Im folgenden werden zwei Veranstaltungen des Links-Alternativen Netzwerks und der Initiative für eine andere Politik in Zusammenarbeit mit der IG Medien Dortmund als Audio-Mitschnitte (MP3-Format) zum Download zur Verfügung gestellt. Die Veranstaltungen fanden am 1. und 2. Dezember 2000 in der FH Dortmund statt.

Der Mitschnitt ist von Horst Ribbeck, die MP3-Umsetzung von Ronald Wölfel, die Dateiversion der Meretz-Plakate von Lorenz Glatz - vielen Dank dafür!

»Kapitalismus - nein danke!«

Diskussionsveranstaltung mit Robert Kurz, dem Autor von »Schwarzbuch Kapitalismus - Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft«

Download (MP3):
Vortrag Teil 1 (46:27 Min., 8,17 MB)
Vortrag Teil 2 (47:25 Min., 8,34 MB)
Vortrag Teil 3 und Diskussion (42:36 Min., 7,49 MB)

Seit dem »Kollaps der Modernisierung« ist ROBERT KURZ gut für: hohe Auflagen und heftige Provokationen, nicht nur der staatstragenden Kräfte, sondern auch der Linken. Gewerkschaften, denen seit einer Generation nichts anderes einfällt, als »Arbeit für Alle« in jeder Tonlage zu singen, müssen sich von einer Wertkritik, die auch darauf zielt, danach zu fragen, was produziert wird, besonders provoziert fühlen. Wo die Arbeitsplätze von Waffenschmieden und Giftmischern entweder sozialpartnerschaftlich gesichert oder klassenkämpferisch verteidigt werden, da trifft eine solche Kritik, wie die von Kurz und der Gruppe »Krisis« ins Schwarze.

»Der Kapitalismus am Ende!? - Und nun?«

Workshop mit Robert Kurz (Krisis), Stefan Meretz (Informatiker/Linux-Oekonux/Free Software) und Franz Kersjes (Landesvorsitzender der IG Medien NRW)

Download (MP3):
Beitrag Kurz, Beitrag Meretz Teil 1 (47:10 Min., 8,29 MB)
Beitrag Meretz Teil 2 (45:05 Min., MP3, 7,93 MB)
Beitrag Meretz Teil 3 und Diskussion Teil 1 (44:58 Min., 7,91 MB)
Diskussion Teil 2 (31:52 Min., 5,61 MB)
Beitrag Kersjes (31:35 Min., 5,56 MB)
Diskussion Teil 3 (31:32 Min., 5,55 MB)
Diskussion Teil 4 (5:21 Min., 0,94 MB)

Download (RTF):
Plakate der Präsentation von Stefan Meretz (12 KB)

Eine tiefergehende Debatte über die Themen des Vorabends einerseits und andererseits die Versuche von Antworten auf die Fragen: Welche praktischen Ansätze in der Kurzschen Kritik und Krisis-Position und auch anderen radikalen Positionen von Gesellschaftskritik stecken (könnten)? »Und was soll und kann mensch jetzt tun?« - Welche soziale Emanzipationsbewegung braucht es? Ist das Konzept (wertloser) "Free Software" nicht nur eine Alternative zur »New Economy« sondern auch als gesellschaftliche Alternatividee tauglich? Können Gewerkschaften überhaupt und wenn, welche und in Vernetzung mit welchen anderen sozialen Kräften und Bewegungen, eine Rolle spielen?

Links-alternatives Netzwerk Dortmund, Kontakt: Guida de Lima-Werner / Till Strucksberg, Tel. & Fax 0231 - 73 00 19 / 0231 - 77 39 29, E-Mail: werner.strucksberg@gmx.de

IG Medien OV Dortmund (Sprecherrat), Kontakt Helmut Weiss, Beurhausstr.25, 44147 Dortmund, Tel.: 0231-556338, E-Mail: helmut@free.de, Ulrich Leicht, Tel.: 0231-9238053, E-Mail: UlrichLeicht@t-online.de


Franz Kersjes (Landesvorsitzender der IG Medien NRW)

(...)

IX. Was ist zu tun?

Die abhängig Beschäftigten und ihre Interessenvertreter müssen sich klar darüber werden, dass das herrschende kapitalistische System ein menschenverachtendes System ist. Die Konsequenz muss sein, dieses System zu überwinden!

Dieses jederzeit belegbare Erkenntnis ist nicht deshalb falsch, weil die Interessenvertreter des Kapitals sie vehement bekämpfen. Insbesondere die Gewerkschaften müssen aus dieser Situation eine Vision von einer menschlicheren Gesellschaft entwickeln. Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte.

