenen Momente spezifizieren.

Bedeutungskonzept. Kapitel zwei untersuchte die Bausteine des Begründungsdiskurses. Denken, Begründen vollzieht sich in Bedeutungen. Diese sind nicht in erster Linie Abbilder einer Realität, ähnlich einer Fotografie, sondern Handlungsmöglichkeiten. Verstehen heißt in dieser Hinsicht: Handlungsmöglichkeiten sehen. Durch Bedeutungen/Handlungsmöglichkeiten sind individuelle und gesellschaftliche Reproduktion verschränkt. Damit ist im BGM der Zusammenhang zwischen Bedingungen/Bedeutungen und Prämissen angesprochen. Prämissen können in Richtung einer Analyse der Bedingungen/ Bedeutungen aufgeklärt werden. Die "… angesprochenen Lebensbedingungen (Institutionen, Arbeitsplätze, Familie, Medien, besondere ‘Umgebungen’, künstlerische Exponate und alles erdenkliche andere) sind als realhistorische Konkretisierungen formations-, lage- und positionsspezifischer Bedeutungskonstellationen einschließlich ihrer gesamtgesellschaftlichen Verweisungen auf das darin liegende ‘typische’ Verhältnis von Handlungs-/Verfügungsmöglichkeiten und deren Einschränkung/Mystifizierung hin zu analysieren." (GdP, 552) Die Arbeit kann ‘vor Ort’, psychologisch nicht geleistet werden. "Handlungsbehinderungen in ihrem widersprüchlichen Verhältnis zueinander und gemäß der Lebenslage der Betroffenen in der Klassenschichtung der Gesellschaft herauszuarbeiten; dazu ist man allgemein auf vorgängige gesellschaftstheoretische Analysen angewiesen; es geht bei diesem Schritt in einem Wort darum, gesellschaftsbezogene Sachverhalte psychologisch zu konkretisieren." (Markard 1987, 67) Dieser Schritt wird in der Kritischen Psychologie als Bedingungs-Bedeutungs-Analyse bezeichnet. Die Schlußfolgerungen aus Kapitel eins – Intersubjektivität von Forschenden und Mitforschenden /Betroffenen – verhindern, daß das BGM quasi von oben nach unten deduziert wird. D.h. ausgehend von der Analyse gesellschaftlicher Widersprüche und Bewegungsformen, komme ich nicht beim Individuum an. Subjektivität ist prinzipiell nicht ableitbar. Die sich ergebende Frage, wie denn die Bedingungs-Bedeutungs-Analyse einzubauen ist, soll mich weiter unten beschäftigen.

Restriktive Handlungsfähigkeit. Kapitel drei hatte die Widerständigkeit realer Subjekte zum Thema. Die Figur der restriktiven Handlungsfähigkeit macht es möglich, ‘selbstschädigendes’ Handeln zu verstehen. Es wird in ein Handeln, das in gewisser Hinsicht zwar selbstschädigend sein mag, jedoch unter den Bedingungen gesellschaftlicher Bedrohung [3] wohlbegründet ist, aufgelöst. Hier wird dem Kern des BGM, dem Begründungszusammenhang, der subjektiven Logik nachgefragt. Die Kritischen Psychologie bezeichnet diesen Schritt als Begründungsanalyse: "Hier geht es darum zu analysieren, aus welchen Gründen die Betroffenen bestimmte Handlungsalternativen wahrnehmen, andere verwerfen oder ausklammern …" (ebd., 67) Damit ist der Kern der gesamten Methodik angesprochen, der Gehalt subjektiver Erfahrung: "Aus dem Umstand, daß meine subjektive Erfahrung nicht wie eine Wand zwischen mir und der objektiven Realität steht, sondern daß ich meine Subjektivität selbst als einen Aspekt des materiellen Lebensgewinnungsprozesses auf ‘gesamtgesellschaftlichem’ Niveau ‘einzuholen’ und begreifend zu durchdringen vermag, ergibt sich, daß ich über meine Erfahrung viel mehr ‘wissen’ kann, als sich aus ihrer unmittelbaren Beschreibung ergeben würde, nämlich all das über ihre Struktur, ihre Bedingungen, ihre Grenzen etc., wie wir es als Instanzen, Dimensionen, Aspekte, Niveaus individueller Befindlichkeit/ Handlungsfähigkeit kategorialanalytisch herausgearbeitet haben." (GdP, 539) Eine dieser Kategorien ist die restriktive Handlungsfähigkeit mit all ihren funktionalen Dimensionen, wie ich sie am Ende des dritten Kapitels nur angedeutet habe. Für die Begründungsanalyse heißt das, daß sie "immer darauf abzielt, die subjektive Funktionalität restriktiver Bewältigungsstrategien im Verhältnis der gesellschaftlichen Vermitteltheit der Existenz und der Unmittelbarkeitsfixiertheit alltäglicher Praxis zu begreifen." (Markard 1987, 73) Die Begründungsanalyse hätte somit eine Richtung, eine Heuristik: Im Sezieren der BGM auf restriktiven Bewältigungsweisen hin, die den Grund subjektiver Problemen darstellen.

