Kapitel 2
Handlungsregulationstheorie – operativer und thematischer Aspekt menschlichen Handelns

Vorweg

Das Vorweg ist ein Vor-Weg. Es versucht den Weg im voraus zu zeichnen, es beinhaltet den ganzen Weg als Miniatur. Es zeichnet die Richtung aus, in die es gehen soll, und das Ziel, damit die Orientierung nicht schwindet. Als Vor-Weg ist es auch das Davor. Wie ein Anker versichert es des Ausgangspunktes, erst aus diesem wird die Richtung eine bestimmte Richtung. Und: der Beginn des Vor-Weges ist der Beginn des Weges als Miniatur, also das Vorweg selbst.

Das letzte Kapitel hat ein Herangehen, einen Standpunkt gewonnen – nicht mehr. Dieser Standpunkt, im Begründungsdiskurs hat er seine Form, ist leer. Das folgende Kapitel will ihn anfüllen. Dafür ist zunächst eine Füllung auszumachen. Das wird in meinem Fall die Handlungsregulationstheorie [1] sein. Sie ist auf ihre Eignung abzuklopfen, vertragen sich HRT und Begründungsdiskurs. Wenn das der Fall ist, ist zu klären, welche Prägung der Begründungsdiskurs durch die HRT erfährt. Welcher Aspekt menschlichen Handelns wird modelliert, wie steht es mit den anderen Aspekten? Im Abschluß des Kapitels soll die HRT selbst noch einmal zu Worte kommen. Wie das klassische Modell der HRT in den letzten Jahren ausgebaut worden ist wird mich beschäftigen. Es wird sich zeigen, ob Ausbau der HRT und meine Bemerkungen in eine ähnliche Richtung weisen, und die Frage wird zu stellen sein, was als Differenz übrig bleibt.

Warum die HRT? Ich werde nicht ‘die HRT’ betrachte (auch wenn es der Kürze halber manchmal so klingt), sondern nur eine bestimmte Schule, die Arbeiten um den Berliner Arbeitspsychologen Walter Volpert [2]. Ich glaube allerdings, daß die von mir angeschnittenen Aspekte so allgemeiner Natur sind, daß sie auch in Auseinandersetzung mit anderen Schulen der Handlungstheorie eine zentrale Rolle spielen. Ich beziehe mich auf die HRT, da sie in der Informatik verbreitet ist. In der Angewandten Informatik gehört sie zum ‘Handwerkszeug’ [3]. Sie ist nicht nur ein Konzept, sie ist in der Praxis erprobt, d.h. sie hat sich abgeschliffen und stellt selbst bereits ein Stückchen ‘Empirie’ dar. Als ‘informatiknützliche Psychologie’ ist sie eine der verbreitetsten Konzeptualisierungen menschlichen Handelns innerhalb der Angewandten Informatik. Grund genug sie zum Gegenstand zu machen.

Aus ihrer Heimat in der Psychologie ist schon an dieser Stelle eine Bestimmung, damit eine generelle Herangehensweise für das gesamte Kapitel zu gewinnen. Psychologie modelliert menschliches Handeln oder Verhalten. Ihre Begriffe beschreiben den Menschen. Es werden deshalb sehr allgemeine Bestimmungen gewonnen. Diese sind gesellschaftsneutral [4]. Psychologie verfährt oft so, daß diese neutralen Begriffe im nachhinein in ein gesellschaftliches Umfeld gesetzt werden. Der Mensch ist dann Mensch in seiner psychologischen Begrifflichkeit und wird danach in einer ihm äußerliche Gesellschaft zum gesellschaftlichen Menschen. Will ich dieses Dilemma [5] vermeiden, habe ich in meiner Begriffsentwicklung die der jeweiligen psychologischen Theorie innere Gesellschaftlichkeit zu entdecken, um so das Dilemma zu unterlaufen. Eine Richtung meiner Auseinandersetzung mit der HRT wäre vorgezeichnet. Durch die Hereinnahme ein Bedeutungskonzeptes werde ich versuchen das zu leisten. Zudem sollte schon aus dieser Betrachtung zum Thema Psychologie deutlich sein, daß die gewonnenen Begriffe relativ allgemein menschliches Handeln modellieren werden.

Die Handlungsregulationstheorie

Die Handlungsregulationstheorie (HRT) modelliert menschliches Handeln: "Autoren wie Hacker (…) und Volpert (…) haben es [das Modell der HRT, JH] in engem Zusammenhang mit der Ausführung von Handlungen dargestellt. Das Modell ist jedoch weit über diesen engeren Bereich hinaus anwendbar, und seine Fruchtbarkeit liegt gerade darin, daß es den Charakter eines allgemeinen Rahmens hat." (Volpert 1983, 38) Die Ausführung von Handlungen stehe im Vordergrund, das Modell sei aber allgemeiner. Bevor ich das Modell darstelle, um es mit den bisherigen Betrachtungen in den Zusammenhang zu setzen, will ich seinen Handlungs-Begriff betrachten. Ist es für meinen Zweck überhaupt sinnvoll mich mit der HRT zu beschäftigen? ‘Entscheidungsfreiheit’, ‘Subjektivität’ und ‘Umweltbezug’ – Begriffe aus dem letzten Kapitel – sollen als Heuristik dienen, um zu einem Vor-Urteil zu kommen.

"Mit Handlung werden diejenigen Formen menschlicher Aktivität bezeichnet, mit denen der Mensch zielgerichtet, intentional/bewußt auf die Umwelt einwirkt. Zielgerichtet bedeutet, daß der Handelnde sein Handeln auf zukünftige (‘Soll’-) Zustände seiner selbst oder seiner Umwelt ausrichtet. Bewußt meint, daß das Individuum sich prinzipiell dieser Ziele und der Wege dahin bewußt ist oder sie sich bewußt machen kann. … Auf die Umwelt einwirken heißt, die gegebenen Ausgangsbedingungen im Hinblick auf die eigenen Ziele zu verändern." (Dunckel 1986, 536) Der Umweltbezug scheint Bestandteil der HRT zu sein. "intentional/bewußt" und "im Hinblick auf die eigenen Ziele" drückt aus, daß (1) das Bewußtsein nicht von der Betrachtung abgeschnitten ist und (2) das Handlungssubjekt seine Ziele verwirklicht. Das Moment der Entscheidung schwingt in der Formulierung mit. Deutlicher noch ist es bei Seeger und Stadler [6]: "Als Handlung wird ein willensgesteuerter, zielgerichteter Akt bezeichnet, der durch einen Entschluß ausgelöst und dessen Ziel durch einen Vorsatz angestrebt wird." (1981, 199) Der Entschluß wird hervorgehoben, er ist ausdrücklich Moment der Handlung. Handeln aufgrund eines Entschlusses in einer Umwelt wird modelliert – Grund genug mich auf die Auseinandersetzung einzulassen.

Um nicht den vielen Beschreibungen der HRT [7] eine weitere (und sicher schlechtere) hinzuzufügen, wähle ich einen anderen Weg. Ich möchte das Modell als generative Grammatik darstelen [8], genauer: als kontextfreie oder Typ-2 Grammatik [9]. Ich glaube auf diese Art und Weise ihre Struktur besser freizulegen, die Rekonstruktion wird genauer. Das eigentliche Modell tritt hervor [10]. Die HRT wird im Kontext ihrer Entstehung sichtbar.

Eine Grammatik in diesem Sinne (HG) besteht aus vier Elementen:

HG = (N,T,P,S)

Das sind: eine Menge von Nichtterminalsymbolen (N), eine Menge von Terminalsymbolen (T, die Mengen N und T sind disjunkt), eine Menge von Produktionsregeln (P c {(T»N)+ ¥ (T»N)*} und für eine kontextfreie Grammatik: P c {N ¥ (T»N)+}) sowie ein Startsymbol S N. Meine These ist nun: Das Modell der HRT – ein Mensch generiert eine Operationsfolge um zu einem Ziel zu kommen – entspricht dem Generieren eines Wortes mittels einer kontextfreien Grammatik. Ich werde versuchen Analogien zwischen den Mengen der Grammatik und den Begriffen der HRT zu stiften. Der Menge der Terminalsymbole entsprechen die Operationen (das beobachtbare Moment einer Handlung). Am Ende einer Ableitung steht ein Wort aus Terminalen oder – analog – eine Kette von Operationen. Der Menge der Nichtterminale lassen sich ‘gedankliche Informationsprozesse’ (s.u.) zuordnen. Gemeint sind Transformationen der Umwelt, die zu allgemein sind, um Operationen zu sein, die diese aber kontrollieren – ‘Steuer-Begriffe’. So ist die Transformation ‘Wasserkochen’ (Wasser von Zimmertemperatur auf über 100° C erwärmen) zwar nicht direkt auszuführen, aber sie dient dazu eine Menge von Operationen mittelbar oder unmittelbar zu initiieren und zu kontrollieren: ‘Topf ergreifen’, ‘Herd anstellen’, … . Den Produktionsregeln entsprechen in meiner Analogie die sogenannten zyklischen Einheiten. Produktionsregeln bilden Nicht-Operations-Transformationen (Steuer-Begriffe) auf anderen Transformationen ab. Diese können ebenfalls Steuer-Begriffe oder Operationen sein: "Nach Volpert (…) bestehen zyklische Einheiten aus einem Ziel (Z) und Transformationen (T1,T2,T3,T4> usw.), mit Hilfe derer eine Person das angestrebte Ziel zu erreichen versucht. Diese Transformationen können beobachtbare Bewegungsmuster oder aber gedankliche Informationsprozesse sein." (Dunckel 1986, 538) Es fehlt nur noch das Startsymbol. Es stellt das zu erreichende Ziel dar. Zur Veranschaulichung ein kleines Beispiel einer Handlungsgrammatik und einer generierten Operationsfolge. Ziel des Unterfangens sei das ‘Wasserkochen’ [11]:

HG = (N,T,P,S)
N = {WASSERKOCHEN (1),
TOPF MIT WASSER FÜLLEN (2),
HERD AN (3),
TOPF AUF HERD (4),
WARTEN BIS WASSER KOCHT (5),
MIT WASSER FÜLLEN (6)}
T = {Topf greifen (7),
unter Hahn stellen (8),
Hahn öffnen (9),
Oberfläche beobachten (10),
Hahn schließen (11),
Regler greifen (12),
drehen (13),
loslassen (14),
Topf greifen (15),
auf Herd stellen (16),
Topf beobachten (17),
Herd abstellen (18)}
P = {WASSERKOCHEN –> TOPF MIT WASSER FÜLLEN, HERD AN,
TOPF AUF HERD, WARTEN BIS WASSER KOCHT
(1 –> 2,3,4,5);
TOPF MIT WASSER FÜLLEN –> Topf greifen, unter Hahn stellen,
MIT WASSER FÜLLEN;
(2 –> 7,8,6);
HERD AN –> Regler greifen, drehen, loslassen
(3 –> 12,13,14);
TOPF AUF HERD –> Topf greifen, auf Herd stellen, loslassen
(4 –> 15,16,14);
WARTEN BIS WASSER KOCHT –> Topf beobachten,
Herd abstellen
(5 –> 17,18)
MIT WASSER FÜLLEN –> Hahn öffnen, Oberfläche beobachten,
Hahn schließen
(6 –> 9,10,11)}
S = WASSERKOCHEN

Es ergibt sich folgende Ableitung [12]:

Die Operationssequenz sieht so aus:

Topf greifen –> unter Hahn stellen –> Hahn öffnen –> Oberfläche beobachten –> Hahn schließen –> Regler greifen –> drehen –> loslassen –> Topf greifen, auf Herd stellen –> Topf beobachten –> Herd abstellen.

