Stefan Meretz (Juni 1999: Version 1.0)
Die doppelte algorithmische Revolution des Kapitalismus - oder: Von der Anarchie des Marktes zur selbstgeplanten WirtschaftZusammenfassung Download (ZIP) Download (PDF) Originalquelle: http://www.kritische-informatik.de/algorevl.htm Marx konnte das Internet nicht denken. Er kann uns deshalb zu aktuellen Fragen der ökonomischen Entwicklung nichts sagen. So lautet verkürzt ein Argumentationsschema. In diesem Artikel lege ich dagegen dar: Die Marx-Rezeption selbst ist verkürzt, Marx hat die qualitativ wesentlichen Momente bei der Herausbildung der kapitalistischen Industriegesellschaft benannt - teilweise selbstverständlich nur in ihren unentwickelten keimhaften Formen. Das Problem der Marx-Rezeption liegt in der Schwierigkeit, diese Qualitäten angemessen zu denken und entsprechend der Entwicklung zu aktualisieren. Hauptursache, so die hier dargelegte These, ist ein technizistisch verkürzter Algorithmusbegriff, denn: Die Entwicklung des Kapitalismus selbst läßt sich als Abfolge qualitativer algorithmischer Umwälzungen denken, als algorithmische Revolutionen. Denkt man die Entwicklung auf diese Weise, ergeben sich auch neue Perspektiven, die am Ende skizziert werden. |
Die drei Faktoren der industriellen ProduktionMarx hat drei Faktoren der großen Maschinerie der industriellen Revolution identifiziert (vgl. Kapital, 393):
Die Werkzeugmaschine ist dabei das revolutionierende Element, nicht etwa die Dampfmaschine wie bis heute immer noch behauptet wird (Marx: "...die Werkzeugmaschine ist es, wovon die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht" (ebd.)). Mit der Trennung der bisher im Manufakturarbeiter oder Handwerker vereinten Funktionen wurde die Möglichkeit der wissenschaftlichen Bearbeitung und damit Verallgemeinerung jeder dieser drei Funktionen erst möglich. Die Werkzeugmaschine verallgemeinert die Werkzeugführung durch den Arbeiter. Die Qualität des Produkt war nun nicht mehr abhängig von der individuellen Fertigkeit des Arbeiters im Umgang mit dem Werkzeug. Dadurch wurde der Übergang von der Produktion von Unikaten zu uniformen Produkten und damit zur Massenproduktion geschaffen. Die Schaffung von Normen und die drastische Verringerung von Produkttoleranzen beschleunigten diesen Prozeß. Die allgemeine Energiemaschine - zunächst als Bereitstellung von Bewegungsenergie, später von Elektroenergie - ermöglichte den ortsunabhängigen Aufbau von Produktionsanlagen. Sie ersetzen die diskontinuierliche und begrenzte Verfügung über lokale Energieformen (Wasserkraft, Windkraft, Muskelkraft von Mensch und Tier) durch eine allgemeine und im Prinzip unbegrenzte Verfügbarkeit einer universell einsetzbaren Energieform (insbesondere bei der Elektroenergie). Der Transmissionsmechanismus als drittem Element des von Marx analysierten industriellen Prozesses wurde bisher in seiner Bedeutung unterschätzt. In der Regel wird im Transmissionsmechanismus ein bloßer Energieübertragungsvorgang gesehen. Diese Sicht verkürzt jedoch die Bedeutung der Transmission im Produktionsprozeß. Marx hat dazu nicht viel, dennoch aber richtiges geschrieben: "Der Transmissionsmechanismus ... regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nötig, ihre Form, z.B. aus einer perpendikulären in eine kreisförmige, verteilt und überträgt sie auf die Werkzeugmaschinerie." (ebd.) Mit der Transmission wird folglich nicht nur die Energie, sondern auch die Produktionsprozeßlogik übertragen. Schon sehr früh bestand ein Arbeitsplatz aus mehreren zeitlich, örtlich und logisch miteinander verkoppelten Teilprozessen der Bewegung. So bestand z.B. eine Drehmaschine aus einer