Die gesellschaftlichen Widersprüche werden sich in der Zukunft dramatisch zuspitzen. Noch mehr Arbeitslosigkeit und Armut. Noch mehr Reichtum. Wie lange werden die Menschen das ertragen?

In dieser Zeit wird viel von Reformen gesprochen. Wer genau hinschaut, muss erkennen, dass die Ergebnisse dieser Reformen fast ausschlie�ich mit Nachteilen für die betroffenen Menschen verbunden sind.

Sozialdemokraten behaupten häufig, sie könnten im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Reformen erreichen. Sie enden alle damit, dass sie sich dem herrschenden Kapital unterwerfen. Sie wollen nicht wahrhaben, dass der Kapitalismus nicht reformfähig ist.

Unsere Mittel bestehen nicht in einer dauernden Anpassung an die herrschenden Bedingungen, die als Natur gegeben angenommen werden. Denn diese Anpassung stellt das wieder her, was wir eigentlich bekämpfen wollten, und das sind die Ursachen für die herrschenden Zustände!

Wir müssen zunächst einmal bei uns suchen, in unseren Organisationen, in unseren Beziehungen das entdecken, was es zu ändern gilt.

Wenn wir uns nicht vom Terror der ökonomie befreien können und den Weg in eine menschlichere und gerechtere Gesellschaft finden, dann führt uns der Kapitalismus in die Barbarei.

Diesen Weg in die Barbarei werden wir nur noch verhindern können, wenn wir uns von unseren täglichen Gewohnheiten befreien und anders als bisher denken.

Wer durchschnittlich drei Stunden am Tag vor dem Fernseher sitzt, wird kaum auf die Idee kommen, dass in unserer Gesellschaft etwas verändert werden muss. Das herrschende Informationssystem ist beinahe lückenlos an das bestehende Herrschaftssystem angepasst. Der Streit in Sachfragen ändert daran prinzipiell nichts.

Immer mehr Menschen merken jedoch, dass sie von vielen Politikern, Bürokraten und sogenannten Experten belogen und betrogen werden. Der Vertrauensverlust der Parteien und gro�n politischen Organisationen ist erheblich. Es fehlt aber auch Vertrauen in die eigene Kraft. Und in den Gewerkschaften fehlt der überzeugende Wille, den Widerstand zu organisieren.

Betriebsräte und Gewerkschafter/innen sind im Kampf gegen die alltäglichen Erscheinungsformen des Kapitalismus umfassend beschäftigt. Die Aktivitäten konzentrieren sich auf Rechtsberatung, Verhandlungen über Forderungen der Unternehmer und ihrer Verbände, über Stellenabbau und Konkurse und Möglichkeiten, "soziale Härten zu mildern". Der politische Kampf ist auf Reden zum 1. Mai, auf einige wenige Demonstrationen und auf Gespräche mit der SPD beschränkt.

Die gewerkschaftliche Theoriedebatte ist vollgestopft mit Themen wir "Zukunft der Arbeit", "Umverteilung der Arbeit", "Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitflexibilisierung", "Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit" sowie "demokratische Verteilungsgerechtigkeit". Die Diskussionen sind begrenzt auf Veränderungen im herrschenden System.

Die gewerkschaftliche Debatte braucht nicht unbedingt eine konkrete Utopie. Unverzichtbar ist jedoch der unerschütterliche Wille, den totalitären Kapitalismus zu überwinden. Dazu muss mindestens in Europa eine breite Bewegung entwickelt werden. Die bestehende Schwäche der Gewerkschaften muss überwunden werden.

(Aus: Franz Kersjes, "Der Barberei ein Ende setzen - den totalitären Kapitalismus überwinden!" In: IG Medien-Forum, 1/2000 - http://www.igmedien.de)


Stefan Meretz, Informatiker und Maintainer der Websites http://www.opentheory.org, http://kritische-informatik.de, http://www.kritische-psychologie.de und beruflich http://www.hbv.org

4. Freie Software für freie Menschen in einer freien Weltgesellschaft

(...) Keine neue Gesellschaft taucht aus dem Nichts auf und steht am nächsten Morgen vor der Tür. Keine neue Gesellschaft löst die alte ohne Widerstand ab. Zunächst entwickeln sich Keime des Neuem in den Nischen des Alten. Schlie�ich wird das Neue so mächtig, dass die Verwalter des Alten Konzessionen machen müssen und das Neue gleichzeitig bekämpfen und verhindern wollen. Das Neue wird sich dann durchsetzen, wenn es effektiv besser ist als das Alte. Dabei ist es klüger, nicht auf dem ureigenen Terrain des Alten zu kämpfen, sondern die Spielregeln zu ändern und sich auf neuem Terrain zu behaupten.

