Kapitel 1
Begründungsdiskurs als Medium der Designentscheidung

Vorab

Der Einstieg in diese Arbeit soll dreierlei leisten. Zunächst: Anfangen, in Gang kommen. Sodann: Die eigene Arbeit in einem Diskurs verankern. Sie heimisch machen, in den Zusamenhang von Argumenten stellen, ihr Rückendeckung bieten. Von dort kann sie versuchen einen eigenen Akzent zu setzen, vielleicht nur einen anderen zu verschieben. Ohne Ort greift jedes Verschieben ins Leere und bewegt nur sich selbst. Zuletzt: Die Maschinerie der Verschiebung andeuten. Wie soll der Akzent bewegt werden? Die Methode, der Zugang zum Bewegen soll sich ein Stück ‘an sich’ zeigen.

Der Ort der Betrachtung

Ich werde versuchen den Ort aufzuzeigen, an dem diese Arbeit argumentiert. Ihr Thema ist im weitesten Sinne Softwareentwicklung: Softwareentwicklung als Weg vom Problem zum Programm [1]. Ich denke für eine bestimmte Dimension dieses Weges – der technisch-algorithmischen – gibt es einen entwickelteren Wissensstand, eine fortgeschrittenere Forschungskultur als für andere. Für diese Erkenntnis und den Versuch andere Dimensionen der Softwareentwicklung aufzuzeigen, andere Sichten zu begründen, steht in der bundesdeutschen Informatik u.a. der Name Christiane Floyd [2]. Diesen Begründungszusammenhang möchte ich als Ausgangspunkt wählen – mich sozusagen einnisten. Floyd formuliert: "Mein eigentliches Thema beginnt dort, wo wir erkennen, daß die Sicht der Softwareentwicklung als Produktion [traditionell technisch-ingenieursmäßiges Herangehen, JH] erfunden ist. So erweist sich die vorherrschende Auffassung über den Gegenstand der Disziplin Software Engineering als konstruierte Realität. Sie ist brauchbar, um bestimmte Aspekte der Softwareentwicklung zu verstehen, und versagt bei anderen. Daher ist es wichtig, ihr andere Sichten gegenüberzustellen." (Floyd 1989, 9) "Andere Sichten gegenüberzustellen" so könnte ich auch mein Anliegen umschreiben. ‘Gegenüberzustellen’ soll meinen ‘ergänzen’ oder auch ‘ausprobieren’, nicht jedoch ‘ersetzen’.

Floyd bezieht sich positiv auf den Begriff Design [3]: "Nach meiner Auffassung geht es bei der Softwareentwicklung primär um eine spezifische Ausprägung von Design. Unter Design verstehe ich insgesamt den kreativen Vorgang, in dem das Problem erschlossen, eine zugehörige Lösung erarbeitet und in menschliche Sinnzusammenhänge eingepaßt wird." (ebd., 2) Mein Anliegen findet sich in ihrem Begriff Designentscheidung: "Design besteht aus einem Geflecht von Designentscheidungen, die in ihrer Gesamtheit einen Lösungsvorschlag ausmachen. Sie verknüpfen Anliegen mit Mitteln im Hinblick auf das Erreichen von jeweils gültigen Zielen." (ebd., 13) Floyd betont die Eigenart der je spezifischen Entscheidung, ihre Individualität. Diese liege im Zustandekommen begründet: "Ihr Zustandekommen ist für den individuellen Design-Prozeß spezifisch, es ist nicht vom vorgegebenen Problem determiniert." (ebd.) Und weiter: "Design ist durch die Perspektive seiner Träger, und durch die ihnen auferlegten Vorgaben bestimmt." (ebd.) Diesen Aspekt möchte ich genauer untersuchen. Wie kommen "Träger" unter "Vorgaben" zu "Designentscheidungen"? Mein Blick soll sich stärker auf den Prozeß der Entscheidung richten: Wer verknüpft wie und warum, wessen Anliegen, welche Ziele, auf welche Art und Weise. Das subjektive Moment soll Ausgangspunkt meiner Untersuchung dieser "Designentscheidungen" werden.