Den Kern der Struktur stellt die zyklische Einheit dar. Ihre mehrfache Anwendung auf sich selbst ermöglicht es, mit einem einfachen Prinzip eine komplizierte Hierarchie zu konstruieren: "Jede der einzelnen Transformationen läßt sich ebenfalls als Einheit auffassen…" (Volpert 1983, 41) Jede Transformation kann Ziel einer Produktion sein. Etwas entscheidendes fehlt in der bisherigen Darstellung des Handlungsmodells als Grammatik: "Den Baustein dieser Struktur bildet die zyklische Einheit. … Ihr grundlegendes technisches Analogon ist der Regelkreis." (ebd.) Der Regelkreis ist die zweite wichtige Idee für das Verständnis des Modells. Wenn aufgrund einer zyklischen Einheit (Produktionsregeln) aus einem Ziel Transformationen generiert werden, wird nach der Durcharbeitung der Transformationen der Zustand der Umwelt mit dem angestrebten Ziel verglichen. Ist das Ziel ‘mit Wasser füllen’ beim ‘Hahn schließen’ noch nicht erreicht, kann nicht mit der nächsten Transformation fortgefahren werden, sondern es muß anders agiert werden.

Die Hierarchie stellt insofern nicht nur ein Generierungskonzept für Handlungen bereit, sondern auch einen abgestuften Kontrollplan. Für eine einzelne zyklische Einheit formuliert Volpert das Prinzip: "Das Modell nimmt nun einen bestimmten zeitlichen Ablauf an: Zuerst wird das Ziel abgebildet und dann die Folge der Transformationen – von der Start-Transformation bis zur vollendenden Transformation – erzeugt; dies ist die Generierung (…). Die Folge wird nun der Reihe nach vollzogen; dies ist das Durcharbeiten … Ist auch die vollendete Transformation durchgearbeitet, so findet eine Rückmeldung (…) statt: Ist die gewünschte Form der Beziehung zwischen Subjekt und Umwelt eingetreten? Wenn dies der Fall ist, ist die Einheit beendet." (ebd.) [13]

Einige Schlußfolgerungen lassen sich aus dem Bisherigen ziehen. Der Handlungsplan muß nicht sofort vollständig generiert werden. Die höheren Ziele müssen nur soweit erzeugt werden, daß mit den Operationen begonnen werden kann. Das sind in der Regel die ‘linkesten’ Transformationen des Ableitungsbaumes. Sodann muß der Baum nur soweit vervollständigt werden, daß mit den nächsten Operationen fortgefahren werden kann.

Die Begriffe ‘Ziel’ und ‘Operation’ sind relativ. Das Ziel ‘Wasser kochen’ ist sicher nur Bestandteil eines umgreifenderen Planes, vielleicht ‘Spaghetti kochen’, das wiederum nur Bestandteil eines noch umgreifenderen Planes ist, vielleicht… . So gesehen stellt höchstens der gesamte Lebensvollzug eines Individuums eine obere Grenze dar. Ebenso unscharf ist der Begriff ‘Operation’. Was im Beispiel als Operation fungiert ‘Hahn auf’ könnte ebenso als Ziel noch feinerer motorischer Aktivitäten formuliert werden. Hier wäre nach unten in der Physis des Körpers vieleicht eine absolute Grenze zu finden. Sobald ich versuche eine Formalisierung des Handlungsverlaufs vorzunehmen, bin ich gezwungen festzulegen, was in diesem Fall Operation und was Ziel ist. Als Anhaltspunkt scheint mir folgendes dienlich: Operationen sind die größten unbewußt, automatisch ablaufenden Vorgänge (das ist von Individuum zu Individuum unterschiedlich und verändert sich in der Zeit), Ziele sind die bewußt, willentlich gefällten Entscheidungen (ob ‘Wasserkochen’ ein gutes Beispiel ist, lasse ich offen). Die Transformationen dazwischen sind nicht ‘bewußtseinspflichtig’, aber ‘bewußtseinsfähig’ – sie bilden eine Art ‘Grauzone’. Ähnlich dieser Überlegung wird in der HRT von Regulationsebenen gesprochen: "1. Die sensumotorische Regulationsebene: Die unterste Regulationsebene ist der Bewegungsausführung unmittelbar vorgeschaltet. Ihre perzeptive Komponente besteht aus bewegungsorientierenden Abbildern, die die operative Komponente, den Bewegungsentwurf, aktivieren. Bewegungsorientierende Abbilder regulieren damit unselbständige Komponenten von Handlungsvollzügen sowie automatische Bewegungsabläufe", "2. Die perzeptiv-begriffliche Regulationsebene: Perzeptiv-begriffliche Vorgänge aktivieren Handlungsschemata, durch die selbständige Handlungen generiert werden" und "3. Die intellektuelle Regulationsebene: … werden auf der Grundlage komplexer begrifflich-intellektueller Analyse und Synthese komplexe Pläne und Strategien entworfen:…" (Seeger u.a., 222ff) [14]

Die generierten Operationen besitzen eine sequentielle Struktur (wie auch ein erzeugtes Wort). Die Generierung einer Operationsfolge erfolgt hierarchisch (wie die Baumstruktur einer Ableitung). "Genauer gefaßt bedeutet Hierarchie von Zielen eine Hierarchie von zyklischen Einheiten, wobei übergeordneten Zielen die untergeordneten Ziele als Transformationen dienen …" (Dunckel 1986, 540) und: "Handeln ist jedoch nicht ausreichend durch die hierarchische Gliederung von zyklischen Einheiten zu beschreiben, denn Handeln läuft ja tatsächlich nacheinander, in der Sequenz ab." (ebd.) Dieser Zusammenhang wird in der HRT als hierarchisch-sequentielle Regulation bezeichnet.

Soweit wäre das Grundkonzept dargestellt. Ich werde ein paar weitere Begriffe aus dem Feld der HRT ergänzen. Seeger u.a. wie auch Dunckel stellen ein Konzept Hackers dar: Das Operative Abbildsystem (OAS). Es gibt eine Antwort auf die Frage, wie die Gedächtnisleistungen beschaffen sein müssen, die Handeln ermöglichen. "Diejenigen Gedächtnisleistungen, die auf die Erfordernisse der konkret auszuführenden Tätigkeiten bezogen sind, werden von Hacker (…) als ‘operative Abbildsysteme (OAS)’, also Abbilder (oder innere Modelle) der aktuellen Umgebung, und der Handlungsmöglichkeit in ihr, bezeichnet." (ebd., 542) Über die Struktur heißt es: "Drei Komponenten lassen sich unterscheiden, die im OAS zusammengeschlossen sind: Ein Abbild des Ist-Zustandes der Umgebung, ein Abbild des Soll-Zustandes der Umgebung und ein Abbild der Tätigkeit, die den Ist-Zustand in den Soll-Zustand überführt." (Seeger u.a., 201) Der Bezug zum Regelkreis – bis hinein in die Terminologie – ist deutlich.

Ein anderer Begriff. Volpert spricht von direkter Erreichbarkeit: "Die ‘direkte Erreichbarkeit’ eines Zieles ist somit eine komplexe Konstellation, in welche die erforderliche Zahl und die Erreichbarkeit der jeweiligen Teilziele ebenso eingeht wie die kompensatorische Allgemeinheit des Ziels." (Volpert 1983, 44) Der Begriff steht – neben anderen – für den Versuch, den Zusammenhang zwischen verschiedenen Zielen, Teilzielen und Transformationen formaler zu fassen und damit besser zu verstehen. Direkte Erreichbarkeit ist eine Dimension eines Ziels (Betrachtungsgegenstand ist die zyklische Einheit). Sie besteht in der Anzahl der Teilziele, ihrer jeweiligen Erreichbarkeit und der kompensatorischen Allgemeinheit eines Zieles (die Möglichkeit auf anderen Wegen zum Ziel zu gelangen). Das Maß der direkten Erreichbarkeit ist ein Mittel, um zu verstehen, warum so und nicht anders entschieden wurde. Umgangssprachlich bedeutet der Ausdruck ‘dieses Ziel hat eine hohe direkte Erreichbarkeit’ es gibt viele Wege um zu diesem Ziel zu kommen und jeder Weg besteht aus wenigen Teilzielen, die alle gut umzusetzen sind.

Der Begriff des Denkens wird in der HRT aus der Perspektive des Handelns gewonnen: "Denken ist damit ein ‘Durchspielen’ von Handlungen, die man nicht tatsächlich ausführt, mit dem Ziel, den Generierungsprozeß zu optimieren." (ebd., 48) Eine Generierung mit virtuellen Operationen. So ist Denken nicht sinnieren, sondern ans Handeln gebunden. Denken empfängt aus dem Handeln sein Material und ist ‘Trocken-Handeln’.

Ich beende hier meinen kurzen Abriß der HRT. Ich denke die Grundidee ist deutlich und klar. OAS, direkte Ereichbarkeit und Denken zeigen, wie der Grundansatz weitere Ausarbeitungen prägt.

Handlungsregulationstheorie im Begründungsdiskurs

Der erste Schritt für die Untersuchung der vorgängig dargelegten HRT liegt auf der Hand. Mit Hilfe der ‘vernünftigerweise’- und ‘nicht’-Einsetzung werde ich versuchen, einen Anhaltspunkt für die Betrachtung zu gewinnen. Für diesen Zweck ist das ‘Wasserkochen’ Beispiel so gut wie jedes andere. ‘Wenn ich Wasser kochen will, muß ich zuerst den Topf mit Wasser füllen.’ Diese Wenn-dann-Aussage werde ich betrachten. ‘Wenn ich Wasser kochen will, muß ich vernünftigerweise zuerst den Topf mit Wasser füllen.’ Das ‘vernünftigerweise’ klingt nicht ‘schief’. Der Zusammenhang scheint einer der vernünftigen Weise zu sein, er scheint sich als Teil eines Begründungszusammenhangs auszuweisen. ‘Wenn ich Wasser kochen will, muß ich nicht den Topf mit Wasser füllen.’ Der Satz ist entweder Un-Sinn (d.h. im Raum des Sinnfähigen ohne Sinn) oder er stellt Fragen an das Subjekt der Handlung: Warum? Ist etwa schon Wasser im Topf? Gibt es einen Boiler? Die Fragen versuchen die Prämissen des Handlungssubjektes aufzuklären. Der Satz dient nicht der Widerlegung des ersten, sondern verweist auf unterschiedliche implizite Handlungsprämissen. Insofern ist die Klassifikation als Un-Sinn Ausdruck des Verstoßens gegen die ganz normalen, alltäglichen Handlungsprämissen, gegen die Voraussetzungen, die mir als so natürlich erscheinen, das ich sie nicht ausdrücklich erwähnen würde. Wenn es stimmt, daß das ‘Wasserkochen’-Beispiel die entscheidenden Züge aller HRT-Anwendungen trägt, ist ein starkes Indiz gefunden, die HRT im Begründungsdiskurs zu verorten – ohne daß sie selbst das ausdrücklich ausweist [15].