Für solch ein Modell steht Linux und die Freie Software. Die Bewegung Freier Software hat nicht einfach ein neue, bessere Firma gegründet und bessere proprietäre Software entwickelt (das hat Netscape versucht und ist gescheitert). Sie hat die Spielregeln verändert, den Quelltext offen gelegt und ein kollektives globales Entwicklungsmodell installiert. Interessant ist hierbei in langer Perspektive nicht das Produkt, sondern die neue Art und Weise der Produktivkraftentwicklung. Diskussionen über die Frage, ob Freie Software eher zum Kapitalismus, zum Anarchismus oder zum Kommunismus kompatibel ist, gehen an der Sache vorbei (vgl. Perkins 1998 und nachfolgende Debatte). Die Frage ist zunächst nicht, welche Gesellschaftsformation die angemessene ist, sondern wie die Arbeit beschaffen sein mu� damit sich in ihr der Mensch als Subjekt voll entfalten kann. Linux hat gezeigt, dass das gehen kann.
(...)

4.1. Was können wir tun?

Wir sollten in die Offensive gehen! Wir sollten uns zum antikapitalistischen Gehalt Freier Software bekennen! Wir können sagen "GNU/Linux ist nicht wert - und das ist gut so!". Freiheit gibt es nur au�rhalb der Verwertungs-Maschine. Die Freie Software da herausgeholt zu haben, war eine historische Tat. Jetzt geht es darum, sie drau�n zu behalten, und nach und nach weitere Bereiche der kybernetischen Maschine abzutrotzen. Dafür gibt es zahlreiche Ansätze, wie sie z.B. Stefan Merten (2000) im Beitrag "Gnu/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft" skizziert.
(...)

V e r w e r t e t e   E n t f a l t u n g: Die eigene Selbstentfaltung ist die letzte unausgeschöpfte Ressource der Produktivkraftentwicklung. Das wissen auch die Exekutoren des Wertgesetzes, die die Selbstentfaltung der Verwertung unterordnen wollen. Sie bauen die Hierarchien ab, geben uns mehr Entscheidungsbefugnisse und Flexibilität bei der Arbeitszeit. Die Stechuhren werden abgeschafft, weil man sie nicht mehr braucht. Die Zusammenführung der beiden Rollen des Arbeitskraftverkäufers und des Wert-Gesetz-Exekutors in einer Person ist der (nicht mehr so) neue Trick. Fallt darauf nicht rein! Die "Neue Selbständigkeit" kann zur Hölle werden [Wer das schlicht "nicht glaubt", dem empfehle ich direkt den Erfahrungsbericht der Betriebsräte von IBM-Düsseldorf als Lektüre (Gli�ann 1999).], denn Verwertung und Selbstentfaltung sind unvereinbar.

S e l b s t e n t f a l t u n g: Die unbeschränkte Entfaltung der eigenen Individualität, genau das zu tun, was ich wirklich tun will, ist nur au�rhalb der Verwertungs-Maschine möglich. Nicht zufällig war es der informatische Bereich, in dem wertfreie Güter geschaffen wurden. Uns fällt es noch relativ leicht, das eigene Leben abzusichern. Wir werden gut bezahlt, finden schnell einen Job. Freie Software zu entwickeln, ist kein Mu� es ist ein Bedürfnis. Wir sind an Kooperation interessiert, und nicht an Verdrängung. Die Entwicklung Freier Software ist ein Beispiel für einen selbstorganisierten Raum jenseits der Verwertungsma�täbe. Nur dort ist Selbstentfaltung möglich.

Mit diesen Beispielen möchte ich für Nüchternheit, Klarheit und Offenheit plädieren - im Umgang mit anderen und sich selbst. Dazu gehört für mich auch, wieder über das gesellschaftliche Ganze zu sprechen, denn das sollten wir nicht den wirtschafts- oder bürgerrechtsliberalen Interpreten überlassen. Der Kapitalismus ist nichts dämonisches, man kann ihn verstehen und sein Handeln daran ausrichten. Dann hat Freie Software als wertfreie Software auch ein Chance, dann ist Freie Software ein lebendiges Beispiel für Keimformen einer neuen Gesellschaft.

(Aus: Stefan Meretz, Linux & Co. Freie Software - Ideen für eine andere Gesellschaft, AG SPAK Bücher - M 141 - Kleine Reihe, 2000, http://www.leibi.de/spak-buecher)