Im weiteren berührt Floyd diesen Zugang zum Entscheidungsproblem, ohne ihn explizit zum Thema zu machen [4]: "Design beruht auf einer Fülle von aufeinander Bezug nehmenden Unterscheidungen darüber, was ‘gut’ (wünschenswert) ist." (ebd., 13) ‘Gut’ drückt eine subjektive Bewertung aus, gut für wen? ‘Gut’ stellt die Frage nach dem Blickwinkel [5] der Urteilenden.

Floyd entwickelt die Grundlagen dialogischer Softwareentwicklung [6]. "Wir können uns für das DU entscheiden und ihm Raum geben." (ebd., 14) Entscheidung wird in einer anderen Perspektive zum Thema. War es vorher die Betrachtung der Entscheidung während der Entwicklung von Software, so ist es jetzt ein Appell an die Lesenden (Hörenden, denn im Original handelt es sich um einen Vortrag). Sie werden unmittelbar aufgefordert ‘sich zu entscheiden’. Der Vortrag wird zum Appell. Wir können uns entscheiden. Das Subjekt (‘wir’) wählt. Wir können uns allerdings auch gegen das DU entscheiden. Warum entscheiden wir uns so oder so – die Frage nach den Gründen steht im Raum. "Wie wir wissen, wird Softwareentwicklung im großen Ausmaß als Instrument zum Ausüben von Macht und Kontrolle benutzt, Softwareprojekte werden bürokratisch angeleitet und über Werkzeuge gesteuert, Teamarbeit ist durch Rivalitäten und Aneinander-Vorbeiarbeiten gekennzeichnet." (ebd., 14) Floyd thematisiert die Bedingungen unter denen wir Entscheidungen fällen – die realen Machtverhältnisse. Sie beendet ihre Darstellung: "Wir sind aber nicht gezwungen, dies als unabänderlich anzusehen." (ebd.) Erneut ein Appell – ‘nutzt Eure Entscheidungsfreiheit!’

Ich glaube hier eine Differenz zu meiner Sicht wahrzunehmen. Mit den distanzierten Beschreibungen des Designprozesses stimme ich überein. Im Appell scheint mir ein etwas anderer Akzent zu liegen. Das mag eine Überinterpretation sein, ich nutze sie zur Vor-Sicht auf die Argumentation im folgenden. An dieser Stelle ist nicht deutlich, daß die Bedingungen vor deren Hintergrund wir uns entscheiden ja auch Entscheidungen sind – Entscheidungen in geronnener Form –, die wir und andere aus bestem Wissen und Gewissen getroffen haben. Für Floyd gilt: wir entscheiden uns jetzt es anders zu machen und haben damit die Möglichkeit zu verändern. Sie macht den Aspekt der Freiheit der Entscheidung stark. Ich möchte den Akzent verschieben. Die schlechten Bedingungen von heute sind unsere Entscheidungen von ‘gestern’, sie sind von unserer subjektiven Logik geprägt. Wir können sie nicht ‘an die Seite schieben’ und alles anders machen. Es sind nicht nur die schlechten Bedingungen, die uns im Wege stehen, es ist die subjektive Logik der Entscheidungen, die zu diesen Bedingungen geführt haben, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Wir müssen uns ‘durch sie hindurch’ arbeiten. In diesem Sinne gibt es nicht ein ‘erst handeln’ und dann ‘verändern’, jedes ‘Handeln’ ist ‘Veränderung’. Ich werde versuchen diesem Aspekt Rechnung zu tragen.

Mein Thema sind Designentscheidungen in der Softwareentwicklung. Wie ist das Verhältnis von Trägern der Entscheidung, ihren Perspektiven und den auferlegten Vorgaben zu fassen? Wie läßt sich die Freiheit der Entscheidung und die subjektive Logik der bisherigen Entwicklung vermitteln? Kurz und gut: wie ist das Subjekt [7] im Kontext der Softwareentwicklung zu begreifen? Genauer: Wie ist der Standpunkt des Subjekts in einer Betrachtung der Software-Entwicklung durchzuhalten?