Diese Eingangsüberlegung soll im weiteren untermauert werden, zudem ist nocht zu klären, welches Moment des Begründungsdiskurses modelliert wird. "In den Konzepten über ‘Pläne’, ‘hierarchisch-sequentielle Handlungsorganisation’ nach dem ‘Rückmeldungsprinzip’ etc. ist nichts darüber ausgesagt, wie beliebige vorfindliche Individuen tatsächlich handeln, sondern wie man unter je gegebenen Prämissen ‘vernünftigerweise’ handelt, also auch lernt (bzw. handeln oder lernen sollte, s.u.)." (Holzkamp 1993, 163) [16] Wenn ich dieses Ziel (z.B. Wasserkochen) erreichen will, muß ich mich ‘vernünftigerweise’ so verhalten, wie ich es mit einem generierten Plan herausfinden kann. Der generierte Ablauf stellt eine vernünftige Operations-Reihenfolge zur Erreichung eines Zieles dar [17]. Dadurch, daß ich mir einen Plan vor Augen führe, wird er nach-denkbar. Ich kann mich mit der inneren, logischen Struktur meines Handelns auseinandersetzen. Laut Holzkamp ist das Ziel des ursprünglichen Modells von Miller, Galanter und Pribram: "… eine Konzeption zur deskriptiven Explikation von lebenspraktischen Planungsansätzen …" (ebd., 166) Implizites Wissen, das ich tagtäglich für meine Handlungen nutze, kann herausgehoben und beschrieben werden. Das Beispiel ‘Wasserkochen’ paßt da hinein. Das, was mir ‘so von der Hand geht’ wird beschreibbar. Für meine Begriffsbestimmung hätte ich auf einer sehr allgemeinen Ebene (planendes Handeln, Strategie) Kennzeichnungen für das Handeln von Individuen gewonnen, so daß "… Bestimmungen der HRT … als generelle Kennzeichen des Handelns vom Subjektstandpunkt explizierbar sind: So werden in meinen Handlungen – da ich bestimmte Teilaktivitäten vernünftigerweise vor bzw. nach anderen Aktivitäten vollziehe – bestimmte sequentielle Anordnungen erfordert sein; ebenso läßt sich der Umstand, daß ich dabei vernünftigerweise bestimte Über- und Unterordnungen berücksichtigen muß, als hierarchische Struktur meines Handlungsvollzugs kennzeichnen." (ebd.) Die hierarchisch-sequentielle Struktur der Handlungsoganisation wäre als allgemeines Kennzeichen eines ‘Handeln-zum-Ziel’ gewonnen und müßte in der weiteren begrifflichen Untersuchung mit aufgenommen werden.

Ganz so unproblematisch wie es bis jetzt scheint, verhält es sich nicht mit der Konzeption der HRT. Die Regulationsebenen [18] erwiesen sich für meine Absicht als sperrig. Verwies Holzkamp auf die für das Alltagshandeln zugeschnittene deskriptive Struktur der Theorie, so läßt sich ihre Weiterentwicklung als Versuch der begrifflichen Präzisierung für die Analyse von Arbeitshandlungen beschreiben. Die Regulationsebenen stellen solch eine Präzisierung dar. Die Worte ‘sensumotorisch’, ‘perzeptiv’, ‘intellektuell’ zeigen, daß hier neurophysiologisches und physiologisches Wissen benutzt wurde, um das Modell auszubauen. Da der Subjektstandpunkt im Ansatz nicht ausdrücklich angelegt ist, sondern ‘mitgedacht’ [19] wird, ist die Problematik dieses Ausbaus zunächst nicht sichtbar. Zwei unterschiedliche Weisen der Betrachtung – physiologisch und phänomenologisch – werden vermengt: "Die Unterscheidung zwischen ‘sensumotorischer’, ‘perzeptiv-begrifflicher’ und ‘intellektueller Handlungsregulation’ ist offensichtlich weniger auf Erfahrungsgegebenheiten vom Subjektstandpunkt rückbeziehbar, sondern stellt eher einen reifizierenden [verdinglichenden, jh] Schematismus vom ‘Standpunkt dritter Person’ dar, …" (ebd., 164) Vom Drittstandpunkt sind verschiedene physiologische Aspekte erforschbar. Von meinem Standpunkt, vom Subjektstandpunkt habe ich keinen Zugang zu den unterschiedlichen Ebenen. Ein gutes Beispiel für diese Differenz ist das Erlernen von Bewegungen: "Damit [mir dem Modell der Regulationsebenen, jh] wird (…) verkannt, daß im Bewegungslernen nicht lediglich ‘höhere Zentren’, sondern die Individuen selbst von der Kontrolle der Einzelbewegungen entlastet werden, …" (ebd., 289) Es handelt sich um die Automatisierung einer Bewegungshandlung [20]. Das Schalten beim Autofahren ist bei mir – aufgrund mehrjähriger Praxis – automatisiert. Phänomenal, vom Subjektstandpunkt heißt das: Ich brauche mich nicht mit dem Schalten zu befassen. Vom Drittstandpunkt, dem Modell der Regulationsebenen, heißt es: Die intellektuelle Regulationsebene ist frei für andere – planende, intellektuelle – Handlungen [21]. Es ließe sich die Frage stellen, ob denn nicht ‘Ich’ meine intellektuelle Regualtionsebene bin. ‘Ich’ wäre also wesentlich nichtoperativ gefaßt. Solche Erörterungen scheinen mir müßig, da die Problematik aus der Vermengung zweier begrifflicher Zugänge entsteht und gar nicht sinnvoll formuliert werden kann. Festgehalten werden soll lediglich, daß es sich bei den Regulationsebenen um Verdinglichungen vom Drittstandpunkt handelt, die so in meiner weiteren Betrachtung nicht aufgenommen werden können. Das Problem, das sie ansprechen – eventuell lösen –, verschwindet damit keineswegs. Auch wenn ich keinen irgendwie gearteten Übergang von meiner intellektuellen Ebene zu meiner operativen Ebene – vermittelt durch die perzeptiv-begriffliche – wahrnehmen kann, stelle ich mentale und motorische Dimensionen meines Handelns fest. Die Frage, wie ihr Verhältnis zu fassen sei, bleibt. Für meine Untersuchung – die Designentscheidung – rückt sie allerdings so in den Hintergrund, daß ich glaube, sie umgehen zu können.

Die hierarchisch-sequentielle Struktur meiner Handlungen wäre somit aufgehoben, die Regulationsebenen wären in ihrer Problemdimension, nicht in ihrer Modellbildung, behandelt. Was fehlt ist der Generator der Handlungsableitung, die zyklische Einheit. Wie komme ich vom Ziel ‘Wasserkochen’ zum Teilziel ‘Topf mit Wasser füllen’ und ‘warten bis es kocht’? Wie generiere ich aus dem Ziel Z die Transformationen T1 bis Tn? Eine Antwort stellt das OAS nach Hacker dar: "Drei Komponenten lassen sich unterscheiden, die im OAS zusammengeschlossen sind: Ein Abbild des Ist-Zustandes der Umgebung, ein Abbild des Soll-Zustandes der Umgebung und ein Abbild der Tätigkeit, die den Ist-Zustand in den Soll-Zustand überführt." (Seeger u.a. 1981, 201) Genau das suche ich! Der Ist-Zustand stellt die Umwelt dar, der Soll-Zustand mein Ziel und die Kette der Transformationen, meine gesuchten Teilziele, ist ebenfalls repräsentiert. Solche Einheiten, Komplexe dieser drei Komponenten, sollen im Gedächtnis gespeichert sein [22]. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, das, was ich gefunden habe, ist die Verdinglichung des Nachgefragten. Die Frage, wie denn die Generierung erfolgt, wird nicht beantwortet, sondern ein riesiger Speicher von festen Antworten wird angenommen, so daß die Fragerei hier ein Ende findet, ohne daß etwas erklärt wäre. Das Gesuchte wird in den Status eines existierenden Dinges gehoben (so verstehe ich den Begriff der Verdinglichung) [23]. Da die OAS keine Antwort auf die Frage nach der Herkunft der zyklischen Einheiten sind, versuche ich die Antwort durch einen Umweg, einen Exkurs, zu finden. Damit soll nicht gesagt sein, daß das Konzept der OAS nicht ausreiche die Handlungsregulation zu erklären. Es ist für diesen Zweck zugeschnitten. In dieser Zweckmäßigkeit verstellt es jedoch den Weg für die Aufklärung der Herkunft der zyklischen Einheiten. Meine Vermutung ist, daß auf der Ebene des Bewußtseins, welche in der HRT ausgezeichnet ist, komplizierte Sachverhalte zu erklären (hoher Stellenwert der intellektuellen Regulation, OAS als Gedächtniseinheiten), sich keine Antwort auf die Frage finden lassen wird. Der folgende Exkurs versucht die Rolle des Bewußtseins durch eine Betrachtung der Genese des Menschen auszuleuchten, den Stellenwert des Bewußtseins für den Menschen zu präzisieren. Damit wird eine Bemerkung der Einleitung des Kapitels wieder aufgegriffen. Im Vorgriff auf die Entwicklung des Kapitels war die Rolle der Gesellschaftlichkeit des Menschen problematisiert worden. Hier ist nun der Ort, sie einzubauen, besser: sie zu entdecken.

Exkurs: Das Baumeister-Biene-Beispiel

Die Aufklärung des folgenden Beispiels soll für meine Betrachtung eine neue Dimension des Problems freilegen. Ich möchte einen Bedeutungsbegriff gewinnen, der die Rolle des Bewußtseins bestimmt.

Im Kapitel Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß des ersten Bandes des Kapital (Marx 1890, 192f) findet sich das berühmte Beispiel: "Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister von der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zellen in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß." Mir geht es im folgenden um die Rezeption dieses Beispiels und nicht um seinen originären Kontext bei Marx. Das Beispiel besitzt für die HRT zentrale Bedeutung. Es wird mehrfach zur ‘Grundlegung’ benutzt, so daß seine Diskussion für die HRT relevant ist.

Hacker gewinnt im Anschluß an diese Textstelle wesentliche Grundbestimmungen der HRT: "Die Arbeitstätigkeit ist also [Bezug zum Zitat, jh] durch folgende psychologische relevante Eigenschaften gekennzeichnet:

1. Sie ist bewußte, zielgerichtete Tätigkeit;
2. gerichtet auf die Verwirklichung eines Ziels als vorweggenommenen Resultat (Produkt), das
3. vor dem Handeln ideell gegeben war;
4. sie wird willensmäßig auf das bewußte Ziel hin reguliert; …" (Hacker 1978, 54)

Auch dem Kapitel über Antriebsregulation: Die Zielgerichtetheit der Arbeitstätigkeit im selben Buch ist ein Teil des Marx-Zitates vorangestellt [24].

