Kapitel 5
Probleme von Programmierenden – Verschränkung individueller und gesellschaftlicher Reproduktion

Einleitend

Das folgende Kapitel dient der Illustration des Vorangegangenen. Es ist nicht der Gipfel, auf dessen Bezwingung die Arbeit ausgerichtet ist. Es ist ein Beispiel für die oben entwickelte Methode. Es ist Zugabe, Illustration und, im Sinne eines Beispiels, Stimulanz für ein ‘Ach so war das gemeint’-Erlebnis. Die ‘wirkliche’ Erprobung liegt jenseits dieser Arbeit, wie die ‘wirkliche’ Praxis jenseits jeder theoretischen Arbeit liegt. Ist somit die Spannung in Enttäuschung verwandelt, kann sich der Blick – ohne Täuschung – dem Geschriebenen zuwenden.

Zumindest zwei Bemerkungen sollen vorausgeschickt werden. Nummer eins. Ich habe selber keine empirische Untersuchung gemacht, keine Empirie im Sinne des vierten Kapitels betrieben, weshalb ich auf Studien anderer angewiesen bin. Ich versuche Untersuchungen, die sich den Subjekten des Programmierens und ihrer Subjektivität zuwenden, als Material zu benutzen [1]. Ich werde nicht versuchen, mich mit den theoretischen oder methodologischen Dimensionen der verschiedenen Ansätze auseinanderzusetzten. Sie sind für mich nur Material [2]. Das Material ist sperrig, da es nicht meine Fragen behandelt. Ich kann nicht rückfragen, mich versichern, Präzisierungen erlangen. Für das Material bin ich Zuschauer – eine Perspektive, die sich mit eigener Aktivität, Ausnahme sei Beifall und Mißmut, nicht verträgt. Ich kompensiere hier durch Kombination [3]. Ich kann so in der mir fremden Richtung meinen Aspekt ausweisen. Das wird genügen. Was meine Fragen in meiner Empirie wären, mag der Ausblick am Ende eröffnen.

Bemerkung zwei. Gegenstand meiner Untersuchung können nur die Probleme der Betroffenen sein (vgl. Kapitel 4). Das schränkt meine Möglichkeiten weiter ein. Ich kann nur jene Punkte zum Thema machen, die in den oben erwähnten Untersuchungen seitens der Betroffenen selber zum Thema gemacht wurden. Meine Rolle wird sich darauf beschränken zu versuchen, durch Begründungs- und Bedingungs-Bedeutungs-Analyse die Probleme aufzuhellen. D.h., die Probleme als restriktive BGM im Sinne des dritten und vierten Kapitels auszuweisen. Die Überprüfung, die Entwicklung alternativer BGM und einer anderen Praxis, ließe sich nur in einer eigenen Untersuchung mit den Subjekten entwickeln.

Die Probleme

Zwei Probleme werden in den Untersuchungen seitens der Programmierenden [4] immer wieder artikuliert. Ich nenne sie das ‘Vorgesetzten-Problem’ und das ‘Arbeit-Privatleben-Problem’. Das Vorgesetzten-Problem entspringt dem Gefühl fehlender Anerkennung und drückt sich im Wunsch nach einem guten Vorgesetzten aus. Inge, eine Programmiererin, formuliert es so: "Wie du das gemacht hast, ob du das so schlecht wie möglich, oder so gut wie möglich, so schnell oder so schön oder aufgegliedert gemacht hast, ist vollkommen Wurst eigentlich." (PAQ 1983, 18) Verallgemeinernd wird in dieser Untersuchung festgehalten: "Immer wieder kommen die Programmierer zurück auf die fehlende Anerkennung, das vermißte Lob im Betrieb, das ihnen die Arbeit sinnvoll und einsichtig machen bzw. die Zumutung der selbstbestimmten Fremdbestimmung ergänzen sollte durch äußere Einbindung." (ebd., 33) Diese Leerstelle wird während der Untersuchung ein Stück weit von der Forscherin besetzt: "Sie weisen mir [der Forscherin] die Stelle eines strukturierenden und absichernden Menschen zu, der eben die Einschätzung, die sie sich selber nicht geben können und die sie ausgesprochen als Lob von oben bei ihren Vorgesetzten vermissen, mit ihnen erarbeitet." (ebd., 43) Auch Volmerg u.a. stellen eine ‘Sehnsucht nach einem guten Vorgesetzten’ fest: "Dieser für die Ingenieure und Techniker spezifische Grundkonflikt von Selbständigkeit und Schutzbedürfnis zeigt sich in ihrer Sehnsucht nach einem Vorgesetzten, der zugleich Vorbild und Freund ist." (Volmerg u.a. 1983, 449f.) Die Vorgesetztenperson hat eine Leerstelle auszufüllen. Die Arbeit der Programmierenden soll bewertet, soll eingeordnet werden und zwar nicht nach äußerlichen Kriterien wie zeitlichen Vorgaben o.ä., sondern nach ihrer Qualität.