Eine weitere Konsequenz ergibt sich aus den Betrachtungen der Initialproblematik zu Beginn des dritten Kapitels. Weil die Initiative der Partizipationsprozesse in der Regel außen lag (das meint außerhalb der Gruppe der Partizipierenden), läßt sich ein gewisser instrumenteller Zugang der Forschenden zu den Betroffenen nicht vermeiden. Jenseits aller guten Absicht liegt die Initiative und die Entscheidung über den Prozeß nicht bei den Betroffenen. Fragen nach der Einbeziehung der Betroffenen, ihrer Stimulanz und Motivation liegen auf einer eher taktischen Ebene, die den Ausgangspunkt: ‘damit ich initiativ werde, muß ich ein Problem haben, das ich lösen will’, nicht reflektieren kann. Methodisch gewendet: Forschungen mit instrumentellem Charakter, in denen die Forschenden sich fragen, wie sie eine Gruppe Menschen zu einer bestimmten Handlung bringen, verbieten sich von vornherein. Ein instrumentelles Verhältnis ist oft schon in der Fragestellung der Forschung angelegt. Das ändert sich auch nicht, wenn ich frage: wie bekomme ich die Betroffenen dazu ihre Interessen besser zu nutzen. Mit ‘instrumentell’ ist hier die Struktur der Frage somit die Struktur der gesamten Forschung gemeint und nicht die normative Dimension des Zieles, zu dem ich die Betroffenen bringen möchte. Das schränkt die Forschungsmöglichkeiten ein: "Das zu untersuchende Problem darf nicht nur ein Problem des Forschers, es muß auch ein Problem der Betroffenen sein bzw. es muß in Kooperation mit den Betroffenen so formulierbar sein, daß es sich als deren Problem verdeutlicht." (GdP, 544f) Diese Konsequenz ist im weiteren in den Zusammenhang meiner Überlegungen zu stellen.

Methodik subjektwissenschaftlicher Forschung

Ohne die Methode ausdrücklich zum Gegenstand der Betrachtung gemacht zu haben, enthalten die ersten drei Kapitel viele methodologische Überlegungen. Ich werde nun die eher kapitel-chronologische Struktur in eine systematische übersetzen.

Erstens. Da der prinzipielle Unterschied von Forschenden und Betroffenen gefallen ist, sind nicht nur die Betroffenen in Richtung Mit-Forschende zu qualifizieren, sondern auch die Forschenden in Richtung Mit-Betroffene. D.h. die Forschenden haben ebenfalls Gründe für ihre Forschung, die es aufzuklären gilt, damit diese nicht hinter ihrem Rücken den Prozeß der Forschung bestimmen. "Die Kategorien haben sich also allererst als Mittel der Selbstaufklärung der Befindlichkeit des Forschenden innerhalb des gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs im Sinne erweiterter Bedingungsverfügung und Daseinserfüllung zu ‘bewähren’;…" (GdP, 541f) Diese Selbstaufklärung ist jedoch nicht einmalig, vor der Forschung, zu leisten. Sie hat sich problemzentriert als ‘mitlaufende Perspektive’ zu etablieren.