getriebenen Spindel, die das Werkstück trug, und einem getriebenem Schlitten, der das Werkzeug trug. Die Transmission mußte nun derart konstruiert sein, das die Produktionserfordernisse erfüllt wurden. Bei der Bewegungskombination von sich drehendem Werkstück und sich axial bewegendem Werkzeugschlitten mußte sich das Werkstück in der 'richtigen' Geschwindigkeit drehen, der Schlitten das Werkzeug 'richtig' positioniert werden um die 'richtige' Spanndicke abzuheben und der Schlittenvorschub in der 'richtigen' Geschwindigkeit geschehen, um den Span zügig aber werkzeugschonend abzuheben. Die Transmission enthielt damit in analoger Form den Algorithmus des Produktionsprozesses. Ausführlicher geht Marx auf das Maschinensystem als Ganzes ein, die einzelnen Komponenten betrachtet er nun nicht mehr. Vorbild für das Maschinensystem ist die Manufaktur: "Die Manufaktur selbst liefert dem Maschinensystem ... im großen und ganzen die naturwüchsige Grundlage der Teilung und daher der Organisation des Produktionsprozesses." (ebd., 400) Die vorher subjektive Prozeßorganisation wird nun objektiviert: "Der Gesamtprozeß [der maschinenartigen Produktion, d.Verf.] wird hier objektiv, an und für sich betrachtet, in seine konstituierenden Phasen analysiert, und das Problem, jeden Teilprozeß auszuführen und die verschiedenen Teilprozesse zu verbinden, durch technische Anwendung der Mechanik, Chemie usw. gelöst ... (...) Ein System der Maschinerie, beruhe es nun auf bloßer Kooperation gleichartiger Arbeitsmaschinen, ... oder einer Kombination verschiedenartiger, ... bildet an und für sich einen großen Automaten, sobald es von einem sich selbst bewegendem ersten Motor getrieben wird." (ebd., 401).
AlgorithmusWieviel analytische Kraft hätte Marx’ Analyse gewonnen, hätte er den Begriff des Algorithmus’ gehabt! Ein solcher Algorithmus-Begriff muß allgemein sein. Ich schlage folgenden vor: Ein Algorithmus ist die ideelle Vorwegnahme eines Prozesses. So allgemein gefaßt erstrecken sich Algorithmen auf jegliche menschliche Lebenstätigkeit. Jede antizipatorisch denkende Vorwegnahme einer Tätigkeit kann man folglich als gedankliche Erzeugung eines Algorithmus' auffassen. Tiere kennen keine Algorithmen. Wir können zwar (versuchen,) tierisches Verhalten algorithmisch (zu) beschreiben, das ist jedoch eine menschliche Tätigkeit. Algorithmen kamen historisch mit der Entwicklung der Menschen auf die Welt. Beim Herstellen von nützlichen Gebrauchsdingen (allgemein auch für andere) ist es notwendig, den späteren Gebrauchszweck ideell vorwegzunehmen und den Herstellungsprozeß dementsprechend zu organisieren. Zahlreiche Abstraktionen müssen vollzogen werden, um dem herzustellenden Gegenstand auch die wesentlichen Eigenschaften zu verleihen. Diese gedankliche Abbildung der sachlich-logischen Produktionserfordernisse entsprechen einem Algorithmus. Die ideell-algorithmische Abbildung entstand vor oder mit Herausbildung von Sprache. Sie setzen Sprache nicht voraus, sondern umgekehrt: Das Erfordernis, bereits vorhandene ideell-algorithmische Abstraktionen und Antizipationen im kooperativen Herstellungsprozeß zu kommunizieren, führte zur Entstehung erst der lautlich, dann der zeichenbasierten Sprache (ausführlicher in Lenz & Meretz 1995, Kap. 3). Im Gegensatz zu Tieren, die ein Mittel nur für einen einzelnen Zweck (u.U. herrichten und) nutzen, ist beim Menschen der Zweck bereits vor der Nutzung vorhanden und wird durch ein hergestelltes Werkzeug erreicht. Der verallgemeinert hergestellte Gebrauchsgegenstand - er kann allgemein genutzt werden im allgemeinen Fall der angestrebten Zweckerfüllung - speichert die durch die