Beim Arbeit-Privatleben-Problem handelt es sich um die bewußte Entscheidung der Programmierenden, eine Grenze zwischen ihrer Arbeit und ihrem Privatleben zu ziehen. Ihre Arbeit empfinden sie als Bedrohung für ihren privaten Frieden. Die Arbeit habe den Hang, die Programmierenden ‘aufzufressen’, sie zu faszinieren und nicht mehr loszulassen. Schachtner formuliert das so: "Keinen Abstand mehr zur Maschine finden zu können heißt, um so mehr Abstand zu haben zu sich selbst, und zwar zu jenen Aspekten des eigenen Daseins, die nicht maschinennutzbar sind." (Schachtner 1993, 170) Um sich davor zu schützen, wird eine Grenze gezogen: "Die Programmierenden ‘identifizieren sich nicht mit der Arbeit’, obwohl ‘sie so faszinierend’ ist. Darin steckt eine kulturelle Anstrengung der Weigerung." (PAQ 1983, 26) [5] Schachtner stellt fest: "… die Softwareentwicklerinnen und -entwickler versuchen, belastenden Arbeitserfahrungen teilweise dadurch zu begegnen, daß sie sich von ihrer Tätigkeit distanzieren." (Schachtner 1993, 227) Die Programmiererin Inge zum Problem der Beherrschung: "Du isolierst dich ja. Statt zu herrschen, beherrscht dich irgendeine Idee. Und zur eigenen Selbstenthaltung mußt du das eingrenzen." (ebd.) Otto, ebenfalls ein Programmierer, beschreibt eine ähnliche Erfahrung: "Mein Gehirn war okkupiert davon [SW-Entwicklung, jh] und das fand ich unangenehm." (ebd., 17) Kurz gesagt: Das Problem besteht im Schutz des Privatlebens vor der Arbeit.

Zunächst werde ich jetzt versuchen, von den Beschreibungen der Programmierenden ausgehend, die Probleme etwas genauer einzugrenzen, um so das Terrain abzustecken, welches dann im weiteren analysiert werden muß. Zur Verdeutlichung des Vorgehens noch einmal Holzkamp zum Thema Schule: "Unser Zentralproblem ist dabei (…) die Erfassung der Vermittlung zwischen der institutionellen Bedeutungsstruktur der Schuldisziplin, deren interpersonaler Konkretisierung sowie den dabei entstehenden Handlungs- und Lernproblematiken und den darin begründeten Strategien zu deren Bewältigung vom Subjektstandpunkt der Schülerinnen/Schüler." (Holzkamp 1993, 431 u. Kapitel 4 dieser Arbeit) Das Problem ist hier von hinten anzugehen. Die Problemartikulationen der Betroffenen sind subjektive Bewältigungsstrategien. Sie weisen in die Richtung, in die das Problem aufgelöst werden soll. Bevor ich die subjektiven Lösungsstrategien bewerte, werde ich die darin angesprochenen Probleme genauer untersuchen. Wenn es sich um verallgemeinerbare Handlungsproblematiken handelt, liegt das in der Verschränkung von individueller und gesellschaftlicher Reproduktion begründet. Wenn es sich nicht um zufällige Marotten der Individuen handelt [6], sind diese Probleme subjektive Ausdrucksformen institutioneller und gesellschaftlicher Konflikte und Widersprüche, und es ist als nächstes die Ebene ausfindig zu machen, auf der diese Widersprüche liegen.

Was sagen die oben zitierten Untersuchungen zum Vorgesetzten-Problem? "Das Problem [mangelndes Lob von oben, jh] schält sich im weiteren Verlauf heraus als eines der Identität, des Selbstwertgefühls und der wirklichen Bedeutung in der gesellschaftlichen Arbeit. … das soll durch das Lob der Vorgesetzten herauskommen, da die Programmierer selbst nicht in der Lage sind, sich zu beurteilen." (PAQ 1983, 43) Und "Die Ingenieure und Techniker wünschen sich die Möglichkeit der Identifikation mit dem Betrieb auch mit einem kompetenten und verantwortlichen Mann an der Spitze in dessen Sinn – vielleicht unter dessen Oberaufsicht – sie Verantwortung übernehmen und für das Ganze fühlen können." (Volmerg u.a. 1983, 442) Thematisiert wird in beiden Einschätzungen die Stellung der Programmierenden in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit. Sie seien nicht in der Lage ihren Ort, somit auch den Stellenwert und die Qualität ihrer Produkte, zu bestimmen. Die Vorgesetzten-Funktion soll das leisten: kognitiv und emotional. Im Ergebnis wird "das Ganze" – hier der Betrieb – ein Stück realer. Die Programmierenden wollen sich – ihre Arbeit und Funktion – in Beziehung zum Ganzen setzen. Die Ebene um die es hier geht ist klar: gesellschaftliche Arbeitsteilung. Die Programmierenden thematisieren ihren Platz in einem System gesellschaftlicher Arbeitsteilung, wie auch die Funktion ihres Produkts – der Programme. Die Art und Weise der Thematisierung – als Vorgesetzten-Problem – wird mich erst wieder interessieren, wenn ich geklärt habe, welche Konflikte und Widersprüche hier ausgedrückt werden.