Seeger u.a. beziehen das Beispiel auf den Tier-Mensch Unterschied: "Die Handlung als Grundeinheit der psychologischen Analyse ist aufgrund ihrer ‘Bewußtsein’ erfordernden psychischen Regulationsgrundlage auf den Menschen beschränkt, …" (1980, 199) Der Unterschied von Mensch und Tier sei die bewußte Vorwegnahme des Ergebnisses der Handlung. Der Mensch weiß was er will. Er handelt, um das Ziel zu erreichen. Exakt dieser Aspekt wird von der HRT modelliert.

Auf den ersten Blick hat die Argumentation etwas für sich, sie ist plausibel [25]. Bevor ich mich auf die entwicklungsgeschichtliche Dimension einlasse, einige Überlegungen zur Struktur des Argumentes. Das Argument benennt einen Unterschied von Mensch und Tier – Bewußtsein [26]. Der Unterschied – es mag der zentrale sein – ist ein Unterschied. Das besagt, er ist nicht das Wesen des Menschen, er beansprucht nicht, der archimedische Punkt für Verständnis und Rekonstruktion des Menschen zu sein, er ist schlicht Unterschied [27]. Unterschied ist ein beschreibender Begriff, er geht nicht in die Tiefe, er faßt Vorgefundenes in seinem Sosein. So gesehen wäre es zumindest eine Überinterpretation der Textstelle, Bewußtsein zum Angelpunkt zu machen. Allerdings hätte jede andere Argumentation diese Unterscheidung von Tier und Mensch aufzuheben. Eine Erklärung der Menschwerdung, in deren Logik Bewußtsein sich nicht als Mensch-Tier-Differenz ausweisen ließe, wäre disqualifizert.

Was spricht dagegen, Bewußtsein in den Rang einer Ursache der Menschwerdung zu erheben? Gefragt ist hiermit nach der naturhistorischen Gewordenheit des Menschen, seiner Entstehung aus der Natur, aus den Tieren. Wäre Bewußtsein Motor [28] dieses Prozesses, so wäre Bewußtsein vor dem Menschen da, es würde ihn hervorbringen [29]. Das in der Natur existierende Bewußtsein würde den Menschen erschaffen. Ist Bewußtsein der Mensch-Tier Unterschied, so existiert es gerade nicht vor dem Menschen, kann ihn auch nicht hervorbringen. Bewußtsein ließe sich nicht erklären, da es seinen Träger – den Menschen – selber erzeugt, erst damit aber entsteht.

Holzkamp kommt für die Genese des Bewußtseins zu folgendem Ergebnis: "So ist also die Bereitschaft zur Beteiligung an kooperativen Lebensgewinnungsformen zunächst in der ‘natürlich-gesellschaftlichen’ Antriebs- und Bedürfnislage des Einzelnen verankert und damit der adäquate Beitrag der Organismen/Individuen zur neuen Form kollektiver Existenzsicherung vor aller Einsicht garantiert: Nur auf diese Weise ist das Zustandekommen des evolutionären Vermenschlichungsprozesses zu verstehen, an dessen Ende (…) dann die menschliche Möglichkeit zu ‘Bewußtsein’ und ‘Einsicht’ steht, die so auf den in seiner ‘Natur’ liegenden subjektiven Notwendigkeiten der Beteiligung des Menschen an gesellschaftlich vermittelter Existenzsicherung basiert und auf diese inhaltlich bezogen ist (…)." (GdP, 217) Bewußtsein als Ergebnis des Menschwerdungsprozesses. Bewußtsein sei inhaltlich bezogen auf die gesellschaftliche Existenzsicherung. "Die wesentliche Bestimmung des Bewußtseins in seiner menschlichen Spezifik ist vielmehr die auf der materiellen Grundlage der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Existenzsicherung entstehende ‘gnostische’ Welt- und Selbstbeziehung, in welcher die Menschen sich zu den Bedeutungsbezügen als ihnen gegebenen Handlungsmöglichkeiten ‘verhalten’ können, …" (ebd., 237) In einem Stadium individueller Verwobenheit in gesellschaftliche Existenzsicherung ist Bewußtsein das bewußte ‘Verhalten’ zu Handlungsmöglichkeiten, die in den Bedeutungen gegeben sind. Vorgängig für die Entstehung des Bewußtseins ist demnach die gesellschaftliche Vermitteltheit individueller Existenz und die Existenz von objektive Bedeutungen, die dem Menschen gegenüber stehen. D.h. Arbeit ist die zentrale Kategorie für die Menschwerdung [30]. Arbeit ist gesellschaftlich vermittelte Existenzsicherung und Arbeit stellt durch die Werkzeug-Benutzung und -Herstellung die Möglichkeit und Notwendigkeit der realabstraktiven (s.u.) Genese von Bedeutungen. In ihrer Keimform sind Bedeutungen ‘Verallgemeinertes-Gemachtsein-Zu’: "In der Herstellung müssen, wie dargelegt, die verallgemeinerten Gebrauchszwecke als Maßstab und zur Steuerung der Vergegenständlichung antizipiert werden." (ebd., 227)

Bedeutungen sind das Medium der Verwobenheit individueller und gesellschaftlicher Selbsterhaltung: "Die ‘Bedeutungen’ bilden duch die geschilderte ‘Synthese’ einmal ‘in sich’ einen Zusammenhang, in dem sich die Notwendigkeiten arbeitsteiliger gesamtgesellschaftlicher Lebensgewinnung ausdrücken, gleichzeitig aber ist über die Erfassung, Umsetzung und Änderung der Bedeutungen jedes einzelne Individuum in seiner personalen Existenz auf den gesamtgesellschaftlichen Lebenszusammenhang bezogen." (ebd., 234) Somit werden Bedeutungen zu einer zentralen Kategorie der weiteren Betrachtung: "…[Das, jh] ‘Bedeutungs’-Konzept … [ist, jh] die grundlegende individualwissenschaftliche ‘Vermittlungskategorie’ also Kategorie zur Erfassung der Vermittlung zwischen dem objektiv-ökonomischen und dem psychischen Aspekt der gesamtgesellschaftlichen Eingebundenheit individueller Existenz…" (ebd., 233f)

Zurück zum Baumeister-Biene-Beispiel. Der Baumeister, sogar der schlechteste, baut die Zelle im Kopf, was ihn vom Tier unterscheidet. Daß er die Zelle im Kopf bauen kann, verweist auf die Bedeutungsstruktur der Zelle, ihrer Elemente, die ‘für seinen Kopf’ bereitstehen. Daß Bedeutungsstrukturen bereitstehen, verweist auf die realabstraktive Genese einer Welt der Bedeutungen aus der Arbeit, aus gesellschaftlich vermittelter Arbeit. Über den Baumeister ist damit mehr ausgesagt, als auf den ersten Blick deutlich. Er ist ein gesellschaftlich existierendes Wesen. Diese Gesellschaft existiert durch, besser: in der Arbeit …

Obwohl Bewußtsein nicht die zentrale Kategorie der Menschwerdung geworden ist, ist seine Rolle als Unterschied zum Tier erklärt. Weil Tiere nicht arbeiten, haben sie kein Bewußtsein [31]. Die Aufgabe dieses Exkurses ist bewältigt, Baumeister und Biene verstanden, es kann im Hauptteil weitergehen.

Operativer und thematischer Aspekt menschlichen Handelns

Betrachtung und Exkurs sind nun zu verzahnen Die Frage, die mich bewog exkursiv auszuholen, war die nach der Grundlage der zyklischen Einheiten. Wo kommen die Einheiten (in der Grammatik die Regeln) her, die es erlauben einen komplexen Handlungsplan zu generieren? Das Konzept der OAS hatte ich verworfen. Meine These ist, daß die Antwort auf die Frage nach der Herkunft zyklischer Einheiten auf der Gegenstandsseite zu suchen ist. ‘Wasserkochen’ als Bedeutungsstruktur betrachtet besteht aus einem Komplex anderer Bedeutungselemente (Topf, Wasserhahn, kochen, …) und einer kompositorischen Struktur, ihrer Anordnung. Jedes Element ist nur als Element an diesem Platz in der Gesamtstruktur zu begreifen.

Zur Veranschaulichung sei auf die Urform der Bedeutung, das Werkzeug, verwiesen. Das Werkzeug als ‘Verallgemeinertes-Gemachtsein-zu’ ist geronnene Bewegung ebenso wie geronnener Zweck. Es ist ein ‘Um-zu’. Es besitzt einen Hergestelltheits- und einen Brauchbarkeitsaspekt. Um ein Werkzeug herzustellen, muß ich seine Funktion vorwegnehmen, ich ‘füge’ seine Stofflichkeit in seinen Zweck ein. Eine Axt ist hergestellt um Bäume zu fällen, Holz zu hacken. In der Axt-Herstellung nehme ich ihren Zweck vorweg. Ich muß wissen wofür eine Axt da ist, um sie herstellen zu können. Länge und Material des Stils, Lage der spitzen Seite des Kopfes, Position des Kopfes leiten sich aus dem Zweck ab. Der Zweck formt in der Herstellung den Stoff. Ebenso der Brauchbarkeitsaspekt: ich muß den Zweck der Axt kennen, um die in ihr gefrorene Bewegung freizusetzen, zu entschlüsseln. In der Bedeutung Axt liegen Zweck und Bewegung geronnen vor.

Für meine Operationen, die am Ende der Handlungsableitung stehen heißt das: "Somit ist auch hier die Regulation der individuellen Operationssequenzen als von der Antizipation des ‘praktischen Begriffs’ her ‘geplant’ zu charakterisieren." (GdP, 273) Die zyklischen Einheiten wären als Explikationen von Bedeutungsstrukturen des Gegenstandes der Handlung zu fassen. In gewissen Momenten dominiert der operative Aspekt, in anderen der strukturelle Zusammenhang. Da die Bedeutungen gesellschaftlich [32] und objektiv existieren, wäre die Frage ihrer Herkunft in eine kultur- und arbeitsgeschichtliche Analyse überführt. Die für meinen Zusammenhang interessante Frage nach der Handlungsfähigkeit eines Subjektes, genauer: nach der Genese der Handlungsfähigkeit, ließe sich als tieferes Eindringen des Subjektes in den Gegenstand seiner Handlung fassen. Gewonnen wäre damit, daß individuell zu entwickelnde Einheiten nun durch ihre ‘Enttarnung’ als gesellschaftliche Bedeutungsstrukturen der weiteren Analyse zugänglich sind.