Herstellung eingeflossenen ideell-algorithmischen Abstraktionen und Antizipationen. Diese Art der Gebrauchswertproduktion führt zu einer gesellschaftlichen Erfahrungskumulation. Die gegenständlich-analoge Fixierung algorithmischen Wissens hat jedoch gleichzeitig den Nachteil, daß Algorithmus und Gebrauchswert aneinander 'kleben': Herstellungsverfahren können zwar auch zeichenbasiert weitergegeben werden, sie ersetzen die Tradierung als allgemeine Weitergabeform des Herstellungswissens keinesfalls. Ein z.B. schriftlich fixierter Algorithmus erfordert seine Ausführung durch einen Handwerker, und von seiner Fertigkeit hängt die Qualität der Zweckerreichung, die Qualität des Produkts ab. Die gegenständlich-analoge Form der Fixierung algorithmischen Wissens ist zu 'unscharf' (zu 'fuzzy') oder "subjektiv" wie Marx schrieb (Kapital, 401), um die Herstellung strukturell identischer Produkte zu bewirken: Jedes Produkt ist in diesem Sinne ein Unikat.
Die doppelte algorithmische RevolutionDer qualitative Sprung in der Produktivkraftentwicklung, das revolutionäre der großen Industrie bestand in der Trennung der drei Bestandteile des Produktionsprozesses. Er wurde ökonomisch durch die Ablösung der Manufaktur durch die große Industrie bewirkt und führte gesellschaftlich zur Ablösung der agrarisch-handwerklichen Feudal- durch die kapitalistische Industriegesellschaft. Dieser Sprung in der Produktivkraftentwicklung, den Marx analysierte und dessen revolutionierendes Moment die Werkzeugmaschine war, ging einher mit einer qualitativen Umwälzung der Produktionsverhältnisse. Mit dem Kapitalismus war der Boden bereitet für die dann folgenden zwei algorithmischen Revolutionen: den Fordismus und den Toyotismus. Durch die Zerlegung des Produktionsprozesses in die Bestandteile der Energielieferung, der Prozeßmaschine und der algorithmischen Steuerung konnte jedes der Bestandteile einer wissenschaftlichen Bearbeitung unterworfen werden. So wurde alsbald die kinetische durch die elektrische Energie abgelöst. Die Prozeßmaschine - je nach Industriezweig - wird durch die Anwendung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse fortwährend optimiert. Ganze neue Wissenschaftszweige entstehen: Chemie, Physik, Maschinenbau, Metallurgie etc. Der Aspekt der algorithmischen Prozeßorganisation blieb anfangs eher dem Zufall überlassen: Dort, wo Maschinen verfügbar waren, wurde diese auch eingesetzt, und wo nicht, dort ergänzte man die algorithmischen Vorgaben der Maschine durch geeignete Arbeiterinnen oder Arbeiter (wo z.B. 'notwendig' auch durch Kinder). Diese Art der Produktionsorganisation hatte seine bürokratisch-administrative Entsprechung in Organisation, Verwaltung und Staat. Der nächste qualitative Sprung in der Produktivkraftentwicklung (innerhalb des Kapitalismus) wurde durch die wissenschaftliche Bearbeitung und damit Effektivierung des algorithmischen Produktionsaspektes erreicht. Der Taylorismus bearbeitete systematisch die algorithmisch-physikalische Relation zwischen Mensch und Maschine. Der Mensch wurde auf eine Ansammlung physischer Teilfunktionen reduziert, deren jeweils benötigte Einzelfunktion gemäß aktueller wissenschaftlicher Kenntnisse (der Bewegung etc.) optimiert wurde. Dem entsprachen auf der Seite der Administration die Betriebshierarchien und das Lohnsystem. Maschine und Mensch wurden zu Bestandteilen eines zentral geplanten Produktionsapparates. Seinen konsequentesten Ausdruck fand diese Sichtweise in der Fließbandproduktion, paradigmatisch verwirklicht in der Autoproduktion bei Ford (daher: "Fordismus"). Auch hier findet sich gesamtstaatlich eine Entsprechung im Sozialstaat. Die