Begründungsdiskurs als Mittel der Betrachtung

Bisher habe ich versucht den Ort meiner Betrachtungen zu umreißen: Designentscheidungen als Handlungen von Subjekten. Wie soll die Frage angegangen werden? Gesucht ist eine Position, die erstens die Subjekte zum Ausgangspunkt macht und es zweitens ermöglicht, dem je spezifischen Kontext Rechnung zu tragen. Ich werde im folgenden untersuchen, wie weit der Ansatz der Kritischen Psychologie [8], die von sich als ausgezeichnete "Psychologie vom Standpunkt des Subjekts" (Holzkamp 1991, 5) spricht, für meine Fragestellung trägt. Genauer: ich werde mit diesem Ansatz arbeiten, um am Schluß der Arbeit ihre Tragfähigkeit für meine Ausgangsfragestellung zu bewerten.

Zunächst möchte ich versuchen wesentliche Züge des Konzeptes anzureißen. In einem programmatischen Aufsatz "Was heißt ‘Psychologie vom Subjektstandpunkt’?" (ebd.) umreißt Klaus Holzkamp die wesentlichen Momente ‘subjektwissenschaftlicher Theoriebildung’. "Psychologie vom Standpunkt des Subjekts" (ebd.) sei kein Randphänomen, sondern strategischer Ausgangspunkt: "Diese Formulierung ist keineswegs lediglich eine sprachliche Variante, sondern verweist auf relativ weitgehende und radikale Schlußfolgerungen darüber, wie subjektwissenschaftliche Theorien zu bilden sind, welche Art von Wissenschaftssprache dabei zu entwickeln ist und auf welche Art von ‘Empirie’ sich die so gefaßten theoretischen Konzepte beziehen." (ebd.) Der Subjektstandpunkt (s.u.) sei keine axiomatische Voraussetzung dieses Ansatzes, sondern Ergebnis einer ‘funktional-historischen Analyse’. Um zu einer wissenschaftlich fundierten Grundlegung der Begriffe der Psychologie zu gelangen, sei der "Zusammenhang zwischen individuellem Lebensprozeß und gesellschaftlichem Prozeß historisch" rekonstruiert worden (ebd., 6). Der naturhistorische Menschwerdungsprozeß stelle das Zentrum dieser Rekonstruktion dar. Ergebnis dieser Rekonstruktion sei, daß auf der Ebene gesellschaftlicher Selbsterhaltungssysteme eine Lockerung der Verzahnung von individueller und gesellschaftlicher Reproduktion eingetreten sei. "Dadurch werden die gegenständlichen gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhänge aus Handlungsdeterminanten zu bloßen gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten für das Individuum:…" (ebd.) Das Individuum "kann sich zu diesen [gesellschaftlichen Einflüssen, JH] bewußt ‘verhalten’." (ebd.) Grundsätzlich formuliert: "Das individuelle Subjekt entzieht sich als solches durch seine Möglichkeit des bewußten ‘Verhaltens’ zu den Bedingungen seiner vollständigen ‘Bedingtheit’." (GdP, 345) Dies bedeute nicht, daß das Individuum beliebig handeln könne, es sei zwar nicht bedingt in seinem Handeln "so ist dieses Handeln (…) dennoch vom Standpunkt des Subjekts nach Maßgabe seiner Lebensinteressen in den Verhältnissen als Handlungsprämissen ‘begründet’." (Holzkamp 1991, 6)

Damit ist ein entscheidender Schritt in der Entwicklung einer subjektwissenschaftlichen Begrifflichkeit für die Untersuchung der Designentscheidungen getan. Subjektivität bedeutet: Nicht durch Bedingungen determiniert oder ganz frei, sondern unter Bedingungen begründet. In den Begründungen realisiert sich meine Absichtlichkeit, meine Intentionalität – hier hat meine subjektive Logik ihren Platz. Im Konzept der "subjektiven Handlungsgründe" sind objektive Lebensbedingungen und Subjektivität verschränkt: "Der Charakter dieses Konzepts als ‘Vermittlungskategorie’ liegt darin, daß (…) ‘Bedingungen’ und ‘Gründe’ hier nicht äußerlich gegenübergestellt, sondern Begründungszusammenhänge im ‘Medium’ von Bedeutungsstrukturen und deren Repräsentanz in Denk- und Sprachformen als ‘subjektiv’-handlungsrelevanter Aspekt der Bedingungszusammenhänge gefaßt sind." (GdP, 348) Holzkamp führt den zentralen Begriff des Begründungsdiskurses ein: "Die damit akzentuierte Ebene ‘subjektiver Handlungsgründe’ stellt unserer Auffassung nach eine generelle Vermittlungsebene zwischen den gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen und individueller Lebenstätigkeit dar: Psychische Funktionen in ihrer menschlichen Spezifik vollziehen sich im ‘Begründungsdiskurs’, der den unspezifischen ‘Bedingtheitsdiskurs’ in sich aufhebt und überschreitet." (Holzkamp 1991, 6)