Zweitens. Forschungsproblem kann nur ein Problem der Betroffenen sein: "Das existenzielle Interesse der Betroffenen an der Lösung ihrer Probleme ist also unserer Konzeption nach ebenfalls unverzichtbares Moment der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnis in einem derartigen Forschungsprozeß…" (Markard 1987, 67) Die Konsequenz daraus verdeutlicht Markard in einer Fußnote an gleicher Stelle: "… andererseits wird an der Voraussetzung der Interessiertheit der Betroffenen klar, daß nicht alles und jedes zu jeder Zeit untersuchbar ist…" (ebd.) Dieser Sachverhalt läßt sich nicht unterlaufen. Eine intersubjektive Beziehung zwischen Betroffenen und Forschenden – anders gesagt: Vertrauen – entwickelt sich nur auf der Grundlage einer je eigenen Problemdefintion. Sollen die Forschenden nicht zum Problem der Betroffenen werden, so muß das Problem in seiner Substanz Betroffenenproblem sein. Daß somit die Problemstellung, die Leitfrage nicht einmalig vor der tatsächlichen Forschung gewonnen werden kann, versteht sich aus der Rolle der Betroffenen von selbst. Gegenstand des Forschungsprozesses ist es die Leitfrage zu gewinnen und weiterzuentwickeln. Aus der selbstaufklärerischen Perspektive des ersten Punktes heißt das: "Dies bedeutet auch die mögliche Selbstkritik der eigenen Ausgangsfrage des Forschers auf darin enthaltene Verallgemeinerungen ‘vom Standpunkt außerhalb’, Hypostasierungen ‘abstrakter’ Persönlichkeitsmerkmale, ‘Einteilungen’ und ‘Ausgrenzungen’ von Menschen etc., damit Klärung, wie die Frage eigentlich vom Standpunkt der Verfügung über die Lebensbedingungen durch die Betroffenen etc. lauten muß (…)." (GdP, 561)

Drittens. Inhalt der Forschung ist zunächst die Rekonstruktion der je konkreten gesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Reproduktion. Am Beispiel Schule entwickelt Holzkamp: "Unser Zentralproblem ist dabei (…) die Erfassung der Vermittlung zwischen der institutionellen Bedeutungsstruktur der Schuldisziplin, deren interpersonaler Konkretisierung sowie den dabei entstehenden Handlungs- und Lernproblematiken und den darin begründeten Strategien zu deren Bewältigung vom Subjektstandpunkt der Schülerinnen/ Schüler." (Holzkamp 1993, 431) Hier ist alles zusammengefaßt: Bedeutungen, Problematiken, begründete Bewältigungen. Dieser Zusammenhang heißt BGM. BGM-Konstruktion zur Rekonstruktion und Ent-deckung von Problemen. Im BGM "…soll mit der Formulierung von Prämissen-Gründe-Zusammenhängen grundsätzlich die praktische Vermittlung gesellschaftlicher und individueller Reproduktion je konkret, fallbezogen, theoretisch gefaßt werden." (Markard 1993, 44) Kurz gefaßt: subjektwissenschaftliche Forschung dreht sich um BGM.

Viertens. Ein Mittel der Konstruktion und Durchdringung von BGM ist die Bedingungs-Bedeutungs-Analyse. Anhand von gesellschaftstheoretischem, gegenstandbezogenem Wissen wird die subjektive Problematik in Richtung sich ausdrückender gesellschaftlicher, institutioneller Konflikte analysiert. D.h. die in der Fragestellung anwesenden Bedeutungen werden als, teils widersprüchliche, Handlungsmöglichkeiten der Subjekte rekonstruiert. Wie oben ausgeführt kann der Erkenntnisweg dabei "nicht der einer zunehmenden Konkretisierung allgemeiner gesellschaftlicher und dann institutioneller Bedingungen auf das jeweilige Problem hin [sein], sondern umgekehrt der von ungelösten Aspekten des Problems hin zu Bedingungen, die für die Analyse und Lösung des Problems von Bedeutung sind (…). Die Bedingungs-Bedeutungs-Analyse ist also in diesem Sinne problemzentriert." (Markard 1987, 69f)