Für die HRT läßt sich Holzkamps Aussage – aus der Perspektive einer Lerntheorie – "Sie [die HRT, JH] hebt nämlich an unterschiedlichen Lernkonzeptionen abstraktiv einen bestimmten Aspekt heraus: die Regulierbarkeit des Lernens durch Handlungsorganisation auf ein Ziel hin, …" (Holzkamp 1993, 169) verallgemeinern: die HRT bietet ein Modell für die operative Seite menschlichen Handelns. Sie ermöglicht es die Generierung einer Operationssequenz auf ein Ziel hin zu beschreiben und dadurch zu verändern. Sie expliziert den operativen Aspekt der zugrundeliegenden Bedeutungsstruktur, führt mir die ‘Logik der Sache’ vor Augen. Aus operativer Sicht ist der umfassende Aspekt Bedeutungsstruktur zu sein sekundär, die zyklische Einheit als Letztheit (oder ihre Gedächtnis-Repräsentation OAS) ermöglicht die Analyse und Effektivierung der Sequenz. Oder, um noch einmal den Bogen zur Darstellung der HRT als Grammatik zu schlagen, in den Worten Millers u.a.: "Wie wir schon sagten, spezifiziert der grammatische Plan nur die erlaubten Züge im sozialen Spiel der Kommunikation. Hingegen können die Gründe, warum das Spiel überhaupt gespielt wird, nicht von seinen Spielregeln abgelesen werden." (Miller u.a. 1973, 151) Jetzt zeigt sich, daß die Möglichkeit der HRT-Darstellung als Grammatik einen tieferen Grund hat. Die Inspiration, die Miller, Galanter und Probram in Chomskys Theorie fanden, ist nur der äußere Ausdruck einer anderen Entsprechung: Gramatiken ermöglichen es die syntaktischen Tiefenstrukturen der Sprache freizulegen, und die HRT ermöglicht es die operative Dimension menschlicher Handlungen zu explizieren. Diese Homomorphie gründet im Konzept der Bedeutung. Bedeutung verweist zunächst auf Sprache, obzwar ihre Genese in der Verallgemeinerung von Handlungen wurzelt. Handlungsstrukturen und Sprachstrukturen wären zwei Sichten eines Phänomens, der Bedeutung [33]. Aus dieser Sicht ist es fast zwingend, daß ein Instrument zur Beschreibung der formalen Seite der Sprache auch für die Beschreibung der formalen Seite des anderen Bereichs, der Handlung, taugt.

Für meine Fragestellung ist hier in zweifacher Hinsicht eine Grenze erreicht. Begriffe wie Subjektivität, Designentscheidung fragen gerade nach dem ‘Warum?’ eines Ziels. Warum will ich dieses und nicht ein anderes Ziel erreichen? "Welche guten Gründe man haben könnte, dasjenige Lernziel überhaupt erreichen zu wollen, bleibt dagegen unhinterfragbar. Die in der HRT enthaltenen Begründungsmuster haben mithin einen in gewisser Weise sekundären Charakter: …" (ebd., 169) Ein nicht eingearbeitetes Bedeutungskonzept stellt zudem einen anderen Mangel dar: "… die Möglichkeit von psychologischen Konzeptualisierungen einer ‘Welt (in ihren objektiven Strukturen) für das Subjekt’ liegt jenseits ihres Horizontes." (ebd., 170) Insofern ist ‘Welt’ nur als das ‘in dem ich meine Handlungen verrichte’ für die HRT faßbar – ‘Welt’ ist meinem Handeln äußerlich. Dagegen ist ‘Welt’ in meinen Handlungen in den Bedeutungsbezügen anwesend. Gleichsam läßt sich die gesellschaftliche Vermitteltheit individueller Existenz in der HRT nur als Kooperation verschiedener Individuen beschreiben, der Gesellschaftsbezug im bedeutungsförmigen Handeln des Individuums ist kategorial nicht zu fassen. Um es deutlicher zu sagen: Ich vertrete die These, der thematische Bezug meines Handelns, d.h. meine Interessiertheit am Ziel wie auch auch meine Verwobenheit in ‘Welt’ in Form von Bedeutungsstrukturen, ist in der HRT nicht abgebildet, bzw. muß äußerlich ergänzt werden als Motivationstheorie, Bedeutungstheorie … .

Ob die HRT sich so ausbauen läßt, daß Welt in ihr stattfindet, oder ob es strukturelle Grenzen gibt, möchte ich anhand einiger Beispiele aus Darstellungen der HRT diskutieren [34]. Die Beispiele die Seeger u.a. (1981, 194-197) und Volpert, Oesterreich (Oesterreich 1981, 9-17) benutzen, um die HRT einzuführen, weisen eine eigentümliche Struktur auf. In dem einen Fall handelt es sich um ‘Spaghetti-Kochen’, im anderen um’Hemd auf dem Weg zum Kongreß kaufen’. In beiden Fällen sind die Operations- und Handlungsziele identisch. Aufschlußreich wäre dagegen ein Beispiel mit widersprüchlicher Handlungsstruktur. Das klassische Beispiel ist Leontjews Jäger/Treiber Beispiel (vgl. Leontjew 1980, 203ff). Er beschreibt eine arbeitsteilige Organisation der Jagd. Die eine Gruppe treibt die Beute von sich weg – die Treiber – den anderen – den Jägern – direkt in die Arme. Diese töten die Beute. Die Beute wird dann gemeinsam verzehrt. Das besondere an diesem Beispiel ist die Rolle der Treiber: "Die Operation des ‘Treibens’ selbst reguliert sich aber (…) nur an dem individuell antizipierten Operationsaspekt. … das Handlungsziel der Beute bzw. der Beteiligung an deren Verteilung, ebenso wie die übergeordnete Handlungsstruktur (…) sind dagegen für die perzeptiv-operative Aktivitätsregulation, die den Erfolg des ‘Treibens’ ausmacht, nicht konstatierbar." (GdP, 281) Operationsresultat und Handlungsziel sind relativ entkoppelt. Aus der Sicht des Handlungsziels – Nahrung, Felle – ist die Aktivität der Treiber paradox. Wenn ich Nahrung haben will, macht es keinen Sinn, die Tiere von mir wegzutreiben. Erst eingebettet in eine arbeitsteilige Struktur und deren individueller Realisation, ist es möglich das Operationsresultat zu verstehen. Ebenso gilt umgekehrt: "… daß die Funktion und der Stellenwert des übergeordneten Handlungszusammenhangs sich nicht aus der operativen Aktivitätsplanung ableiten und begreifen lassen und daß man mithin die Handlungsplanung von Individuen in Ausrichtung an Handlungszielen nicht nach dem Muster der individuell-antizipatorischen Aktivitätsregulation im operativen Bereich zu charakterisieren hat." (ebd., 279) Es führt kein Weg vom Operationsresultat zu den Handlungszielen. Für Handlungen mit einer etwas anderen Struktur als ‘Spaghetti-Kochen’ gibt es keinen direkten Weg vom Operationsresultat zum Handlungsziel. D.h. die thematische Ebene menschlichen Handelns ist immer vorgängig. Erst von ihr aus – in Brechung mit gesellschaftlichen Bedeutungen, was auch Arbeitsteilung heißt, kann es gelingen die Operative zu erfassen.

Für meine Begrifflichkeit bedeutet das, daß eine Präzisierung vorzunehmen ist. Schon unter der Hand hat sich im letzten Absatz der Sprachgebrauch verschoben. War vorher von Handlungszielen im Kontext von Operationen die Rede, so ist dieser Aspekt nun durch das thematische Moment des Handelns besetzt, und wird durch den Begriff des Operationsresultats ersetzt. Geschuldet ist diese Bedeutungsverschiebung zwei unterschiedlichen Verwendungsweisen des Begriffs in der HRT und der Kritischen Psychologie. Die Bezeichnung ‘unterschiedliche Verwendungsweisen’ suggeriert, es handele sich um terminologische Probleme, die auf der Ebene des Sprachgebrauchs zu klären sind. Ich hoffe, es ist deutlich, daß die Differenz in der Handlungskategorie die zentrale theoretische Differenz aufzeigt und nicht durch ‘Übersetzung’ zu überwinden ist [35].

Für die HRT formuliert Dunckel: "Mit Handlungen werden diejenigen Formen menschlicher Aktivität bezeichnt, mit denen der Mensch zielgerichtet, intentional/bewußt auf die Umwelt einwirkt." (Dunckel 1986, 536) und Oesterreich: "Aktivitätseinheit, an deren Beginn und Ende der Aktivitätsfluß in eine neue Richtung gelenkt werden könnte (…)." (Oesterreich 1981, 301) Deutlich stehen operative Momente bei der Definition im Vordergrund. Für die Kritische Psychologie formuliert Holzkamp: "Die psychischen Aktivitäten des Einzelnen bei der Erhaltung/Entwicklung seiner individuellen Existenz unter durch ‘Arbeit’ geschaffenen und erhaltenen gesamtgesellschaftlichen Lebensbedingungen bezeichnen wir dagegen als ‘Handlungen’, die so als individuelle Lebensaktivitäten in ihrer menschlichen Spezifik bestimmt sind." (GdP, 234) Psychische Aktivität und gesellschaftliche Vermittlung der individuellen Existenzsicherung sind die zentralen Momente. Noch deutlicher ist die Differenz in Holzkamps Definition der Kategorie Handlungsfähigkeit: "…, so läßt sich die Verfügung des Individuums über seine eigenen Lebensbedingungen in Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß als personale ‘Handlungsfähigkeit’ charakterisieren." (ebd., 241) Verfügung des Individuums als Teilhabe am gesellschaftlichen Prozeß drückt die wesentliche Konsequenz der Betonung des thematischen Aspektes aus. Ich kann nicht handeln und mich zusätzlich noch auf eine Gesellschaft beziehen. Mein Handeln ist nur als gesellschaftliches zu erfassen. Konzepte, die Gesellschaftichkeit auf Kooperation abbilden, also auf das Zusammenhandeln mehrerer Individuen, verfehlen die Problematik.

Ich möchte ein kurzes Resümee meiner Argumentation ziehen. Dafür werde ich den Gang dieses Kapitels vor Augen führen. Das vorherige endete mit zwei Fragen. Wie ist eine Designentscheidung im Begründungsdiskurs thematisch zu fassen, wie wird das Umfeld der Designentscheidung abgebildet. Für dieses Kapitel stand die Aufgabe in Auseinandersetzung mit den Begriffen der HRT meine Begrifflichkeit zu entwickeln. Es zeigte sich, daß die HRT menschliches Handeln nicht als bedingtes Reiz-Reaktionsschema faßt, sondern wesentliche Aspekte im Medium Begründungsdisurs abbildet. Bestimmte Begriffe, Verdinglichungen vom Drittstandpunkt (die Regulationsebenen) waren ungeeignet für die Konzeption Subjekt-Standpunkt, jedoch nicht so zentral innerhalb der HRT, das mit ihnen das ganze Konzept sich als ungeeignet erwiese. Es steht demnach eine Theorie zur Verfügung, die den bis dahin leeren Begründungsdiskurs ‘auffüllen’ kann. Im weiteren beschäftigte mich die Frage welcher Aspekt durch die HRT modelliert, somit in meiner Begrifflichkeit stark gemacht würde. Es stellte sich heraus, daß es sich um den operativen Aspekt des Handelns handelt. Aufgrund einer Betrachtung zum Bedeutungsbegriff, der zu einem Verständnis von Gesellschaftlichkeit führte, charakterisierte ich den Aspekt als sekundär. Sekundär ist er im Bezug auf meine Fragestellung, wie Entscheidungen zu fassen sind. Somit verfüge ich nun über eine aufgenommene Theorie – die HRT – die einiges über die operative Seite des Handelns aussagt, für meine eigentliche Frage jedoch nicht hinreicht. Das ist unbefriedigend. In der Kritik und Charakterisierung des operativen Aspektes liegt jedoch mehr. Die in diesem Zusammenhang entwickelten Begriffe dienen nicht nur als Reibungsfläche für die HRT, sondern lassen sich als Ansätze eigener Begrifflichkeit qualifizieren. Damit wären einige weitere Bestimmungen für den schon um den operativen Aspekt angereicherten Begründungsdiskurs gewonnen. Das Medium ist ein Raum der Bedeutungen. Bedeutungen sind nicht als subjektive Sinnstiftungen zu fassen, sondern als gesellschaftlich (insofern auch subjektiv!) gegebene. In der Bedeutungsbeziehung realisiert sich die Gesellschaftlichkeit des Individuums. Das Handeln, wie auch das Entscheiden ist nur als bezogen auf den gesellschaftlichen Prozeß zu begreifen. Menschliches Handeln auf seiner operativen Ebene ist sinnlos. Sein Sinn erschließt sich erst durch den Bezug auf einen gesellschaftlichen Reproduktionsmechanismus (erinnert sei an die einfachste Form dieses Zusammenhangs, das Jäger/Treiber Beispiel). Dieser Sinn ist nicht äußerlich durch ‘Nachdenken über die Gesellschaft’ herzustellen, sondern immer schon durch die Bedeutungsbezogenheit menschlichen Handelns gegeben. Für meine Fragestellung wäre somit die Dimension Gesellschaftlichkeit aufgenommen. In seiner bedeutungsförmigen Strukturiertheit liegt die Gesellschaftsbeziehung des Begründungsdiskurses. Da Bedeutungen die Elemente des Diskurses sind, ist er immer schon gesellschaftlich. Aus seiner Perspektive gibt es dann auch die Möglichkeit, diese Bedeutungen zu begreifen, indem die durch sie vollzogene Strukturierung meines Handelns als Beitrag zur Reproduktion der Gesellschaft entschlüsselt wird. Subjektivität, Entscheidung bedeutet demzufolge, daß mir in Form von Bedeutungen gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten gegenüberstehen (siehe Kapitel 1). Der abschließende Begriff von Handlung sollte genau das ausdrücken.