Als Konsequenz einer Eigenschaft von Gründen ist der ‘Standpunkt des Subjekts’ analytisch eingeholt: "Die Besonderheit der Handlungsbegründungen gegenüber den unvermittelten Bedingungen liegt darin, daß Begründungen nur vom Standpunkt des Subjekts aus möglich sind: Gründe sind immer ‘erster Person’, d.h. ‘je meine’ Gründe." (ebd.) Der Subjektstandpunkt als Konsequenz einer historischen Rekonstruktion der gesellschaftlichen Natur des Menschen macht es möglich diesen näher zu bestimmen. Er wird aus dem Status einer ‘deutungswissenschaftlichen Letztheit’ herausgehoben. "Vom ‘Standpunkt des Subjekts’ ist hier also stets im Kontext des Begründungsdiskurses die Rede, der nur von ‘je meinem’ Standpunkt aus praktizierbar und denkbar ist." (ebd., 7) Insofern müsse sich "Psychologie im Begründungsdiskurs, also vom Subjektstandpunkt" aus konstituieren (ebd.).

Für die Kritische Psychologie stellt sich die Frage, wie sie mit anderen Ansätzen umgeht, was für eine Verständnis sie von Theoremen anderer psychologischer Theorien entwickelt. Im Gegensatz zum Begründungsdiskurs hätte traditionelle Psychologie im Bedingtheitsdiskurs ihr Medium. Sie fände in der Form gesetzt-setzender Wenn-dann-Aussagen statt. Da so menschliche Subjektivität zwar theoretisch unterlaufen ist (s.o.), in praktischen Erprobungen, Experimenten jedoch real stattfände, müßten sich in den Gesetzesaussagen traditioneller Theorien verdeckte Begründungsmuster finden. Somit wäre ein Standpunkt für die Reinterpretation gefunden (vgl. Holzkamp 1986). Holzkamp entwickelt ein Instrumentarium für das Entdecken solcher Begründungsmuster: "Um prüfen zu können, wieweit eine vermeintliche empirische Hypothese tatsächlich ein ‘Begründungsmuster’ (…) darstellt, wurden von mir zwei Kriterien angewendet: Einmal das Einschieben der Formel ‘vernünftigerweise’ zwischen die Wenn- und die Dann-Komponente, …; zum anderen die Einfügung des Wortes ‘nicht’ als ‘Gegenprobe’" (Holzkamp 1991, 9) Zur Erläuterung zwei Beispiele: Eine echte Gesetzaussage: ‘Wenn es blitzt donnert es etwas später.’ Ich füge ‘vernünftigerweise ein: ‘Wenn es blitzt donnert es vernünftigerweise etwas später.’ Der Un-Sinn ist offensichtlich. Nicht der Donner entscheidet (vernünftigerweise), daß es jetzt Zeit wäre zu donnern. Er ist durch den Blitz verursacht. Er ist nur die Wirkung des Blitzes und keine Entscheidungsinstanz. Es handelt sich nicht um eine Frage der Vernunft. Ich füge ‘nicht’ ein: ‘Wenn es blitzt donnert es etwas später nicht.’ Diese Aussage würde vernünftigerweise (!) als Gegenteil akzeptiert, entweder die eine Aussage gilt oder die andere. Jetzt versuche ich es mit einem als Wenn-dann-Aussage getarnten Begründungsmuster: ‘Wenn es warm ist lege ich mich in die Sonne.’ Mit ‘vernünftigerweise’: ‘Wenn es warm ist lege ich mich vernünftigerweise in die Sonne.’ Es ist einsichtig, daß es vernünftig ist, sich bei Wärme in die Sonne zu legen, und nicht bei Kälte, denn ich möchte nicht frieren [9]. Die Gegenprobe: ‘Wenn es warm ist lege ich mich nicht in die Sonne.’ Dieser Fall scheint mir etwas komplizierter. Die Aussage drückt, insofern sie als richtig erkannt ist, lediglich aus, daß im ersten Fall die Prämissen nicht ausreichend geklärt waren. Die ‘nicht’-Aussage stellt die Rückfrage: ‘Warum legt sich jemand bei Wärme nicht in die Sonne?’ Vielleicht, weil es zwar warm ist, die Sonne jedoch nicht scheint, es sich um ein besonderes Klima handelt? Dann würde die zweite Aussage lauten: ‘Wenn es warm ist und die Sonne aufgrund des Klimas nicht scheint, lege ich mich nicht in die Sonne.’ Durch die Prämissenaufklärung wäre der Widerspruch zur ersten Aussage verschwunden. (Vgl. mit anderen Beispielen Holzkamp 1986) Mit diesem Instrumentarium ist im weiteren zu entscheiden, auf welcher Ebene eine Theorie formuliert ist, mit ihm können verdeckte Begründungsmuster herausgearbeitet werden.