Fünftens. Der zunächst subjektiv relevante Teil des BGM ist der Begründungszusammenhang. Er wird in der Begründungsanalyse zum Thema. "Grundannahme der Begründungsanalyse ist, daß Handlungsmöglichkeiten dem Individuum nicht ungebrochen, sondern immer in einem widersprüchlichen Verhältnis von Möglichkeiten und Behinderungen gegeben sind, das selbst wiederum keineswegs auf den ersten Blick offensichtlich ist, sondern systematisch – auch bedingungsanalytisch – herauszuarbeiten ist." (ebd., 72) Anders formuliert: Analyse, Aufdeckung der restriktiven Logik je eigener Begründungszusammenhänge. Die Figur der restriktiven Handlungsfähigkeit mit all ihren funktionalen Dimensionen dient dabei als Heuristik. Da restriktive Handlungsfähigkeit immer auf Bedrohungen des Subjekts verweist, ist deutlich, daß Bedingungs-Bedeutungs- und Begründungsanalyse nicht zu trennen sind. Sie sind nicht zwei Phasen des Forschungsprozesses, sondern zwei Momente eines einheitlichen Prozesses. Das schließt nicht aus, daß in besonderen Phasen gegenstandsbezogenes, gesellschaftstheoretisches Wissen erarbeitet wird. Damit ist nur gesagt, daß in diesen Phasen noch nicht die eigentliche Dimension der Bedingungs-Bedeutungs-Analyse erreicht ist.

Sechstens. Die Perspektive der Forschung erschöpft sich nicht in der Rekonstruktion restriktiver BGM. Es geht um die "…Transzendierung bloß verbaler Einlassungen und Interpretationen, also des Diskurses, in lebensweltlich eingreifende Praxis." (Markard 1993, 47) "Erkenntnisziel sind demgemäß theoretische Entwürfe, in deren praktischer Realisierung die konkreten Probleme gelöst werden können. … Es kommt – schon rein methodisch gesehen – nicht nur darauf an, daß die Menschen ihre Verhältnisse interpretieren, sondern sie verändern." (ebd., 45) Erst in der Lösung eines Problems liegt die Bestätigung der BGM-Rekonstruktion. Für die BGM heißt das: "Es werden also zwei Begründungsmuster formuliert: das erste ist das der Handlungsproblematik inhärente und das zweite das in der Perspektive einer Handlungsalternative entwickelte." (ebd.) Das Zweite kann in der Praxis scheitern: "Nur im wirklichen, praktischen Versuch der Möglichkeitsrealisierung können nämlich deren je realhistorisch gegebenen objektiven und psychischen Besonderungen an der empirischen Realität erfahrbar werden." (GdP, 562) "Eine theoretische Annahme kann in dem Maße empirische Geltung beanspruchen, wie bei Realisierung der dafür im Kontext des Möglichkeitstyps in der Annahme formulierten Voraussetzungen die Erweiterung der Verfügung über gesellschaftliche Lebensbedingungen von den Betroffenen in exemplarischer Praxis des Forschungsprozesses auch tatsächlich erreicht werden kann." (ebd., 564) Die restriktiven Momente des BGM sind richtig rekonstruiert, wenn das alternative BGM dafür taugt, die Probleme wirklich zu lösen, wenn es Praxisrelevanz besitzt.

Siebtens. Die Verallgemeinerung solcher Forschung liegt in der Konstruktion ‘typischer’ Fälle: "Den Einzeltheorien liegt hier das theoretische Konstrukt eines ‘verallgemeinerten’ oder ‘typischen’ Möglichkeitsraums mit ‘verallgemeinerten’ oder typischen Möglichkeits-/Realisierungsbedingungen zugrunde, denen gegenüber die ‘Einzelfälle’ meiner und Deiner Möglichkeitsräume/ Verhältnisse als unterschiedliche Konkretisierungen eines solchen ‘typischen’ Falls von Möglichkeitsraum etc. aufgefaßt werden können." (GdP, 551) Die Möglichkeit des ‘Typs’ begründet sich in den Lebensverhältnissen einer Gesellschaft. Solch ein ‘Typ’, eine Grundstruktur von BGM, dient dafür einen Typ restriktiver Begründungen auf den Begriff zu bringen [4].

Achtens. Wie weit kann eine Arbeit ‘am Schreibtisch’ die Problematik noch verfolgen? Der ‘Beweis’ entwickelter Möglichkeitstypen läßt sich hier nicht erbringen. Das ist der Praxis überlassen. Möglich ist es Begründungsfiguren, BGM zu entwickeln, die dann überprüft werden können [5]. Ein Stück der Aufklärung, Durchdringung des Sprachraums der Betroffenen wäre vorab zu leisten – allerdings immer unter dem Vorbehalt, daß die rekonstruierten Begründungsfiguren sich als nicht relevant erweisen können.