Mit dem Arbeit-Privatleben-Problem verhält es sich meines Erachtens komplizierter. Hier ist es schwerer die Oberfläche zu durchstoßen und einen zugrunde liegenden Konflikt zu entdecken. Eine Vielzahl von philosophischen und anthropologischen Erörterungen zum Thema ‘der Mensch und das Faszinosum Computer’ verstellt den Blick auf die Ebene, die mir wichtig ist [7]. Ich folge zunächst den angebotenen Interpretationen: "Arbeit, so meinen die Ingenieure und Techniker, ist nicht das richtige Wort, für das was sie tun, es ‘klingt in sich, etwas negativ’, ein bißchen ‘mechanisch’, nach ‘schwerer, schweißtreibender Beschäftigung’. Daher beschreiben sie ihre Arbeit als ‘eine Aufgabe’ …" (Volmerg u.a. 1983, 434). Das Problem Arbeit-Privatleben kann nur entstehen, wenn ich keine starre Grenze zwischen beiden ziehe. Für Menschen, die in zwei Reichen ein disparates Dasein fristen [8], entsteht kein Problem der bewußten Grenzziehung. Erst wenn die Arbeit so interessant ist, daß ich Ansprüche der Freizeit auf sie ausdehne, erst wenn die Arbeit zur ‘Aufgabe’ wird, kann sie das Privatleben bedrohen [9]. Das PAQ formuliert: "Die Notwendigkeit, die Aufgaben in ihr Leben als gesellschaftliche Menschen zu nehmen, erfahren sie als Bedrohung ihres Privatlebens." (PAQ 1983, 28) Mit ‘Aufgaben’ sind auch hier die Arbeitsaufgaben gemeint und der Begriff ‘gesellschaftlicher Mensch’ verweist auf den Menschen, der Arbeit und Freizeit/Reproduktion – wie auch immer – vereint. Einen Widerspruch erfahren die Programmierenden aus der Struktur der Bereiche: "Arbeitsleben und Privatleben sind in ihren subjektiven Bedeutungen gegensätzlich strukturiert: als fremdbestimmt wird das eine empfunden, als selbstbestimmt das andere. In ihren Arbeitsarrangements erfahren die Programmierer als Faszination durch Maschinen eine Art von Selbstbestimmung in der Fremdbestimmung." (PAQ 1987, 160) [10] Programmierung würde diesen Widerspruch (Arbeit und Privatleben) zuspitzen. Das PAQ geht so weit, daß sie ihn als bestimmend für das Verhältnis des Menschen zu seinen Ideen auffassen: "Die Ideen wollen sie nicht haben, da diese von ihnen Besitz ergreifen könnten. Gegen solches Besessenwerden versuchen sie ein ‘privates Selbst’ zu setzen, ein ‘eigenes’, dem gegenüber die im fremden Interesse ausgeheckten Ideen selbst noch als eigene fremd sind." (ebd., 161) Soweit die Untersuchungen. Nun scheint es mir möglich auch hier die Problemebene anzusprechen. Das Thema ist Selbstbestimmung/Fremdbestimmung. Wie ist mein Verhältnis als Programmierender zu meiner Arbeit? Wie sehen meine Vorgaben aus, wie ist mein Verhältnis zu meinem Produkt, wie kann ich meine Arbeit strukturieren? Wie kann ich mich entwickeln, finden? Und: welches Verhältnis (Fremd-/Selbstbestimmung) habe ich zu meinen Ideen (und ihren Materialisationen, den Programmen). Während das Vorgesetzten-Problem die Stellung der Programmierenden in einem System gesellschaftlicher Arbeitsteilung zum Thema hat, vermißt das Arbeit-Privatleben-Problem die Machtstrukturen in diesem System. Damit ist klar, daß eine Aufklärung der Probleme und damit eine Bewertung der Lösungsstrategien der Betroffenen einen präzisen Begriff von Programmierarbeit voraussetzt. Auf die Terminologie der Kritischen Psychologie und des vierten Kapitel bezogen habe ich, um die BGM der Probleme zu rekonstruieren, zunächst die Probleme eingegrenzt, um jetzt mittels Bedingungs-Bedeutungs-Analyse die objektive Dimension des Konflikts anzugehen [11].

Programmierarbeit als ‘Maschinisierung von Kopfarbeit’

Gefragt ist nach der Stellung der Programmierenden in einem System gesellschaftlicher Arbeitsteilung und nach ihren Möglichkeiten Einfluß auszuüben. Es ist somit die Arbeit der Programmierenden aus der Perspektive gesellschaftlicher Arbeitsteilung zu begreifen [12]. Hierzu lehne ich mich an die Definition von Frieder Nake, der Gegenstand der Informatik sei die Maschinisierung von Kopfarbeit, an. Ich fasse Programmierung als Maschinisierung von Kopfarbeit: "Mit ‘Maschinisierung von Kopfarbeit’ meine ich den Vorgang, durch den Kopfarbeits-Anteile aus einem (gegebenen oder vorgesehenen) Arbeitsprozeß separiert und auf eine Maschine übertragen werden." (Nake 1992, 193) "Maschinisierung meint [in diesem Zusammenhang, jh] das Einrichten und Herrichten einer Maschine, nichts anderes als die Übertragung von Teilen der Momente der Arbeit auf eine Maschine." (ebd., 187) Der Begriff Kopfarbeit steht hier nicht für individuelle Arbeit mit dem Kopf, sondern für Arbeit im Kopf des ‘gesellschaftlichen Gesamtarbeiters’ (vgl. ebd., 189ff). "Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehen. … Um produktiv zu arbeiten ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehen." (Marx 1890, 531) Programmierung ist die Maschinisierung von Funktionen des Kopfes des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters: "Es kommt in dem Begriff also auf geistige Anteile einer gegenwärtigen oder künftig möglichen, individuellen oder gesellschaftlichen Tätigkeit an. Sofern solche identifiziert und soweit formalisiert werden können, daß sie in algorithmischer Form beschreibbar sind, können sie maschinisiert werden." (Nake 1992, 194) Damit wäre der Platz der Programmierenden benannt. Somit wäre ein Beitrag geleistet, positionsspezifisch die Struktur ihrer Handlungsfähigkeit aufzuschlüsseln. Personale Handlungsfähigkeit meint ja gerade "die Verfügung des Individuums über seine eigenen Lebensbedingungen in Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß" (GdP, 241) (Hervorhebung von mir, jh) Anders formuliert: Verzahnung von individueller und gesellschaftlicher Reproduktion [13]. Trotzdem scheint mir mit dieser Bestimmung noch nicht viel gewonnen. Zwar ist die Stellung zum Gesamtarbeiter benannt, doch ist der Gesamtarbeiter selbst noch farblos. Erschwerend kommt hinzu, daß nicht nur das Verhältnis der Programmierenden zum Gesamtarbeiter erfaßt werden muß, sondern die Programmierenden ebenfalls als Teil dieses Gesamtarbeiters zu begreifen sind.