Ausblick auf Weiterentwicklungen

Das Modell der HRT, das ich bisher betrachtet habe, läßt sich als klassisch bezeichnen. Ein Teil der vorgebrachten Kritik ‘aus der Perspektive des Subjekts’ findet sich in Weiterentwicklungen des klassischen Modells wieder. Stellvertretend möchte ich das Modell der Regulationsebenen bei Oesterreich, den Schema-Begriff bei Volpert und die Kontrastive Aufgabenanalyse behandeln. Diese Konzepte kennzeichnen Hauptpfade der Entwicklung. Ich werde sie kurz skizzieren.

Regulationsebenen bei Oesterreich. Oesterreich entwickelt eine Kritik an Hackers Modell der Regulationsebenen: "Damit hat die ‘perzeptiv-begriffliche Regulationsebene’ keine Entsprechung in unserem 5-Ebenen-Modell [s.u., JH]. Die Prozesse, die Hacker im Zusammenhang mit der perzeptiv-begrifflichen Regulation beschreibt, sind u.E. auf allen fünf Ebenen bedeutsam. Dies beinhaltet gleichzeitig eine Kritik an der Auffassung Hackers, ‘perzeptive’ und ‘begriffliche’ Prozesse seien als eigene Ebene zwischen der ‘sensumotorischen’ und der ‘intellektuellen’ Regulationsebene angesiedelt." (Oesterreich 1981, 145) Eine Kritik die ebenso aus dem entwickelten Begriff von Bedeutung hätte gewonnen werden können. Alternativ entwickelt er ein Modell der 5-Ebenen der Regulation: (1) Handlungsausführung, (2) Handlungsplanung, (3) Zielplanung, (4) Bereichsplanung, (5) Erschliessungsplanung (vgl. Oesterreich 1981, 142f). Oesterreich baut seine Schichtung aus einer anderen Perspektive auf als Hacker. Dieser hatte versucht, am Menschen und dessen Handlung drei Ebenen zu unterscheiden. Oesterreich gewinnt seine Ebenen aus einer Betrachtung des Gegenstandes der Handlung – aus Arbeitsaufgabe und Handlungsspielraum. Dabei wird ein breites Spektrum erfaßt: Von Ebene (1) "Entwurf und Ausführung von Bewegungsabläufen" über (3) "Langfristige aber nur grobe Planung einer Abfolge von hoch effizient-divergenten Konsequenzen [Ziele, vgl. Volpert 1983, 26]." bis hin zu Ebene (5) "Entscheidung der Regulierbarkeit von Handlungsbereichen außerhalb des aktuellen Systems von Handlungsbereichen. Bestimmung von zu erschließenden Handlungsbereichen auf der Grundlage dieser Einschätzung." (Oesterreich 1981, 142f) Diese Ebenen stellen die objektiven Spielräume des Subjekts im Kontext seiner Arbeit dar. Waren Hackers drei Ebenen aus der Subjektperspektive prinzipiell nicht zugänglich, so stellen Oesterreichs Ebenen sogar ein Instrument dar, das es ermöglicht, aus der Subjektperspektive die eigene Arbeit zu analysieren.

Schema-Begriff bei Volpert. Auch Volpert diskutiert die Frage, wie denn Handlungen generiert werden. Zentral für seine Beantwortung der Frage ist der Schema-Begriff: "Schemata von Objekten und von Handlungen kann man zwar analytisch trennen, wesentlich sind aber ihre Gemeinsamkeiten. Beide sind in aktive Konstruktions- und Veränderungsprozesse eingebunden und werden in unserer Lebenswelt, also ‘außerhalb’ des wahrnehmenden Subjekts verortet (…). darüber hinaus gewinnen Objekte ihre Objekthaftigkeit und ihre Bedeutung für das Individuum durch ihr Eingebettetsein in Handlungsbezüge … Die wechselseitige Verschränkung von Wahrnehmung, Denken und Handeln – eine Grundannahme jedes handlungspsychologischen Ansatzes – sind im Konzept der Schemata als der unsere Lebenswelt konstituierenden Invarianten besonders deutlich." (Volpert 1982, 82) [36] Wesentlich sei die Einheit von Objekt und Handlung. Ähnlichkeiten zum oben diskutierten Konzept der Bedeutungen sind deutlich [37]. "Die Objekte, die für uns Aufforderungscharakter besitzen, sind in aller Regel Resultate vorhergehender menschlicher Handlungen. … Betont sei, daß die Persistenz von Handlungsschemata zu einem wesentlichen Teil in ihren gesellschaftlichen Objektivierungen, also in ihrer außerindividuellen Existenz zu finden ist." (ebd., 89) Die objektive Existenz von Bedeutungen wird betont. Mittels des Schema-Begriffes wird die handlungsleitende Dimension gesellschaftlicher Bedeutungen aufgezeigt. Die Begründetheit menschlichen Handelns in eben diesen Bedeutungen als primäre Dimension ist – wohl aufgrund der eigenen Fragestellung – nicht im Blick. Für die Regulation menschlichen Handelns ist die Ebene der Bedeutungen dagegen als Forschungsgegenstand eröffnet.

Die Kontrastive Aufgabenanalyse [38]. Ich möchte kurz die Grundidee darstellen, um dann einen Aspekt herauszugreifen. Im Blick der Kontrastiven Aufgabenanalyse sind Arbeitsaufgaben. Sie seien strategischer Ansatzpunkt des Gestaltens: "Die Arbeitsaufgaben sind jener Teil der Handlungsforderungen – im Rahmen eines überindividuellen Zusammenhangs, etwa eines organisierten Produktionsprozesses – mit denen die konkreten Arbeitspersonen befaßt und beauftragt sind. Sie stellen gewissermaßen den Schnittpunkt dar zwischen dem sozialen Handlungszusammenhang und den individuellen Handlungsmöglichkeiten. Deshalb schreiben ihnen die Arbeitspsychologen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung oder Deformation der Persönlichkeit zu (…)." (Volpert 1992b, 185) Die Kontrastive Aufgabenanalyse setzt sich aus einem bestimmten Blickwinkel mit den Aufgaben auseinander: "Man muß die beiden Pole [menschliches Denken und Handeln, maschinelle Problemlöse-Prozeduren, JH] kontrastieren können – nicht im Sinne eines Vergleichens, sondern in der Darstellung der Unvergleichbarkeit von beiden. Daraus muß dann ein Konzept der Aufteilung von Arbeitsaufgaben an Personen und Gruppen sowie der Ausgliederung von maschinisierbaren Teilprozeduren aufbauen. Ich möchte dieses Verfahren kontrastive Aufgabenanalyse nennen…" (Volpert 1987, 148) Der Mensch-Maschine-Kontrast ist gemeint. Volpert formuliert die Leitlinie der Analyse: "‘Fördere und unterstütze durch den Einsatz maschineller Prozeduren die Stärken, die Menschen bei der Bewältigung komplexer Arbeitsaufgaben haben, und nimm ihnen nichts weg, was sie besser tun können und sollen als Maschinen!’" (ebd., 148) Das macht es notwendig die menschlichen Stärken zu kennzeichnen [39]. Volpert kommt zu drei Prinzipien: (1) das Prinzip der eigenen Entwicklungswege, (2) das Prinzip des kollektiven In-der-Welt-Seins und (3) das Prinzip der sozialen Eingebundenheit. Aus diesen Prinzipien leitet er im weiteren sogenannte ‘Humankriterien’ ab (vgl., Volpert 1990b, 173), die den Brückenschlag zu einem konkreten Analyse-Leitfaden darstellen. Mich interessiert hier vor allem Prinzip (1), das Prinzip der eigenen Entwicklungswege, das sich auch als Subjektivität fassen läßt. Volpert formuliert: "– das Prinzip der eigenen Entwicklungswege: Hier kommt wieder der Gedanke von den ‘Spielräumen’ zum Tragen. Innerhalb solcher Spielräume und in der Auseinandersetzung mit ihren Grenzen gehen die Menschen ihren jeweils individuellen und selbstbestimmten Weg." (Volpert 1990b, 172) und: "Einmal gibt es einen Rahmen, in dem sich die Prozesse vollziehen … Zum anderen aber ist die Entwicklung nicht denkbar ohne dieses Voranschreiten, also ohne das Neue oder das Sich-Erneuern – das, was aus Kontext und Geschichte nicht voll vorhersagbar ist und wofür man manchmal die #Begriffe der Freiheit und der Autonomie verwendet." (Volpert 1990, 27) Die Bestimmungen sind die, die ich oben für die Begriffe Subjektivität, Entscheidung eingeführt habe. Das Prinzip besitzt sein Fundament in der Selbstorganisationstheorie: "Mit zunehmender Selbstorganisation tritt auch die objektive und die subjektiv erfahrene Intentionalität des Verhaltens immer mehr hervor." (Volpert 1987, 150) Die subjektiv erfahrene Intentionalität stellt das dar, was im bisherigen Argumentationszusammenhang als Subjektstandpunkt bezeichnet wurde. Die wesentliche Forderung, die sich daraus ergibt ist: "Dem Prinzip der Intentionalität des Handelns entspricht die Forderung, daß der Arbeitsprozeß selbständige Zielbildungen ermöglichen muß:" (ebd., 151) Selbständige Zielsetzungen, Spielräume – im Prinzip (1) ist von Subjektivität die Rede, von Bedingungen, die den Raum des Subjekts vergrößern. Daß in solchen Aussagen methodologische Konsequenzen für die eigene Theoriebildung angelegt seien könnten, wird nicht thematisiert. D.h. Subjektivität wird in der Kontrastiven Aufgabenanalyse ausdrücklich zu einem der drei Pfeiler der Analysemethode, nicht jedoch zum übergreifenden methodologischen Prinzip.

