Begründungsdiskurs als Mittel der Betrachtung Bisher habe ich versucht den Ort meiner Betrachtungen zu umreißen: Designentscheidungen als Handlungen von Subjekten. Wie soll die Frage angegangen werden? Gesucht ist eine Position, die erstens die Subjekte zum Ausgangspunkt macht und es zweitens ermöglicht, dem je spezifischen Kontext Rechnung zu tragen. Ich werde im folgenden untersuchen, wie weit der Ansatz der Kritischen Psychologie [8], die von sich als ausgezeichnete "Psychologie vom Standpunkt des Subjekts" (Holzkamp 1991, 5) spricht, für meine Fragestellung trägt. Genauer: ich werde mit diesem Ansatz arbeiten, um am Schluß der Arbeit ihre Tragfähigkeit für meine Ausgangsfragestellung zu bewerten. Zunächst möchte ich versuchen wesentliche Züge des Konzeptes anzureißen. In einem programmatischen Aufsatz "Was heißt ‘Psychologie vom Subjektstandpunkt’?" (ebd.) umreißt Klaus Holzkamp die wesentlichen Momente ‘subjektwissenschaftlicher Theoriebildung’. "Psychologie vom Standpunkt des Subjekts" (ebd.) sei kein Randphänomen, sondern strategischer Ausgangspunkt: "Diese Formulierung ist keineswegs lediglich eine sprachliche Variante, sondern verweist auf relativ weitgehende und radikale Schlußfolgerungen darüber, wie subjektwissenschaftliche Theorien zu bilden sind, welche Art von Wissenschaftssprache dabei zu entwickeln ist und auf welche Art von ‘Empirie’ sich die so gefaßten theoretischen Konzepte beziehen." (ebd.) Der Subjektstandpunkt (s.u.) sei keine axiomatische Voraussetzung dieses Ansatzes, sondern Ergebnis einer ‘funktional-historischen Analyse’. Um zu einer wissenschaftlich fundierten Grundlegung der Begriffe der Psychologie zu gelangen, sei der "Zusammenhang zwischen individuellem Lebensprozeß und gesellschaftlichem Prozeß historisch" rekonstruiert worden (ebd., 6). Der naturhistorische Menschwerdungsprozeß stelle das Zentrum dieser Rekonstruktion dar. Ergebnis dieser Rekonstruktion sei, daß auf der Ebene gesellschaftlicher Selbsterhaltungssysteme eine Lockerung der Verzahnung von individueller und gesellschaftlicher Reproduktion eingetreten sei. "Dadurch werden die gegenständlichen gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhänge aus Handlungsdeterminanten zu bloßen gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten für das Individuum:…" (ebd.) Das Individuum "kann sich zu diesen [gesellschaftlichen Einflüssen, JH] bewußt ‘verhalten’." (ebd.) Grundsätzlich formuliert: "Das individuelle Subjekt entzieht sich als solches durch seine Möglichkeit des bewußten ‘Verhaltens’ zu den Bedingungen seiner vollständigen ‘Bedingtheit’." (GdP, 345) Dies bedeute nicht, daß das Individuum beliebig handeln könne, es sei zwar nicht bedingt in seinem Handeln "so ist dieses Handeln (…) dennoch vom Standpunkt des Subjekts nach Maßgabe seiner Lebensinteressen in den Verhältnissen als Handlungsprämissen ‘begründet’." (Holzkamp 1991, 6) Damit ist ein entscheidender Schritt in der Entwicklung einer subjektwissenschaftlichen Begrifflichkeit für die Untersuchung der Designentscheidungen getan. Subjektivität bedeutet: Nicht durch Bedingungen determiniert oder ganz frei, sondern unter Bedingungen begründet. In den Begründungen realisiert sich meine Absichtlichkeit, meine Intentionalität – hier hat meine subjektive Logik ihren Platz. Im Konzept der "subjektiven Handlungsgründe" sind objektive Lebensbedingungen und Subjektivität verschränkt: "Der Charakter dieses Konzepts als ‘Vermittlungskategorie’ liegt darin, daß (…) ‘Bedingungen’ und ‘Gründe’ hier nicht äußerlich gegenübergestellt, sondern Begründungszusammenhänge im ‘Medium’ von Bedeutungsstrukturen und deren Repräsentanz in Denk- und Sprachformen als ‘subjektiv’-handlungsrelevanter Aspekt der Bedingungszusammenhänge gefaßt sind." (GdP, 348) Holzkamp führt den zentralen Begriff des Begründungsdiskurses ein: "Die damit