Kopfarbeit, gesellschaftliche Steuerungs- und Leitungsaufgaben, sind ein Muß jeder Gesellschaft: "Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf größerem Maßstab bedarf mehr oder minder einer Direktion, welche die Harmonie der individuellen Tätigkeiten vermittelt und die allgemeine Funktion vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesamtkörpers im Unterschied von der Bewegung seiner selbständigen Organe entspringen." (Marx 1890, 350) Jede Gesellschaft entwickelt eine eigene Art und Weise, die Direktion wahrzunehmen. "Die Scheidung der geistigen Potenzen des Produktionsprozesses von der Handarbeit und die Verwandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit vollendet sich … in der auf Grundlage der Maschinerie aufgebauten großen Industrie." (ebd., 446) Kopfarbeit verwandelt sich in "Mächte des Kapitals" in einer kapitalistischen Gesellschaft. Im Produktionsprozeß realisieren sich zwei Aufgaben: "… einerseits gesellschaftlicher Arbeitsprozeß zur Herstellung eines Produkts, andererseits Verwertungsprozeß des Kapitals …" (ebd., 351) Marx kommt zu dem Schluß: "Wenn daher die kapitalistische Leitung dem Inhalt nach zwieschlächtig ist, [s. letztes Zitat, jh] … so ist sie der Form nach despotisch." (ebd.) Und eben diese Form ist es, die im weiteren wichtig ist. Sie bestimmt die Spezifik des Gesamtarbeiters. Sie drückt neben der allgemeinen Aufgabe (gesellschaftlicher Arbeitsprozeß) die historisch konkrete Form (Verwertung des Kapitals) aus. Für den Begriff der Maschinisierung von Kopfarbeit heißt das, dieser drückt den Gegenstand der Informatik nach seiner allgemeinen, inhaltlichen Bestimmung aus, bildet die Grundlage für die Untersuchung der jeweiligen konkreten, gesellschaftlichen Form von Programmierung, stellt diese aber nicht schon dar!

Für die Analyse der Spezifik des Arbeitsprozesses unter kapitalistischen Bedingungen halte ich die Kategorie der Entfremdung für tragfähig. Marx beschreibt die Struktur der Entfremdung folgendermaßen: "Die Entäußerung des Arbeiters in seinem Produkt hat die Bedeutung, nicht nur, daß seine Arbeit zu einem Gegenstand, zu einer äußeren Existenz wird, sondern daß sie außer ihm, unabhängig von ihm existiert und eine selbständige Macht ihm gegenüber wird, daß das Leben, was er dem Gegenstand verliehen hat, ihm feindlich und fremd gegenübertritt." (Marx 1844, 512) Die Arbeitenden – als eigentliche Schöpfer des gesellschaftlichen Reichtums – stehen ihrem Produkt als Fremde gegenüber. Die im Produkt geronnene Arbeit herrscht über das Lebendige. "Das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind und mit ihm die Macht des ‘Meisters’ (master) bilden." (Marx 1890, 446) Entfremdet sind dabei nicht nur die Arbeitenden, Entfremdung ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen: "Die besitzende Klasse und die Klasse des Proletariats stellen dieselbe menschliche Selbstentfremdung dar. Aber die erste Klasse fühlt sich in dieser Selbstentfremdung wohl und bestätigt, weiß die Entfremdung als ihre eigene Macht und besitzt in ihr den Schein einer menschlichen Existenz; die zweite fühlt sich in der Entfremdung vernichtet, erblickt in ihr ihre Ohnmacht und die Wirklichkeit einer unmenschlichen Existenz." (Engels u.a. 1845, 37)

Der Begriff ‘Maschinisierung von Kopfarbeit’ ließe sich zu ‘entfremdete Maschinisierung von Kopfarbeit’ qualifizieren. ‘Entfremdet’ ist hier als Attribut in äußerer, additiver Lage angehängt, es muß irgendwie in die Klammer ‘Maschinisierung von Kopfarbeit’ gebracht werden. In das Bild übersetzt: Das Produkt, das dem Gesamtarbeiter gegenübersteht, scheint eine eigentümliche Macht auf ihn auszuüben. Es scheint ihn zu beherrschen. Das spüren Kopf und Glieder, nur: die Glieder erfahren das als ihre Ohnmacht, was der Kopf als seine Macht weiß. Hier sind jetzt die Programmierenden zu plazieren. Sie gehören in den Kopf. Arbeit an der Kopfarbeit ist Kopfarbeit (gesellschaftlich, nicht individuell), denn die Planung eines Steuerungsprozesses ist ein Stück Kopfarbeit. Insofern der Begriff Kopfarbeit die funktionale Struktur des Gesamtarbeiters ausdrückt, ist die Programmierung eine Leitungsaufgabe, funktionale Macht, Direktion. Kopfarbeit ist jedoch auch historisch konkrete Herrschaft, somit Kapitalfunktion. Leitungsaufgabe und Herrschaftsfunktion fallen in der Kopfarbeit zusammen. Es existiert nicht eine leitende Form der Kopfarbeit und eine herrschende. Die Ausübung der Leitungsaufgaben – auch die Maschinisierung von Kopfarbeit, die ja eine Form der Leitung ist – ist ebenfalls Herrschaftsfunktion. Programmierung bedarf also, gebrochen, partiell, wie auch immer, der Übertragung von Herrschaftsfunktionen, zumindest im Kontext kapitalistischer Gesellschaften. Damit ist nur die Binnenstruktur des Gesamtarbeiters benannt, sein Verhältnis zum Produkt außerhalb ist noch zu charakterisieren. Da Entfremdung eine gesamtgesellschaftliche Struktur ist, beherrscht sie auch die Programmierenden. Für diese ist sie eine spezifische Mischung aus Ohnmacht (als Arbeitende) und Macht (Herrschaftsfunktion), die dem Beruf eine spezifische Erscheinung gibt [14].