Grenzen des Ausbaus der HRT. Raeithel u.a. fassen für alle bisher beschriebenen Modelle (explizit auch Volpert und Hacker) zusammen: "Die bisher genannten funktionalen Modelle von Handlungen sind alle von einem ‘Außenstandpunkt’ außerhalb des handelnden Subjekts her konstruierbar. Die Abkehr von der Introspektion zu Beginn unseres Jahrhunderts hat diese funktionale Sicht auf die Tätigkeit der Menschen möglich gemacht, aber gleichzeitig scheint die Möglichkeit verloren, die je individuelle Sicht der einzelnen Personen psychologisch rekonstruieren zu können." (Raeithel u.a. 1985, 12) In Auseinandersetzung mit verschiedenen handlungstheoretischen Ansätzen kommt Holzkamp zu dem Schluß: "Verantwortlichkeit und Freiheit als subjektive Wesensbestimmungen des Handelns heben sich selbst auf, wenn man Verantwortlichkeit als von angebbaren Bedingungen abhängige Größe fassen bzw. die für das Subjekt bestehenden freien Alternativen ‘vorhersagbar’ machen muß; sofern sich die subjektiven Gründe für mein Handeln lediglich aus den Randbedingungen ergeben, ist mein Handeln nicht ‘begründet’, sondern nur ‘bedingt (…). " (Holzkamp 1986, 391) Der tiefere Grund für die Verfehlung des Subjektstandpunktes liege in einer nicht vollzogenen methodologischen Reflexion: "Wird hingegen dieser reziprok-intersubjektive Beziehungsmodus von mir als Forscher methodisch ‘begründet’ abgeschnitten, so zerfällt der andere für mich (bzw. den von mir vertretenen theoretischen Ansatz) notwendig in lediglich von außen registrierbares Verhalten und unzugänglich- folgenlose Innerlichkeit, ist also Subjektivität quasi auf die Objektseite geschlagen und somit in deren Verfehlung auch die subjekthaft-aktive Zentralbestimmung des Handelns verfehlt." (ebd., 391) Wie anders Forschung in diesem Sinne zu betreiben sei, wird mich in einem der folgenden Kapitel beschäftigen. An dieser Stelle ging es mir um den Punkt, der systematisch nicht problematisiert ist, um den methodologischen Aspekt der Kategorie Subjektivität.


[1] Ich wähle den Begriff, den die von mir rezipierten Vertreter der Handlungsregulationstheorie selbst, in Auseinandersetzung mit anderen Vorschlägen wie Handlungstheorie, Handlungsstrukturtheorie, ausgewählte haben: "Die Vertreter der Handlungstheorie schlagen daher dort, wo eine Differenzierung von anderen Handlungsansätzen notwendig erscheint, den dem Inhalt der Theorie adäquateren Begriff ‘Handlungsregulationstheorie’ vor. Der Begriff Regulation umfaßt in der allgemeinen Systemtheorie Regelung und Steuerung. Durch den Begriff der Regulation werden gerade die psychischen Komponenten hervorgehoben, durch die der Handlungsbegriff vom Verhaltensbegriff unterschieden ist." (Offe u.a. 1981, 73)

[2] In diesem Zusammenhang werden auch andere Schulen zu Worte kommen, jedoch nur, wenn Volpert u.a. sich auf diese beziehen oder die ‘Quellen authorisieren’.

[3] So ist sie z.B. fester Bestandtteil des Software-Egonomie-Praktikums an der Bremer Universität.

[4] Das es Ausnahmen gibt sei unbestritten (doch Ausnahmen bestätigen…). In der Sozialpsychologie ist es sogar ausdrücklich Programm dieses ‘Schnittstellenproblem’ zu lösen. Die Existenz einer psychologischen Sozialpsychologie und einer sozialwissenschaftlichen Sozialpsychologie weist aber daraufhin, daß damit das Problem noch nicht gelöst ist. Für eine ‘Warnung’ bei der weiteren Arbeit reicht es aus, auf eine Gefahr hinzuweisen. Sollte sich die Warnung als unberechtigt herausstellen, um so besser!

[5] Schon in der Aufspaltung Psychologie – Soziologie liegt die Separierung in wesentliche, innere und andere, äußerliche Faktoren des Menschseins beschlossen. Die Soziologie bildet diese Problematik spiegelbildlich ab.

[6] Seeger und Stadler vertreten nicht den gleichen Ansatz im Rahmen der Handlungstheorie. Beim zitierten Aufsatz handelt es sich jedoch um eine Überblicksarbeit, in der sie versuchen die psychologischen Ansätze der materialistischen Handlungstheorie – u.a. Volpert – zu referieren. Volpert kennzeichnet den Aufsatz als eine der "bekanntesten Beschreibungen des Modells" (Volpert 1992a, 157).

[7] Vgl. Dunckel 1986, Haug 1980, Volpert 1983, Stadler 1981, Oesterreich 1981 und das ist keine erschöpfende Aufzählung.

[8] Die Idee dazu entstammt folgender Passage: "Chomskys berühmte generative Grammatik fußt auf der Einsicht, daß zur Simulation der Unterscheidungsfähigkeit grammatisch richtiger und falscher Sätze nicht nur Pläne zur Erzeugung der unmittelbaren (Sprech- od. Hör-) Handlungsfolge, sondern Pläne zur Umstrukturierung von Plänen (‘Transformationen’) benötigt werden. Man kann die Arbeit von Miller/Galanter/Pribram [die Väter der Handlungstheorie, JH] als Versuch betrachten, dieses Handlungsstrukturmodell auf die Psychologie zu übertragen." (Haug 1980, 41f) Miller u.a. machen selber deutlich, daß ihr Modell der Hierarchisierung von Plänen von Noam Chomskys Arbeiten inspiriert ist: "Vielmehr werden wir uns in diesem Kapitel die Arbeit eines einzelnen Linguisten vornehmen und verfolgen, und zwar desjenigen Linguisten, der mit unseren eigenen Vorstellungen darüber, wie menschliches Verhalten im allgemeinen (nicht nur sprachliches Verhalten) organisert ist, völlig gliecher Meinung zu sein scheint. Diese Übereinstimmung ist nicht etwas zufällig: einige unserer Ideen wurden durch sein Beispiel angeregt: Noam Chomsky." (Miller u.a. 1973, 140)

[9] Ich werde das Modell als solches darstellen, obwohl damit nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Zwischen Anfang und Ende einer Teilhandlung kann z.B. der Anfang einer anderen Teilhandlung fallen, ich kann, während ich Spaghetti koche mit dem Bereiten der Soße beginnen (vgl. Seeger 1980, 194ff). D.h. im strengen Sinne ist das keine Kontextfreiheit. Trotzdem denke ich die Kernidee genau richtig zu treffen mit meinem Ansatz und würde zu einer ‘nichtreduktionistischen’ Lesart einladen.

[10] Miller u.a. lehnen sich direkt an das Grammatikkonzept an: "Der Prototyp für die von uns verlangte Art der Verhaltensbeschreibung ist die traditionelle Methode der Satzzerlegung. Eine formale Darstellung dieser Beschreibungsart, die von den Linguisten ‘konstituierende Analyse’ (…) genannt wird, finden wir im 4. Kapitel der Monographie von Noam Chomsky, Syntactic Structurs (1957)." (Miller u.a. 1973, Fußnote S. 23)

[11] Der Begriff ‘Wasserkochen’ steht hier nicht für das ‘bloße’ Tun – Wasser kochen – und auch nicht nur für das materiale Ziel – kochendes Wasser, sondern für beides. An dieser Stelle sind Prozeß und Materialisation (eigentlich: Verb und Substantiv) noch nicht geschieden.

[12] Der gestrichelte Pfeil abwärts stellt die Generierung der Start-Transformation einer zyklischen Einheit dar, der kleine Pfeil ‘–>’ die Generierung weiterer Transformationen der Einheit bis zur vollendeten Transformation und der gestrichelte Pfeil aufwärts bedeutet eine Rückmeldung (s.u.).

[13] Hier wird deutlich, warum sich trotz Zyklus die Ableitung als Baum darstellen läßt. Die Analogie ist nicht vollständig. Die Einheit wird zur zyklischen Einheit, indem die vollendende Transformation zur Rückmeldung benutzt wird. Dieser Vorgang ist in der Grammatik nicht abgebildet. Insofern dienen die zyklischen Einheiten nur dazu die Produktionsregeln zu schaffen, werden aber in diesen nicht vollständig abgebildet. Für die Grafik heißt das: die aufwärts gerichteten Pfeile haben nicht die gleiche Bedeutung wie die abwärts gerichteten, diese bilden Produktionsregeln ab, jene sind den zyklischen Einheiten entliehen und bilden ‘grammatisch’ betrachtet Unrat.

[14] Das Konzept der Regulationsebenen stammt von Winfried Hacker, dem Dresdner Arbeitspsychologen. So wie von Seeger u.a. dargestellt, wird Hacker in Westdeutschland rezipiert. Holzkamp führt aus: "Hacker (…) kam dabei zu den drei Regulationsebenen: ‘Perzeptive und begriffliche Regulation von Arbeitstätigkeiten’ als orientierende kognitive Strukturierung am Objekt, ‘intellektuelle Regulation von Produktionsarbeiten’ als übergeordnete Beurteilungsprozesse des Verhältnisses der auszuführenden Handlung zu generelleren Produktionszielen und schließlich ‘sensumotorische Ausführungsregulation von Arbeitstätigkeiten’. (Diese Gliederung wird meist abweichend von der m.E. sinnvolleren Anordnung Hackers quasi von unten nach oben als ‘sensumotorisch’, ‘perzeptiv-begrifflich’ und ‘intellektuelle’ Handlungsregulation referiert;…)" (Holzkamp 1986b, 386f) Ob Hacker richtig oder falsch rezipiert wird, werde ich nicht entscheiden. Im folgenden beziehe ich mich auf die Hacker-Rezeption in der westdeutschen HRT (s.o. – Seeger u.a.). Interessant wird die Frage der Hacker-Rezeption bei der Oesterreichs Auseinandersetzung mit Hackers Modell der Regulationsebenen (vgl. Oesterreich 1981).

[15] Ein weiteres Indiz – ein Selbstzeugnis – findet sich in einem fiktiven Dialog, den Volpert zur Einführung in die psychologische Handlungstheorie geschrieben hat: "Bei A [Position der klassischen HRT, jh] sei dies die ‘Innen-Sicht’ des einzelnen, sogar einsamen Aktors der alle Mühe habe, und alle Planungskapazitäten einsetzen müsse, um sich in einem recht unfriedlichen ‘Außen’ behaupten zu können." (Volpert 1992a, 55)

[16] Ich folge hier ein Stück weit Holzkamp, der für seine Zwecke – Entwicklung einer ‘Lerntheorie vom Standpunkt des Subjekts’ – die HRT betrachtet.