uniforme Massenproduktion ist nur solange eine angemessene Produktionsweise, wie langfristig der Absatz der Produkte ohne große Produktvariationen gesichert ist (so bis Mitte der 70er Jahre). Da gesamtgesellschaftlich ungeplant, zeigt sich im Kapitalismus erst im Nachhinein, ob das Produkt abgesetzt (und damit die Halde abgebaut) und der Profit realisiert werden kann. Unter den Bedingungen eines hohen Sättigungsgrades des Marktes und verschärfter globaler Konkurrenz (unterschiedlich etwa ab Ende der 70er Jahre), können nurmehr die Produzenten überleben, die sich rasch an Marktdifferenzierungen anpassen können. Eine Produktion für die Vorratshalde ist dysfunktional. Idealerweise wird das Produkt erst dann hergestellt, wenn der Verkauf bereits erfolgte bzw. der Auftrag vorliegt. Das bedeutet aber, daß nicht nur die Produktvariation einer Modellreihe sehr stark zunimmt, sondern daß innerhalb kürzester Zeit verschiedene Modellreihen aufgelegt werden müssen. Tendenziell geht der Weg also wieder zurück zur Unikat-Herstellung (vgl. Abb. 1). Damit wiederholt sich nicht etwa die Geschichte, sondern die alte uniforme Massenproduktion wird dialektisch negiert und in der massenhaften Produktion von Unikaten aufgehoben. Paradigmatisch wurde dieser Weg bei Toyota verfolgt, weshalb von die postfordistischen Produktionsweise auch als "Toyotismus" bezeichnet wird.
Der Toyotismus mit samt seiner bürokratisch-adminstrativen Entsprechung bedeutet die zweite revolutionäre Umwälzung des algorithmischen Produktionsaspekts. Wurde zu Zeiten der fordistischen Automation versucht, möglichst umfassend algorithmisches Produktionswissen in den Maschinen zu vergegenständlichen - was bedeutete, den Produktionsprozeß "von Anfang bis Ende" festzulegen - so besteht in der postfordistischen Ära die Aufgabe, Variabilität und Flexibiltät selbst als Bestandteil des Produktionsablaufs zu implementieren. Entsprach der alten Produktionsweise ein zentralistisch-hierarchischer Betriebsaufbau, die Trennung von Planungsbüro und Fertigung ("Weißkittel und Blaumänner") etc., so können die neuen Anforderungen nur noch von effektiven, autarken Teams ("Produktionsfraktale"), die Planung und Fertigung vereinen, erfüllt werden. Dem entspricht ein "flacher" Betriebsaufbau. Gegenüber der starr-automatisierten Fabrik des Fordismus, entsteht in der flexibel automatisierten Fabrik des Toyotismus eine algorithmische Antizipationsanforderung zweiter Ordnung: Nicht mehr nur der Prozeß der Herstellung eines Produktes muß algorithmisch konstruiert werden, sondern auch die Änderung des Herstellungsprozesses selbst, z.B. bei der Variation eines laufenden Produkts oder der Umstellung auf eine neue Modellreihe. Im Extremfall löst der Marktbedarf einer Bestellung direkt die Erstellung der dem Produkt entsprechen algorithmischen Produktionseinstellungen aus. Im Gegensatz zu den algorithmischen Prozeßanforderungen erster Ordnung, bei denen eine Automatisierung für Teilbereiche realisierbar war (jedoch praktisch niemals als menschenleere Fabrik), sind die Anforderungen zweiter Ordnung gänzlich nicht automatisierbar. Dies würde ja bedeuten, alle potentiellen Marktanforderungen und zukünftigen Modellreihen zu antizipieren und als "algorithmische Module" anzulegen, die dann automatisch nur noch kombiniert werden. Noch stärker als bereits bisher, ist die postfordistische Produktionsweise auf den qualifizierten, kreativen und motivierten Arbeiter angewiesen. Wie in Abb. 1 für den Zyklus Unikatherstellung è uniforme Massenproduktion è massenhafte Unikatherstellung, so entspricht dem auf der Seite des arbeitenden Menschen skizzenhaft der