Der abstrakte Begriff ‘Maschinisierung von Kopfarbeit’ und die Positionierung der Programmierenden innerhalb des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters sind mit einer Charakterisierung der Arbeit der Programmierenden, die eher an Phänomenen gewonnen ist (die Interviews nebst zugehörigen Studien) zu vermitteln. "Als überraschende Kompetenzerweiterung [gegenüber anderen Tätigkeiten, jh] werden zwei Besonderheiten artikuliert: die selbstbestimmte Zeiteinteilung und die eigene Verantwortung und Kontrolle, da der Vorgesetzte inkompetent ist." (PAQ 1983, 15) Es schimmert das Macht-Moment auf. Kopfarbeit kann nicht so überwacht werden wie Handarbeit (die Überwachung bestünde in einer Verdoppelung) [15]. In diesem Sinne ist die Arbeit selbstbestimmt. "Aber andererseits haben sie dennoch teil an der Verfügung über gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, und zwar speziell durch die Möglichkeit der Produktivkraftentwicklung." (PAQ 1987, 210) Dies ist ebenfalls ein Moment der Selbstbestimmung. Programmierende reformulieren Leitungsfunktionen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Damit ‘gestalten’ sie gesellschaftliche Reproduktion [16]. Sie gestalten jedoch in einer spezifischen Art und Weise. Die Programmierenden legen nicht bewußt fest, wie ein Prozeß auszusehen habe, was seine Ziele sind und wie er mit anderen verknüpft ist. Dies würde voraussetzen, daß ein Entscheidungsspielraum eröffnet wird, den Programmierenden Freiraum zuteil wird, bewußt ein Etwas zu gestalten. Im Gegensatz dazu liegt der Gestaltungsspielraum der Programmierenden in der Gestaltung vorgegebener Etwasse. Den Programmierenden – oder in größeren Projekten: der/die idealisierte Gesamtprogrammierende – wird etwas vorgegeben, was sie zu tun haben, und erst im Ausführen ist ihr Gestaltungsspielraum anwesend, aber nicht sichtbar. Programmierende entwickeln Produktivkräfte und in der Form, in der sie das tun gestalten sie gesellschaftliche Entwicklungsprozesse. Das alles jedoch unter dem Vorzeichen eines fremdbestimmten Arbeitsprozesses: das Ziel, die Kenndaten liegen immer schon fest und der Spielraum tritt nie offen zu Tage. Lediglich die Form und einige implizite Momente der Arbeit (verdeckte, uneigentliche Gestaltung) drücken die Selbstbestimmung aus.

Das PAQ entwickelt den Begriff der "ungeselligen Kooperationsbeziehungen", um eine widersprüchliche Spezifik der Programmierarbeit aufzuklären: "Gegenüber all den aufgeführten Belegen für den gesellschaftlichen Charakter der Arbeitshandlungen von Programmieren bleibt das Bild des ‘einsamen Programmierers’ und auch das Selbstbild des ‘virtuosen Künstlers’ merkwürdig widerständig. … Wir sprechen deshalb von ungeselligen Kooperationsbeziehungen im Unterschied zu geselligen." (PAQ 1987, 208) Vorher wurde begründet, warum Programmierung eine höchst gesellige Arbeit ist: Kommunikationsnotwendigkeit bei der Arbeit, gesellschaftliche Arbeitsmittel, gesellschaftliche Arbeitsgegenstände. Es scheint ein notwendiges Moment der Programmierarbeit zu sein, dementsprechend widersprüchlich in Erscheinung zu treten. In der ungeselligen Kooperationsbeziehung ‘Programmierarbeit’ bleiben die Bestimmungsräume, die Ebene ausdrücklicher Gesellschaftlichkeit, im Dunkeln. Das Gegenmodell dazu liefert einen Hinweis auf die Ursachen dieser ‘Verdunkelung’. Die Reformulierung gesellschaftlicher Leitungs- und Steuerungsfunktionen ist nur aufgrund der partiellen Delegierung von Macht möglich (Herrschafts-, Kapitalfunktion). Im Gegenmodell wären die Kopfarbeitsfunktionen vollständig vergesellschaftet (als Steuerungs- und Herrschaftsfunktion), Bestandtteil einer kollektiven Kultur, d.h. explizit und gewollt oder notwendigerweise sichtbar. Das würde jedoch die Grundstrukturen bisherigen Produzierens übersteigen, da diese in letzter Instanz an die Logik der Verwertung gebunden sind. Somit wäre für einen expliziten und umfassenden Gestaltungsraum (nicht: Gestaltungsspielraum!) die Etablierung einer anderen Logik der Produktion und Reproduktion notwendig, die zur Zeit nicht in Sicht ist.

Vor diesem Hintergrund klärt sich ein Problem, das im dritten Kapitel als ‘Technikdeterminismus’ bezeichnet wurde, auf: "Dominieren bei der Gestaltung die Sichtweisen der Entwickler, so wird die bloße Automatisierungsfähigkeit zum ausschlaggebenden Kriterium." (Mehl 1989, 127) [17] Das PAQ formuliert: "Die Teilhabe an der ungeheuren Dynamik der Technikentwicklung im Gegensatz zum Ausgeschlossensein von sozialen Entwicklungsprozessen verführt zur Universalisierung des technischen Problemlösungsmusters." (PAQ 1987, 211) Insofern handelt es sich beim Technikdeterminismus nicht um eine persönliche Schwäche der Programmierenden. Da sie in einer bestimmten Art und Weise an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben, nämlich in Form verdeckter Produktivkraftgestaltung, ist es für Programmierende nur allzu logisch, so ihre Probleme anzugehen. Sie beziehen sich in ihren Problemlösungsvorschlägen auf eine Ebene, auf der sie Kompetenz und reale Möglichkeiten haben. Während andere Problemlösungsmuster oftmals schwerfälliger, langwieriger und nicht so erfolgversprechend sind (betriebliche Mitbestimmung, politische Auseinandersetzungen) haben Programmierende auf ihren technischen Raum direkten Zugriff. Technikdeterminismus ist eine aus der Perspektive der Programmierenden gut begründete Strategie [18]. Die Rationalität dieser Strategie liegt in der Struktur der Programmierarbeit und ist durch Bildung und Weiterbildung nicht zu verändern.