"Die typischen Begründungsfiguren wären dann dadurch zu gewinnen, daß die Bedeutungsstruktur der Schuldisziplin – einschließlich der darin eingeschlossenen interpersonalen Umgangsweisen – in ihren unterschiedlichen Aspekten als Prämissen von subjektiven Handlungs-/Lernbegründungen der Schülerinnen/Schüler aufgefaßt werden:" (Holzkamp 1993, 439) Holzkamps Gedanken zum Thema Schule lassen sich übertragen. Die Bedeutungsstrukturen der Arbeitskontexte wären als Prämissen von Begründungen von Software-Entwickelnden herauszuheben. Ich folge Holzkamp noch einen Schritt weiter: "Es kommt darauf an, diejenigen Dimensionen und Bewegungsweisen der Ausgliederung und Überwindung von Lernproblematiken herauszuheben, die unter diesen Prämissen die vom Subjektstandpunkt begründete Bewältigungs- und Lernweisen der Schülerinnen/Schüler treffend kennzeichnen." (ebd., 440) Ich konkretisiere diesen Gedanken so, daß ich in Reinterpretation von drei Arbeiten, die die Subjektivität von Software-Entwicklern zum Thema haben, versuche, typische BGM herauszuarbeiten. Ich versuche die subjektiv begründeten Problembewältigungen herauszuheben. Die beiden Schritte Bedingungs-Bedeutungs-Analyse (Bedeutungen, Prämissen) und Begründungsanalyse werden dabei, wie oben ausgeführt, verzahnt. Ich werde "problemzentriert" arbeiten. Die Untersuchung, Bestätigung dieser Begründungsfiguren liegt jenseits meiner Arbeit.

Damit wäre endgültig der letzte Schritt dieser Arbeit bestimmt und der Platz des Informatischen ausweisbar. Die Aufklärung der Begründungen kann nur durch die ‘eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes’ erfolgen. Da mein Bezugspunkt Designentscheidungen von Softwareentwicklern sind, kann es sich nur um die Logik des Kerninformatischen, die Logik des Angewandtinformatischen, die Logik des informatischen Arbeitsplatzes und die politische Logik des Informatischen in unserer Gesellschaft handeln. In welchem Verhältnis diese Logiken zueinander stehen, kann nur die problemzentrierte Rekonstruktion erweisen.


[1] R. Leiprecht erklärt das ‘je’ so: "Da nicht nur ‘ich’, sondern gewissermaßen alle Menschen Zentren ihrer eigenen Intentionalität sind, werden Formulierungen notwendig, die etwas umständlich klingen mögen, aber genau diesen Sachverhalt zu fassen suchen: ‘je mich’, ‘je meine’, ‘je eigene’, je einzelne’ oder so ähnlich werden diese Ausdrücke heißen." (Leiprecht 1990, 37) Diese, bisher sporadisch benutzte Formulierung, werde ich ab jetzt zum Prinzip erheben.

[2] Hier liegt die Spezifik einer BGM-Implikation: "Die unter diesem Gesichtspunkt interessierende Besonderheit von Begründungsmustern besteht darin, daß die darin enthaltene Implikation nicht in einer Sachlogik oder einer überindividuell-kulturellen (sprachlichen) Definition besteht; sie wird vielmehr von einem Individuum konstituiert, daß es in Verfolgung seiner Lebensinteressen einen für es selber funktionalen, begründeten Zusammenhang zwischen Prämissen und Handlungsintentionen herstellt,…" (Markard 1993, 41) Die ‘nicht’- und ‘vernünftigerweise’-Ersetzung im ersten Kapitel sind dafür gedacht, genau solche Zusammenhänge zu erkennen.

[3] In der konkreten Analyse dieser Bedrohung greift die Bedingungs-Bedeutungs-Analyse.

[4] Der Gang der Verallgemeinerung wird in Kapitel 9 von GdP beschrieben.

[5] Entscheidend für diese Möglichkeit ist, daß nicht die Partizipation der Betroffenen zum methodischen Diktum einer subjektwissenschaftlichen Psychologie wird, sondern der Tatbestand, daß der Begründungsdiskurs der Betroffenen zur Theoriesprache der Psychologie zu werden hat. Erst hieraus – Gründe sind immer erster Person – erhält die Mitforschung ihren Stellenwert. Hier mag eine Differenz zur Handlungsforschung liegen.