Der Methodendualismus in der Psychologie – verstehende und erklärende Psychologie – sei so in der Tendenz zu überwinden: "Vielmehr müssen wir den Begründungsdiskurs als universelle Grundlage und Medium psychologischer Wissenschaftssprache anerkennen, also wissenschaftliche Theorien in einer Weise bilden, durch welche die Ebene des Subjektstandpunktes im Medium subjektiver Handlungsbegründungen nicht verlassen wird." (Holzkamp 1991, 12) Und für den Gegenstand der Wissenschaft heißt das: "Gegenstand der Psychologie ist in dieser Sicht vielmehr die Welt, wie jeweils ich sie erfahre, als Fluchtpunkt meiner möglichen Verständigung mit anderen darüber, was dieser oder jener Weltaspekt für uns bedeutet und welche Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten sich daraus ergeben." (ebd., 12f.) Einer der Schwerpunkte der Psychologie sei: "… die Notwendigkeit der Bildung psychologischer Begriffe, in denen Handlungsbegründungen, damit die gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen sie jeweils funktional sind, nicht abgeschnitten, sondern themenzentriert konzeptualisierbar werden." (ebd., 17)

Was ist damit für meine Untersuchung gewonnen? Eine Plausibilitätsüberlegung: Subjektivität läßt sich nicht in Form von Bedingtheit fassen. In dem Moment, in dem ich erkläre, warum jemand unter den und den Bedingungen so und so handeln muß, ist seine Subjektivität, seine Freiheit verschwunden. Subjektivität besteht gerade im ‘ich entscheide selbst’-Moment. Genau dieses Problem, das ich als Subjektivität bezeichnet habe, meint auch der Begriff ‘Entscheidung’, oder in meinem Zusammenhang ‘Designentscheidung’.

Diese Plausibilitätsüberlegung hindert mich einen bestimmten Gang in der weiteren Argumentation einzuschlagen. Ich kann nicht aus dem Kontext – Softwareentwicklung – die Konsequenzen für die Designentscheidungen ableiten. Das würde die Logik der ‘Entscheidung’ unterlaufen. Die erste und offensichtliche Alternative – keine Bedingtheit, sondern Freiheit des Subjekts – würde dazu führen, daß meine Untersuchung hier endet [10]. An dieser Stelle greift die Konzeption der Kritischen Psychologie. Die logisch-strukturelle Plausibilitätsüberlegung zu ‘Entscheidung/Subjektivität’ wird durch eine funktional-historische Rekonstruktion fundiert. Mit dem Konzept Begründungsdiskurs wird das für die weitere Betrachtung wesentliche Medium entwickelt. Der Begründungsdiskurs ist das Medium der Subjektivität. Zudem kann ich die ‘vernünftigerweise’- und ‘nicht’-Einsetzung übernehmen, um Theorien, mit denen ich im folgenden konfrontiert werde, zu untersuchen.