Technikdeterminismus stellt eine restriktive Begründungsfigur dar. Technikdeterminismus ist zwar wohlbegründet, die Begründung ist aber nicht gewußt. Ich kann mich nicht zu ihr verhalten. Die Verdekkung war ja notwendiges Moment der Struktur. Aus dieser Struktur heraus können BGM restriktiver Handlungsfähigkeit entstehen. "Die prinzipielle Lebensproblematik, die damit [mit dem Begriff restriktive Handlungsfähigkeit, jh] konzeptualisiert werden sollte, ist der Umstand, daß unter den Vorzeichen der ‘Bedrohtheitszentrierung’ mit kurzschlüssigen, ‘restriktiven’ Begründungsfiguren im Versuch der Lebensbewältigung/Bedrohungsabwehr in widersprüchlicher Weise gleichzeitig die eigenen, verallgemeinerten Lebensinteressen verletzt werden können." (Holzkamp 1990, 38) Die restriktive Dimension liegt in der verdeckt begründeten Technikorientierung, die mich hindert, andere Lösungsansätze zu suchen. Da ich mir der Gründe meiner Orientierung nicht klar bin, kann ich ihre Grenzen nicht sehen. Mit dieser Figur werde ich im nächsten Abschnitt versuchen, die Problemdefinitionen und Lösungsstrategien zu untersuchen.

Noch einmal ‘Maschinisierung von Kopfarbeit’. Eine entfaltete Definition müßte diese Überlegungen in einen Typ ‘Maschinisierung von Kopfarbeit in kapitalistischen Gesellschaften’ integrieren. "Ihr [der Informatik, jh] wirklicher Widerspruch liegt in der Möglichkeit, die Grenzen des Berechenbaren zu transzendieren, und in der Notwendigkeit, sie zu akzeptieren. Im Begriff der ‘Maschinisierung von Kopfarbeit’ wird dieser Grenzcharakter der Informatik angesprochen." (Nake 1992, 201) Neben diesen allgemeinen Grenzcharakter hätte eine spezifische Bewegungsform des Widerspruchs zu treten und sich zu einer Bewegungsform zu verschmelzen – dem entfremdeten Modus. Mir scheint, die Antwort ist in Richtung einer Maschinisierung von Kopfarbeit zu suchen, d.h. die technische Dimension des Gegenstandes wäre als entscheidende Bezugsgröße aufzufassen. Damit ist eine analytische und keine normative Kategorie gemeint (so ist auch die ursprüngliche Definition zu verstehen). Der Stand und die Struktur der Informatik an bundesdeutschen Universitäten entspricht diesem Begriff der Maschinisierung von Kopfarbeit. Die universale – einzig dem Gegenstand verpflichtete – Maschinisierung von Kopfarbeit hätte damit ihr – gesellschaftlich konkretes – restriktives Pendant gefunden. Die Struktur der Wissenschaft wäre als ‘unter diesen Bedingungen rational’ ausgewiesen.

Die Probleme in neuer Sicht

Das Vorgesetzten-Problem. Zwei Dinge sind bisher klar. Zum einen handelt es sich bei diesem Problem um eine Thematisierung des eigenen Platzes innerhalb eines Systems gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Der Vorgesetzte bindet die Programmierenden ein. Er ist die Brücke (kognitiv und emotional) zum Gesamt der Arbeit, er bewertet die Arbeit, ist in diesem Sinne Anstoß zur weiteren Entwicklung. Zum anderen ist die Rolle der Programmierenden widersprüchlicher Natur. Sie üben notwendigerweise, da sie Produktivkräfte entwickeln, Herrschaftsfunktionen aus. Von Seiten ihrer Auftraggeber wird ihnen ein Spielraum übertragen, ein Teil der Macht von jenen geht an die Programmierenden über, damit sie ihre Arbeit erfüllen können. Das geschieht verdeckt und erscheint als ‘muddling through’ [19]. Der Spielraum ist nicht direkt sichtbar, dafür müßte er explizit gemacht und in irgendeiner Form institutionalisiert werden. Das sind die zwei Momente, die die Bedingungs-Bedeutungs-Analyse ergeben hat.

Zu dieser Problematik (Stellung im System …) und zu dieser Widersprüchlichkeit (verdeckter Gestaltungsspielraum) müssen sich die Programmierenden verhalten. Das Vorgesetzten-Problem ist eine solche Verhaltensweise. Die Begründungsanalyse versucht diesen Zusammenhang auszuarbeiten. Die Verschränkung von Bedeutungsanordnung und Begründungszusammenhang wird in ihr thematisch. Wie verhalten sich die Programmierenden zu diesen Prämissen? Sie verhalten sich so, daß a) ihr Problem angesprochen und b) die Verdekkung nicht aufgehoben wird. Ihre Definition des Problems als Vorgesetzten-Problem löst die zugrundeliegende Widersprüchlichkeit nicht auf, sondern setzt sie fest. ‘Vorgesetzter’ drückt die Bestimmung der Herrschaftsfunktion aus. Wenn die Arbeit der Programmierenden ein Stück weit die Herrschaftsfunktion aufweicht (verdeckt vergesellschaftet), so stellt der Wunsch nach einem Vorgesetzten den Versuch dar, dieses Aufweichen zu beschränken, sich in die klassischen Strukturen zu integrieren, ein traditionelles Muster der Problemlösung einzusetzen. Daß der Vorgesetzte das nicht leisten kann, erleben die Programmierenden selbst (Unfähigkeit der Vorgesetzten). Es handelt sich also eher um ein Arrangement mit einem unlösbaren Problem, das personalisiert (der Vorgesetzte) kanalisiert ist. Die Alternative wäre eine kollektive Kultur der Gestaltung, in der auch die Herrschaftsfunktion vergesellschaftet ist (– was immer das heißt !?). Um dem näher zu kommen, ist das, was bisher als ‘Verdeckung’ beschrieben wurde, genauer zu erfassen. Die restriktive Logik des Vorgesetzten-Problems verweist auf Bedrohungen, die diese Logik für die Programmierenden angebracht erscheinen lassen. Hier kann eine genauere Analyse (Selbstanalyse) der psychischen Momente des Erlebens weiterführen. Wie ist die restriktive Logik befestigt, wie reproduziert sie sich. Diese Analyse gemeinsam mit mehreren Programmierenden könnte die Möglichkeit bieten, einen Möglichkeitstyp zu entwicklen. Wenn die Mechanismen der Befestigung freigelegt sind, kann es auch gelingen zu alternative BGM zu kommen. So ungefähr sähe die Perspektive einer subjektwissenschaftlichen Forschung aus, die hier ansetzt.