[17] Betrachten wir Begriffe wie ‘Direkte Erreichbarkeit’ als deskriptive, beschreibende Begriffe, so haben sie den Zweck, auszuweisen, welcher Plan vernünftiger ist als ein anderer. Sie machen die Kriterien Effizienz und Fehlertoleranz handhabbar für die Betrachtung eines Handlungsplanes. D.h. der Plan ist ‘vernünftiger’ aus eben dieser Perspektive.

[18] Ich spreche vom Modell Hackers, wie es in der westdeutuschen HRT rezipiert wird. Das 5-Ebenen-Modell Oesterreichs diskutiere ich erst im letzten Abschnitt dieses Kapitels.

[19] "Sie [Miller, Galanter und Pribram, jh] explizieren den Tatbestand, daß in den TOTE-Einheiten und den daraus gebildeten Plänen ein Subjekt mitgedacht ist, das in seinen Operationen den Sollwert, an den es sich annähern will, bewußt antizipert und dabei das zu erreichende Resultat danach bewertet, wieweit es ihm in Ansehung seines Vorwissens als wünschenswert erscheint. Daraus folgt für die Autoren, daß die ‘Intention’ und ‘Bewertung’ (‘evaluation’) als wesentliches Bestimmungsmoment des Planens zu betrachten sind…" (ebd., 155)

[20] Automatisierung meint das Ablösen der einzelnen Operationen von meinem bewußten Vollzug. Während ich in der Lernphase alle Bewegungen einzeln erfahre und vollziehe, verbinden sie sich zu einem Gesamtkomplex, den ich – als erlernte Bewegung – nur noch im ganzen vollziehe und erlebe.

[21] Im Vorgriff sei angemerkt, daß sich hier ein interessanter Aspekt verbergen könnte. Mir scheint, mit den Mitteln der HRT ist eine Handlung dann dem Menschen angemessener, wenn sie ‘intellektueller’ ist. Dies wird an Oesterreichs Modell der Regulationsebenen (s.u.) deutlich. Haug u.a. stellen dazu fest: "Dabei wird übersehen, daß auch die unteren Regulationsebenen, Wahrnehmung und selbst Sensumotorik, ihre spezifche ‘Menschlichkeit’ haben." (1980, 49) Sie stellen die Frage: "Woher kommt der massenhafte Protest gegen das ‘Unsinnlichwerden’ von Arbeit, woraus speist sich das Bedürfnis nach handwerklicher Nähe zum konkreten Gegenstand." (ebd.) Später haben Volpert u.a. das ‘Prinzip der eigenen Entwicklungswege’ (das auf die HRT im engeren Sinne verweist) um das Prinzip des ‘leiblichen In-der-Welt-Seins’ erweitert (vgl. Volpert 1990). Hier fände sich dann eine Antwort auf Haugs Frage, sie besteht jedoch im Einführen einer neuen Logik. Zusätzlich zur Logik der HRT wird ein weiteres Prinzip benötigt, um der Leiblichkeit gerecht zu werden.

[22] Es sei nur kurz erwähnt, daß die Konzepte ‘Gedächtnis’ und ‘Speicher’ ebenfalls einer anderen Ebene der Begriffsbildung entstammen.

[23] Vielleicht deutet der riesige Speicher als existierend Ding schon in eine Richtung, die sich weiter unten präzisieren wird. Der Speicher kann nicht im Individuum liegen und der Hinweis auf das Lernen des Individuums beantwortet nicht die Frage nach der Herkunft des Gelernten.

[24] Auch Volpert lehnt sich an Marx Darlegung an: "Aus dem Gesamtprozeß des Handelns gliedern sich Teile, also Handlungen, heraus welche dadurch gekennzeichnet sind, daß ihr Resultat … vom Beginn der Handlung an als Ziel ‘im Kopf’ des Handelnden vorweggenommen ist." (Volpert 1975, 130) Vor dieser Textstelle ist ausdrücklich der Bezug zu den "Marxschen Darlegungen zur ‘Arbeit’" (ebd.) hergestellt. An anderer Stelle heißt es bei Volpert: "Diese Ausführungen – die den derzeitigen Stand der Bemühungen um den Arbeitsbegriff in der Arbeitswissenschaft durchaus wiedergeben – fallen offenkundig hinter die Marxsche Analyse des Arbeitsprozesses ‘in seinen einfachen und abstrakten Momenten’ zurück … Als spezifisch menschlich erscheint ihm [Marx, jh] dabei die bewußte Vorwegnahme des Ziels (…)." (ebd., 66f)

[25] Mit meiner Argumentation und Kritik im folgenden möchte ich nicht die ‘falsche Position’ der HRT freilegen. Ich glaube die von mir kritisierte Position, wird nicht von der HRT vertreten. Meine Betrachtung will lediglich durch die Differenzierung der Begriffe Unterschied und Wesen eine Fragestellung gewinnen, die in der HRT (den bisher vorgestellten klassischen Konzepten) so nicht diskutiert wurde (das mag sich mit Volperts Betrachtungen zum Schema-Begriff (s.u.) geändert haben). Mir geht es um eine unartikulierte Problematik, die unterschwellig den Gang der Betrachtung hindert.

[26] Im Marx-Zitat geht es um "in seinem Kopf", "ideell vorhanden", "Zweck". Begriffe, die in der HRT mit Bewußtsein gemeint sind. Seeger u.a. stellen diesen Zusammenhang explizit her (s.o.) Ob Marx von Bewußtsein sprechen würde, spielt hier keine Rolle.

[27] Diese Differenzierung arbeitet Peter Ruben heraus: "Ich gebe zu, daß ein gewöhnlicher Baumeister gut daran tut, solches Vorgehen zu realisieren; es könnte sein Bau sonst recht teuer werden. Was ich aber nicht und unter keinen Bedingungen zugebe, ist die Annahme, daß Marx mit diesem Hinweis das Wesen der Arbeit bestimmt habe. Die Existenz eines Bauplanes im Kopf ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bestimmung der entwickelten Arbeit." (Ruben 1978, 21)

[28] Unbestrittenerweise ist Bewußtsein ein enormer Verstärker dieses Prozesses, ‘Motor’ meint allerdings die Dimension des Antriebs, der dann verstärkt wird.

[29] "Und schließlich: Wie erklären wir die Genesis der Erkenntnis, wenn sie der Arbeit angeblich vorangehen soll?" (Ruben 1978, 22)

[30] In den Worten Rubens: "Das entscheidende Merkmal, das die Arbeit als menschliche Lebensäußerung von der tierischen unterscheidet, ist die Werkzeugproduktion, die Herstellung und der Gebrauch als von Arbeitsmitteln. Die Arbeit ist werkzeugvermittelte Tätigkeit der menschlichen Gemeinwesen zur physischen Erhaltung derselben." (Ruben 1978, 22)

[31] Es könnte noch ein weiterer Schluß gezogen werden. Da Bewußtsein der Unterschied von Mensch und Tier ist, kann es kein Tier mit Bewußtsein geben. Da der Mensch aus dem Tierreich stammt, muß die zentrale Kategorie für die Entschlüsselung seiner Genese im Bereich der Tiere entstehen, sonst wäre die Kontinuität unterbrochen, es wäre ein ‘Nur-Sprung’. Deshalb kann der Unterschied nicht die zentrale Kategorie der Genese sein.

[32] Ihre Gesellschaftlichkeit wird vor allem dann deutlich, wenn eine der gemachten Voraussetzungen zusammenbricht. Z.B. aus dem Wasserhahn kommt kein Wasser, auf einmal ist der ganze – vernünftigerweise ausgeblendete – Kontext: Wasserleitung, Installateur, Reparatur, Rohrbruch, Kanalarbeiten, … anwesend, um mich zu orientieren.

[33] "… das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken." – doch das wäre eine anderes Thema!

[34] Vielleicht ist der Begriff des Beispiels in meinem Argumentationszusammenhang nicht angebracht. Da ich den Begründungsdiskurs untersuche, habe ich es eher mit ‘Super-Begründungen’ zu tun, mit Prototypen von Begründungsschemata. Beispiele würden in ihrer Rolle für die jeweilige Theorie aufgewertet. Sie wären keine Erläuterungen, Vorstellungen, Versinnlichungen, sondern Kernstrukturen der Theorie.

[35] Es zeigt sich, daß es hier um einen tiefen Sinn von ‘Defintion’ geht. Auf oberflächlicher Ebene erscheint es so, als seien Defintionen sprachliche Abkürzungen. Sie ließen sich ersetzen, in dem die Formulierungen expandiert würden. Das würde nicht erklären, warum gerade in mathematischen Theorien das Interesse an Definitionen so groß ist. Genauer betrachtet zeigt sich, daß Definitionen ein Phänomen (eine Vorstellung), das (die) bisher nur benannt und unklar verstanden ist, präzisieren. Sie bringen eine Vorstellung in ein theoretisches Konzept. In diesem Sinne sind sie wesentlich für jede Theoriebildung. "Trotz des Umstandes, daß Defintionen theoretisch übeflüssig sind, ist es doch wahr, daß sie oft wichtigere Belehrungen vermitteln, als in den Propositionen enthalten ist, in denen sie gebraucht werden. Das ergibt sich aus zwei Gründen. … Zweitens enthält die Definition, wenn das was definiert wird (wie es oft vorkommt), etwas schon vertrautes ist, wie Kardinal- oder Ordinalzahlen, eine Analyse eines Alltagsbegriffes und vermag darum einen merklichen Fortschritt auszudrücken." (Russel 1990, 22)

[36] Ausführungen zum Schema-Begriff finden sich auch schon bei Miller u.a (1973, 17).

[37] Diese Ähnlichkeiten sind nicht zufälliger Natur. Volpert bezieht sich unter anderem auf frühe Arbeiten Holzkamps zum Bedeutungsbegriff.

[38] Hier vielleicht besonders interessant, da Volpert sie in ‘Die Kontrastive Aufgabenanalyse im Kontext der Diskussion zwischen Arbeitspsychologen und Informatikern’ (Volpert 1992b) als Einigungsangebot an die Informatik formuliert.

[39] Zu diesem Zweck rezipiert Volpert die sogenannte Selbstorganisationstheorie. Er versucht aufzuzeigen, daß die Dominanz des kognitiven Modells in der Psychologie (aus Computer-Analogien entwickelt) bei der Frage nach dem Mensch-Maschinen-Kontrast versagen muß (ebd., 148ff). In seinem Einführungsbuch für die Handlungstheorie Wie wir handeln – was wir können (Volpert 1992b) führt Volpert fast das ganze Buch hindurch einen fiktiven Dialog zwischen Vetretenden des klassischen Modells der HRT und Vertretenden der Selbstorganisationstheorie – seine ‘zwei Seelen’ arbeiten sich aneinander ab. Leider setzt sich Volpert nicht mit dem Vorwurf ‘einer Mode zu folgen’ auseinander. War es seinerzeit ‘modern’ in der Psychologie das Computermodell zu benutzen (und auch sinnvoll, um seitens des Behaviorismus verhängte Tabus zu unterlaufen), so ist es heute ‘modern’ sich auf die Selbstorganisationstheorie zu beziehen.