akzentuierte Ebene ‘subjektiver Handlungsgründe’ stellt unserer Auffassung nach eine generelle Vermittlungsebene zwischen den gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen und individueller Lebenstätigkeit dar: Psychische Funktionen in ihrer menschlichen Spezifik vollziehen sich im ‘Begründungsdiskurs’, der den unspezifischen ‘Bedingtheitsdiskurs’ in sich aufhebt und überschreitet." (Holzkamp 1991, 6) Als Konsequenz einer Eigenschaft von Gründen ist der ‘Standpunkt des Subjekts’ analytisch eingeholt: "Die Besonderheit der Handlungsbegründungen gegenüber den unvermittelten Bedingungen liegt darin, daß Begründungen nur vom Standpunkt des Subjekts aus möglich sind: Gründe sind immer ‘erster Person’, d.h. ‘je meine’ Gründe." (ebd.) Der Subjektstandpunkt als Konsequenz einer historischen Rekonstruktion der gesellschaftlichen Natur des Menschen macht es möglich diesen näher zu bestimmen. Er wird aus dem Status einer ‘deutungswissenschaftlichen Letztheit’ herausgehoben. "Vom ‘Standpunkt des Subjekts’ ist hier also stets im Kontext des Begründungsdiskurses die Rede, der nur von ‘je meinem’ Standpunkt aus praktizierbar und denkbar ist." (ebd., 7) Insofern müsse sich "Psychologie im Begründungsdiskurs, also vom Subjektstandpunkt" aus konstituieren (ebd.). Für die Kritische Psychologie stellt sich die Frage, wie sie mit anderen Ansätzen umgeht, was für eine Verständnis sie von Theoremen anderer psychologischer Theorien entwickelt. Im Gegensatz zum Begründungsdiskurs hätte traditionelle Psychologie im Bedingtheitsdiskurs ihr Medium. Sie fände in der Form gesetzt-setzender Wenn-dann-Aussagen statt. Da so menschliche Subjektivität zwar theoretisch unterlaufen ist (s.o.), in praktischen Erprobungen, Experimenten jedoch real stattfände, müßten sich in den Gesetzesaussagen traditioneller Theorien verdeckte Begründungsmuster finden. Somit wäre ein Standpunkt für die Reinterpretation gefunden (vgl. Holzkamp 1986). Holzkamp entwickelt ein Instrumentarium für das Entdecken solcher Begründungsmuster: "Um prüfen zu können, wieweit eine vermeintliche empirische Hypothese tatsächlich ein ‘Begründungsmuster’ (…) darstellt, wurden von mir zwei Kriterien angewendet: Einmal das Einschieben der Formel ‘vernünftigerweise’ zwischen die Wenn- und die Dann-Komponente, …; zum anderen die Einfügung des Wortes ‘nicht’ als ‘Gegenprobe’" (Holzkamp 1991, 9) Zur Erläuterung zwei Beispiele: Eine echte Gesetzaussage: ‘Wenn es blitzt donnert es etwas später.’ Ich füge ‘vernünftigerweise ein: ‘Wenn es blitzt donnert es vernünftigerweise etwas später.’ Der Un-Sinn ist offensichtlich. Nicht der Donner entscheidet (vernünftigerweise), daß es jetzt Zeit wäre zu donnern. Er ist durch den Blitz verursacht. Er ist nur die Wirkung des Blitzes und keine Entscheidungsinstanz. Es handelt sich nicht um eine Frage der Vernunft. Ich füge ‘nicht’ ein: ‘Wenn es blitzt donnert es etwas später nicht.’ Diese Aussage würde vernünftigerweise (!) als Gegenteil akzeptiert, entweder die eine Aussage gilt oder die andere. Jetzt versuche ich es mit einem als Wenn-dann-Aussage getarnten Begründungsmuster: ‘Wenn es warm ist lege ich mich in die Sonne.’ Mit ‘vernünftigerweise’: ‘Wenn es warm ist lege ich mich vernünftigerweise in die Sonne.’ Es ist einsichtig, daß es vernünftig ist, sich bei Wärme in die Sonne zu legen, und nicht bei Kälte, denn ich möchte nicht frieren [9]. Die Gegenprobe: ‘Wenn es warm ist lege ich mich nicht in die Sonne.’ Dieser Fall scheint mir etwas komplizierter. Die Aussage drückt, insofern sie als richtig erkannt ist, lediglich aus, daß im ersten Fall die Prämissen nicht ausreichend geklärt waren. Die ‘nicht’-Aussage stellt die Rückfrage: ‘Warum legt sich jemand bei Wärme nicht in die Sonne?’ Vielleicht, weil es zwar warm ist, die Sonne jedoch nicht scheint, es sich um ein besonderes Klima handelt? Dann würde die zweite Aussage lauten: ‘Wenn es warm ist und die Sonne aufgrund des Klimas nicht scheint, lege ich mich nicht in die Sonne.’ Durch die Prämissenaufklärung wäre der Widerspruch zur ersten Aussage verschwunden. (Vgl. mit anderen Beispielen Holzkamp 1986) Mit diesem Instrumentarium ist im weiteren zu entscheiden, auf welcher Ebene eine Theorie formuliert ist, mit ihm können verdeckte Begründungsmuster herausgearbeitet werden. Der Methodendualismus in der Psychologie – verstehende und erklärende Psychologie – sei so in der Tendenz zu überwinden: "Vielmehr müssen wir den Begründungsdiskurs als universelle Grundlage und Medium psychologischer Wissenschaftssprache anerkennen, also wissenschaftliche Theorien in einer Weise bilden, durch welche die Ebene des Subjektstandpunktes im Medium subjektiver Handlungsbegründungen nicht verlassen wird." (Holzkamp 1991, 12) Und für den Gegenstand der Wissenschaft heißt das: "Gegenstand der Psychologie ist in dieser Sicht vielmehr die Welt, wie jeweils ich sie erfahre, als Fluchtpunkt meiner möglichen Verständigung mit anderen darüber, was dieser oder jener Weltaspekt für uns bedeutet und welche Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten sich daraus ergeben." (ebd., 12f.) Einer der Schwerpunkte der Psychologie sei: "… die Notwendigkeit der Bildung psychologischer Begriffe, in denen Handlungsbegründungen, damit die gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen sie jeweils funktional sind, nicht abgeschnitten, sondern themenzentriert konzeptualisierbar werden." (ebd., 17) Was ist damit für meine Untersuchung gewonnen? Eine Plausibilitätsüberlegung: Subjektivität läßt sich nicht in Form von Bedingtheit fassen. In dem Moment, in dem ich erkläre, warum jemand unter den und den Bedingungen so und so handeln muß, ist seine Subjektivität, seine Freiheit verschwunden. Subjektivität besteht gerade im ‘ich entscheide selbst’-Moment. Genau dieses Problem, das ich als Subjektivität bezeichnet habe, meint auch der Begriff ‘Entscheidung’, oder in meinem Zusammenhang ‘Designentscheidung’. Diese Plausibilitätsüberlegung hindert mich einen bestimmten Gang in der weiteren Argumentation einzuschlagen. Ich kann nicht aus dem Kontext – Softwareentwicklung – die Konsequenzen für die Designentscheidungen ableiten. Das würde die Logik der ‘Entscheidung’ unterlaufen. Die erste und offensichtliche Alternative – keine Bedingtheit, sondern Freiheit des Subjekts – würde dazu führen, daß meine Untersuchung hier endet [10]. An dieser Stelle greift die Konzeption der Kritischen Psychologie. Die logisch-strukturelle Plausibilitätsüberlegung zu ‘Entscheidung/Subjektivität’ wird durch eine funktional-historische Rekonstruktion fundiert. Mit dem Konzept Begründungsdiskurs wird das für die weitere Betrachtung wesentliche Medium entwickelt. Der Begründungsdiskurs ist das Medium der Subjektivität. Zudem kann ich die ‘vernünftigerweise’- und ‘nicht’-Einsetzung übernehmen, um Theorien, mit denen ich im folgenden konfrontiert werde, zu untersuchen. Durch den Bezug auf die Arbeiten der Kritischen Psychologie verändert sich die klassische ‘Versuchsanordnung’. Kontext und Subjekt verlassen die Plätze von unabhängigen und abhängigen Variablen. Der Kontext wird zum Gegenstand der Untersuchung. Das Medium der Subjektivität wird vermessen [11]. Ich kann meine Fragestellung dahingehend weiterentwickeln, daß ich nach der Vermittlung von Handlungsprämissen (subjektive Form dieses bestimmten Kontextes) und Handlungen im Begründungsdiskurs – in der Form von Gründen – frage. Soweit meine – ausführlichen – Betrachtungen zum Begründungsdiskurs. Im weiteren werde ich mich mit Theorien menschlichen Handelns befassen, die in der Informatik benutzt werden. Aus den bisherigen Ausführungen habe ich versucht einen Standpunkt für die weiteren Betrachtungen zu gewinnen. |