Das Arbeit-Privatleben-Problem. Alles was bisher zur Programmierarbeit gesagt wurde gilt auch für dieses Problem. Ich habe oben versucht zu zeigen, daß das Problem die Frage der Fremd- und Selbstbestimmung anspricht. Das PAQ interpretiert die Problematik so: "Hingegen schien es uns richtig, den Widerspruch zu untersuchen, der bei gleichbleibend fremden Produktionsverhältnissen durch die notwendig größere innere Beteiligung von Automationsarbeitern an ihrer Arbeit verschärft würde. … Der Konflikt erscheint vielmehr in den Personen selber, bestenfalls zwischen ihren außerbetrieblichem Sein und den Maschinen." (PAQ 1983, 27) Das Problem erscheint als eines zwischen außerbetrieblichem Sein, Freizeit, und Maschinen, gefangen in der Maschinenlogik. Es sei aber eines der fremden Produktionsverhältnisse und der größeren inneren Beteiligung. Aus der Sicht der Programmierenden: Die Arbeit ist zunächst selbstbestimmt. Die Programmierenden teilen sich ihre Zeit und ihre Tätigkeit selbst ein. Die klassische Trennung von Arbeit und Freizeit [20] scheint aufgelöst, sie existiert für die Programmierenden so nicht (s.o. "Aufgabe"). Ansprüche an die Freizeit dehnen sich aus: interessante, abwechselungsreiche, fordernde Arbeit. Diese Entwicklung ist notwendig. Mit der geistigen Abstinenz, die für Fließbandarbeit überlebensnotwendig ist, ließe sich kein Programm entwickeln. Die Notwendigkeit der größeren inneren Beteiligung erwächst aus der Rolle der Programmierarbeit. Die "fremden Produktionsverhältnisse" zeigen an, daß sich mit der größeren Beteiligung die Machtverhältnisse nicht verändert haben. Die Bestimmungsgrößen, Kenndaten werden fremdgesetzt. Das beschriebene Gewebe eines verdeckten Gestaltungsspielraumes wird noch einmal verkompliziert. Die Entscheidungsmacht ist an die Programmierenden delegiert, solange sie nicht als solche auftritt. Sobald Entscheidungen explizit zu fällen sind, werden sie bei den entsprechenden Machtfunktionen zentralisiert [21]. Einmal unterstellt, daß Programmierung nicht aus zwei getrennten Phasen, der technischen und der gestaltenden besteht [22], treibt diese Situation die Programmierenden in eine Form der Schizophrenie: Erstens sind Entscheidungen, Freiräume wesentlich für ihr Bild ihrer Arbeit, zweitens verschwinden Entscheidungen, die als solche sichtbar werden sofort wieder [23], und drittens treffen die Programmierenden ständig Entscheidungen. Eine Möglichkeit hiermit umzugehen, ist es, Entscheidungen in zwei Ebenen zu zerlegen: die technische und die andere (?!). Der technische Entscheidungsspielraum (in eigentümlich beschnittener Weise, leblos) gehört den Programmierenden, der Rest ist für andere. Eine Form, die sich mit dem oben analysierten Technikdeterminismus verbindet.

Die Bedeutungs-Analyse, Betrachtung der gesellschaftlich-institutionellen Konfliktstruktur, so weit getrieben, macht es nötig, daß ich zur Begründungsanalyse zurückkehre. Das Arbeit-Privatleben-Problem bestand darin, daß die Programmierenden ihr Privatleben bewußt vor einem ‘Hinüberschwappen’ der Arbeit schützen. Die Programmierenden entscheiden sich, ihren Hauptlebensmittelpunkt im Privatleben zu haben, und sich nicht von der Arbeit gefangen nehmen zu lassen. Sie sehen die Gefahr, daß die Arbeit sie fesselt und auch in der Freizeit nicht mehr losläßt. Dagegen stellen sie ihre Anstrengung, die Arbeit zu begrenzen [24]. Die Bedeutungsanalyse hat deutlich gemacht, daß die Programmierenden es mit eigentümlich uneigentlichen Entscheidungen/Ideen zu tun haben. Daraus entsteht ein Geflecht aus Fremd- und Selbstbestimmung, das zunächst nicht zu entwirren ist. Eigene Ideen, die, wenn sie als solche auftauchen, in ihrer technischen Dimension erstarren oder gänzlich entschwinden, sind somit nicht als eigene Ideen greifbar. Diese Form der subjektiven Enteignung nötigt die Programmierenden, sich zu verhalten. Sie ziehen eine Trennlinie zum Bereich der Arbeit. Sie wollen das Problem, das sie ergriffen hat, begrenzen, indem sie sich in Enthaltsamkeit üben. Das positive Moment, das die Grenze zur Arbeit fließend wird, erfahren sie als Bedrohung und reagieren mit bewußter Neubefestigung dieser Grenze. Das Problem der ideellen Enteignung löst sich dadurch nicht, der Schaden wird aber in Grenzen gehalten. Die Formulierung des Problems als eines von Arbeit und Privatleben entzieht die Ebene der Enteignung dem bewußten Zugriff. Die Logik des BGM ist restriktiv. Die restriktive Dimension artikuliert sich im Gefühl ständiger Bedrohung des Privatlebens. Auch hier gilt, daß eine präzisere Analyse der Bedrohungen durch die Subjekte selbst erst den Weg zur Verallgemeinerung eines Möglichkeitstyps eröffnet. Die Erfahrung der Bedrohung, das Erleben der Enteignung sowie die Verquickung mit anderen Ebenen (Süchte, Faszination des Formalen, …) ist genauer zu durchdringen. Es ist ebenfalls deutlich, daß die Lösung des Problems auf der Ebene einer anderen Organisation der Verfügung über Arbeit und Arbeitsprodukt liegt, sowie darin, diese neue Form der Organisation mit einer entsprechenden Kultur zu füllen.