Durch den Bezug auf die Arbeiten der Kritischen Psychologie verändert sich die klassische ‘Versuchsanordnung’. Kontext und Subjekt verlassen die Plätze von unabhängigen und abhängigen Variablen. Der Kontext wird zum Gegenstand der Untersuchung. Das Medium der Subjektivität wird vermessen [11]. Ich kann meine Fragestellung dahingehend weiterentwickeln, daß ich nach der Vermittlung von Handlungsprämissen (subjektive Form dieses bestimmten Kontextes) und Handlungen im Begründungsdiskurs – in der Form von Gründen – frage.

Soweit meine – ausführlichen – Betrachtungen zum Begründungsdiskurs. Im weiteren werde ich mich mit Theorien menschlichen Handelns befassen, die in der Informatik benutzt werden. Aus den bisherigen Ausführungen habe ich versucht einen Standpunkt für die weiteren Betrachtungen zu gewinnen.


[1] Daß dieser Weg nie gänzlich abgeschlossen ist – sei es in Form der Wartung, sei es in Form einer neuen Generation –, obwohl er immer wieder einen Abbruch findet, finden muß – im Programm selbst –, sei hier vorausgesetzt, wird aber im weiteren keine entscheidende Rolle spielen. Meine Betrachtungen liegen quasi quer dazu.

[2] Erwähnt seien nur ihr Forschungeaufenthalt in Palo Alto zum Thema ‘Erkenntnistheoretische Grundlagen der Softwareentwicklung’, die Initiative und Organisation der Tagung ‘Software Development and Reality Construction’ vom 26.–30.6.1988 in Schloß Eringerfeld (vgl. Floyd 1989, 1) und die Entwicklung von ‘STEPS – Softwaretechnik für Evolutionäre Partizipative Systementwicklung’ (vgl. Reisin 1989).

[3] Sie bezieht sich bewußt auf einen englischen Begriff, um unpassende Enge oder Weite der deutschen Übersetzungen zu vermeiden: "Es ist nicht einfach die gemeinte Bedeutung auf Deutsch auszudrücken. Um die erforderliche Reichhaltigkeit zu gewährleisten, müssen wir ‘Design’ auf das Paar ‘Entwurf’ und ‘Gestaltung’ abbilden. ‘Entwurf’ allein genügt nicht, weil wir in der Regel Entwurf und Realisierung trennen. Wir entwerfen etwas. Das Ergebnis (der Entwurf) wird anschließend realisiert. ‘Gestaltung’ meint zwar auch Realisierung, erscheint aber im Zusammenhang mit rein technischen Aspekten künstlich." (ebd., 10)

[4] In den psychologisch-philosophischen Positionen, auf die sich Floyd bezieht, (s.u.) wird dieser Aspekt sicher ausführlich behandelt.

[5] Anstelle von ‘Blickwinkel’ hätte ich eigentlich auch ‘Perspektive’ schreiben können. Eigentlich!? Floyd bezieht sich auf einen spezifischen erkenntnistheoretischen Kontext: "… beziehe ich mich im folgenden nur auf konstruktivistische Auffassungen" (ebd., 6), genauer: den Radikalen Konstruktivismus von v. Foerster, v. Glasersfeld, Maturana/Varela u.a. (vgl. ebd., 1). ‘Perspektive’ ist ein Schlüsselbegriff für diese Position: "Eine Perspektive ist die Gesamtheit von Annahmen über relevante Aspekte eines interessierenden Gegenstandsbereichs aus einem gemeinsamen Blickwinkel [!]. Perspektiven sind nicht an Personen gebunden." (ebd., 7) Ich wähle den Begriff des Blickwinkels. Er scheint mir eher die Bindung an ein Subjekt wiederzugeben als die ‘apersonale’ Perspektive.
Wie sich insgesamt der von mir wiedergegebene und benutzte Ansatz der Kritischen Psychologie (s.u.) und Floyds konstruktivistische Position zueinander verhalten, ist für mich schwer zu beurteilen. Wenn überhaupt, so ließe sich erst am Ende meiner Arbeit abschließend etwas dazu sagen. Die daraus entstehende punktuelle begriffliche Unschärfe, Doppelbödigkeit ist, ohne das Thema um eine erkenntnistheoretischen Untersuchung zu erweitern, kaum zu vermeiden.