Zyklus: umfassende, individuelle algorithmische Antizipation des Herstellungsprozesses des einzelnen Produkts è beschränkte, minimale algorithmische Antizipation bei der Herstellung des Massenprodukts è umfassende, kollektive algorithmische Antizipation der Herstellungsprozesses des massenhaften Einzelprodukts. Zugegeben: Die automatische Produktionsweise zweiter Ordnung, die massenhafte Herstellung von Einzelprodukten auf direkte Anforderung durch den Bestellenden, gibt es in dieser Weise (noch) nicht. Aber die Entwicklungsrichtung ist vorgezeichnet. Fraglich ist, ob sie unter kapitalistischen Bedingungen erreichbar ist. Die Widersprüche zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen soll hier jedoch nicht ausführlich diskutiert werden. Nur eine Idee in dieser Hinsicht soll hier skizziert werden. |
Internet und KapitalismusIm Kapitalismus wird gesellschaftlich produziert, aber das Produkt privat angeeignet. Ob mit dem Produkt auch Profit realisiert werden kann, entscheidet sich erst im Nachhinein auf dem Markt. Da die Einzelkapitale nur für sich planen, eine gesamtgesellschaftliche oder gar globale Planung aber nicht stattfindet ("Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik und ... Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft" - Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 255), kommt es gemäß der Dynamik im Kapitalismus zu zyklischen Überproduktionskrisen, strukturellen Krisen etc. Angenommen, das Produkt wird nicht erst nach seiner Herstellung, sondern bereits vorher verkauft, und angenommen, die Kauforder wird "durchgereicht" vom Hersteller des Endprodukts zu den Zulieferern und Dienstleistern, so könnte sich die Produktion auf allen Ebenen optimal am Bedarf ausrichten. Das Internet könnte das vermittelnde Medium darstellen. Ein zentrales Problem der realsozialistischen Länder, nämlich den Bedarf für bestimmte Güter zu ermitteln und danach die Produktion, die Materialbedarfe, Energieanforderungen etc. zu planen, würde sich auf diese Weise sozusagen 'von selbst' erledigen - und das im Kapitalismus. Nachwievor würde es Konkurrenz geben, nachwievor würde der Kapitalbesitzer über die Produktionsmittel verfügen und sich den Profit aneignen. Damit bestimmen die Kapitalbesitzer weiterhin, wer an dem Prozeß beteiligt und wer ausgeschlossen wird. Eine Minderheit verfügt mithin über die Lebenschancen der Mehrheit.
EntwicklungswidersprücheToyotismus bedeutet, daß der Marktdruck auf die Fraktale in der Fabrik durchgereicht wird. Die Produktionsfraktale müssen sich marktförmig verhalten. Sie können dies nur tun, wenn sie in hohem, letztlich im umfassenden Sinne ihren Produktionsprozeß eigenständig planen können. Das höchste Maß an Planungseffizienz liegt im Produktionsfraktal selbst, sie liegt bei den tätigen Menschen. Das Fraktal saugt damit, getrieben durch Marktdruck und Konkurrenz, die Planungs- und allgemeine Verfügungskompetenz ins Fraktal. Die Verfügungsgewalt des Kapitals steht dem als Widerspruch gegenüber. Es tendiert zur Externalisierung der Planung und Verfügung, zur Außensteuerung der Fraktale. Es versucht durch das Setzen von Rahmenbedingungen, den übergeordneten Gesamtprozeß zu steuern. Ein solcher Versuch der externen Beherrschung und indirekten Steuerung des Gesamtprozesses ist jedoch immer weniger effektiv als die autonome Selbststeuerung und Interaktion der Fraktale. Veraussetzung für eine solche übergreifend Selbststeuerung ist das transparente Vorliegen aller produktions- und kooperationsrelevanten Informationen. Auch diese können den Fraktalen zum Erhalt der externen Verfügungsgewalt nicht dauerhaft vorenthalten werden.
Selbstplanung statt ZentralplanungDer Schlüssel zum Erfolg der Produktionsfraktale ist der einzelne Mensch. Seine volle und unbeschränkte Entfaltung von Kreativität und Fähigkeiten ist die Voraussetzung des Fraktals. Im Fraktal hat jeder ein unmittelbares Interesse an der Entfaltung des anderen, da nur so der Gesamterfolg erreicht werden kann. Es liegt im Interesse des Fraktals, jede Einschränkung, sei es durch Hindernisse im Fraktal, vor allem aber Beschränkungen von außen, zu umgehen, zu bekämpfen, aufzuheben. Die Kapitalverwertung, die Profitrealisierung durch das Kapital, das nur über externe Verfügungsgewalt über den Gesamtprozeß realisiert werden kann, wird zum Hemmnis der unbeschränkten Entfaltung des Prozesses selbst. Konkurrenz und Marktdruck heben damit die Profitrealisierung über den Markt und damit den Markt als Ort der Kapitalverwertung auf. Übrig bleibt der Markt als Ort der Vermittlung von Produkten und Informationen zur freien Entfaltung der Menschen. Das Internet als Kern einer umfassenden Kommunikation ist die Voraussetzung für eine derart selbstgeplante Wirtschaft. Daß eine Herstellung von nachhaltig sinnvollen Produkten nicht aus Profitinteresse, sondern aus dem Wunsch der Selbstentfaltung heraus gehen kann, zeigt das globale Linux-Projekt. Die Beteiligten dieses globalen und immer auch offenen Produktionsfraktals haben es geschafft, ein in vielen Bereichen überlegenes Computer-Betriebssystem zu erschaffen. Der (Noch-) Weltmonopolist auf diesem Gebiet, Microsoft, sieht in diesem freien System die größte Gefahr für seine Vorherrschaft. Auf dem ureigensten Gebiet des Kapitalismus, dem Markt, schlägt eine Gruppe von Menschen aus "Spaß an der Sache" den milliardenschweren Konzern. Das zeigt die Potenzen der Selbstentfaltung der Menschen. Eine selbstgeplante Wirtschaft würde im eigenen Interesse viele Probleme der verwertungsorientierten marktvermittelten Wirtschaft aufheben. Da im Kapitalismus der Profit erst im Nachhinein realisiert wird, kommt es immer wieder zu Überproduktionskrisen und letztlich der Vernichtung von Gebrauchswerten. Auch eine die Ressourcen schonende Produktionsweise liegt nicht im Interesse des einzelnen Kapitals. Es orientiert sich kurzfristig am kaufkräftigen Bedarf. Eine selbstgeplante Wirtschaft produziert nur die Dinge, die auch wirklich gebraucht werden. In einem demokratischen Prozeß legt die Gesellschaft die Bedingungen für die Selbststeuerung der Fraktale fest. Die Realisierung ökologischer und sozialer Ziele liegt im Interesse der Fraktale, da nur so langfristig die Selbstentfaltung der Menschen gesichert werden kann. Gesamtgesellschaftlich geplant werden also nicht die Produkte, sondern die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich der Prozeß selbst organisiert.
AbschlußbemerkungenEs fällt mir selbst schwer, eine solche Utopie zu denken. Zu verhaftet sind wir alle im Gegenwärtigen. Viele "abers" fallen mir auch sofort ein. Meine Kernthese, daß der Markt als Ort der Kapitalverwertung zu seiner Selbstaufhebung drängt, sagt noch nichts darüber aus, wie dieser Prozeß politisch widergespiegelt wird oder werden kann. Mit Marx gilt immer noch: Geschichte passiert nicht von selbst, sie muß gemacht werden.
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