[6] Durch den Ausdruck ‘Dialog’ ist Martin Buber anwesend. Auf ihn bezieht sich Floyd ausdrücklich: "Dieser Schritt zum Dialogischen ist von entscheidender Bedeutung bei der Umsetzung von konstruktivistischen Vorstellungen im Umgang mit anderen." (Ebd., 9) In der Fußnote zu "Dialogischen" verweist sie auf ihn. Floyd übersetzt Bubers Diktum ‘der Mensch wird am DU zum ICH’ mit "Dialog bedeutet, die Perspektive des anderen anzunehmen." (ebd.)

[7] Spätestens hier – wo das Subjekt ausdrücklich zum Thema erhoben wird – ist etwas zum Begriff zu sagen. Ich appelliere zunächst an das Vorverständnis des Lesers und der Leserin, in der Hoffnung, daß ‘irgendwie schon verständlich ist’ was ich meine. Auf diesem Verständnis fußt Kommunikation m.E. wesentlich eher als auf Definitionen – das gilt auch für wissenschaftliche Texte. Trotzdem sei hier eine grobe Beschreibung des Begriffs ‘Subjekt’ angeboten: "im neueren sinne bedeutet es dann auch das erlebende, vorstellende, erkennende, fühlende, wollende wesen im gegensatz zu den objecten des erlebens, erkennens, handelns," (Grimm 1942, 813). Zur Ausdifferenzierung der Gruppe der Subjekte macht Floyd auf den Unterschied von "dialogischem Entwurf" und "dialogischer Gestaltung" aufmerksam (Floyd 1989, 15). Subjekte des ‘dialogischen Entwurfs’ seien die ‘Entwickler’ (ebd.), Subjekte der ‘dialogischen Gestaltung’ Entwickelnde und Benutzende.

[8] Die Kritische Psychologie ist eine Schule, die sich ausgehend von den Studierendenprotesten des Jahres 1968, um das Psychologische Institut der FU Berlin formiert hat (zur Geschichte vgl. Holzkamp 1972 und Maiers 1986). Ihre theoretische Konzeption – verstanden als eine Grundlegung der psychologischen Begrifflichkeit – fließt zusammen in Klaus Holzkamps Buch Grundlegung der Psychologie. Dort finden sich Hinweise auf weitere Arbeiten und Quellen dieses Ansatzes.

[9] Es erscheint mir wichtig, deutlich zu machen, daß es sich hier um die Vernunftfähigkeit einer Aussage handelt, nicht um eine Norm was vernünftig ist und was nicht. Die Aussage über den Donner ist weder vernünftig noch unvernünftig, sie ist nicht vernunftfähig!

[10] Ich könnte noch, wie Floyd, einen Appell anschließen.

[11] Ein Problem ist damit noch ausgeklammert. Das Medium der Subjektivität ist nicht die Subjektivität selbst. Diese ist nicht ‘vermeßbar’. Subjektivität wird nur durch ‘meine’ im Forschungskontext anwesende Subjektivität erreicht. Die Schranke von Forscher/Betrachterin und Betroffene/Beobachteter fällt. Damit ist methodologisch eine Eigenschaft des Gegenstandes eingeholt: "Der Forschende ist hier, indem er ‘subjektive’ Gegebenheiten in verallgemeinerter Form wissenschaftlich erhellen will, notwendigerweise als ‘auch ein’ Subjekt von seinen eigenen Verfahren und Resultaten prinzipiell mitbetroffen." (GdP, 239) Betrachtungen, Analysen finden aus der Weltsicht des Subjektes statt. Die Leitfrage lautet: Wie läßt sich von einem ‘verallgemeinerten Subjektstandpunkt’ aus die Welt sehen? Das Konzept bietet die Möglichkeit, das ‘je ich’ mich an diese Stelle setze. Durch Autor, Leserin oder andere wird diese Leerstelle ausgefüllt.