Hier ist die Schnittstelle zu empirischen Arbeiten. Meine Vorarbeit betont vor allem die Bedingungs-Bedeutungs-Analyse, die ausgehend von subjektiv formulierten Problemen versuchte, gesellschaftlich-institutionelle Konflikte einzufangen, zu denen sich die jeweiligen Subjekte verhielten. D.h. ich habe versucht, den Schritt von der Kritik des Verhaltens der Programmierenden zur Analyse der Bedingungen, unter denen die Handlungen der Subjekte sinnvoll sind, zu gehen. Ich wollte in diesem Kapitel zunächst die Bedingungen verstehen, die es für die Subjekte sinnvoll machen, sich so zu verhalten. Diese – vorläufigen – Ergebnisse würden in einer subjektwissenschaftlichen Empirie zur Disposition stehen. Allein aus der gesellschaftstheoretischen Analyse heraus zu deduzieren ist unmöglich. Die Zange hat sich gleichsam von zwei Seiten zu schließen und wenn die eine Seite jetzt einen Hub getan hat, bleibt abzuwarten, ob der andere Flügel sich auf sie zubewegt. Zumindest besteht jetzt die Möglichkeit, jenseits der Individualisierung von Problemen der Software-Entwickelnden, erste Schritte in Richtung auf eine subjektwissenschaftliche Aktualempirie zu gehen und im Feld der Software-Entwicklung die Verwobenheit von gesellschaftlicher und individueller Reproduktion zu begreifen.


[1] Vgl. PAQ 1983 und 1987, Schachtner 1993 und Volmerg u.a. 1983 und 1985. Volmerg u.a. untersuchen Humanisierungsbarrieren im Industriebetrieb. Ich ziehe ihre Untersuchung der Ingenieure und Techniker zu rate, da ich meine, daß sich eine für Programmierende zugespitze Problematik, hier im Ansatz äußert. Zudem scheint mir das Tätigkeitsfeld des Programmierenden dem des klassischen Ingenieurs am verwandtesten. (Maschinisierung von Kopfarbeit und Maschinisierung von Handarbeit, s.u..) Nicht zufällig gibt es die Auffassung, die Informatik sei Ingenieurswissenschaft und nicht zufällig heißt systematische Software-Entwicklung Software Engineering.

[2] Daß jedes Material keine Empirie jenseits der Theorie/Methode ist, ist klar. Es gibt eine gewisse methodologische Übereinstimmung zwischen den Aussagen meines vierten Kapitels und den untersuchten Arbeiten (vgl. Schachtner 1993, 22 und 26, PAQ 1983, 9 und Volmerg 1985, 10). Insofern ist das Begreifen der Empirie als ‘bloße Empirie’ durch einen ähnlichen Theorierahmen gedeckt, wird aber nicht weiter behandelt.

[3] Moderne Zuschauende zappen und werden so zu Gestaltenden.

[4] Hierunter fasse ich jetzt auch die Aussagen der Ingenieure und Techniker.

[5] Im Doppelsinn des Wortes ‘Identifizieren’ steckt die Schwierigkeit der Distanzierung. Hier ist ‘identifizieren’ eine Aktion des Subjektes ("kulturelle Anstrengung der Weigerung"). Dagegen meint ‘identifizieren’ oft einen Tatbestand, auf den das Subjekt gar keinen Einfluß hat, der sich unterschwellig vollzieht.

[6] Selbst diese wären subjektwissenschaftlich aufzuklären und nicht dem Reich purer Innerlichkeit überantwortet. Für ihre Re-Interpretation fehlte mir hier jedoch jedes Mittel, und sie wäre für meine Fragestellung nicht relevant.

[7] Damit möchte ich in keiner Weise diese Erörterungen abwerten. Ich halte sie für notwendig und sehe mich außerstande zu ihnen qualifiziert Stellung zu beziehen. Ich denke lediglich, daß diese Ansichten das Problem nicht gänzlich erschöpfen und ein Bodensatz Relevanz gesellschaftlicher Problemlagen verbleibt, welcher für sich genommen die anderen Erklärungen natürlich nicht ersetzen kann.

[8] Z.B. als Schutz vor zu monotoner Arbeit wie der Fließbandarbeit.

[9] Erst dann wird die Arbeit um Moment der Persönlichkeitsentwicklung. "Vielerlei Fähigkeiten, Bedürfnisse, Vorlieben, Gelüste, Süchte und Sehnsüchte fließen ein in die Entwicklung eines Softwareprodukts. Die Verfertigung des Produkts ist das offizielle Ziel, aber nicht nur um dieses geht es beim Programmieren. Disparat in den Erscheinungsformen, treffen sich die subjektiven ‘Einflüsse’ noch in einem anderen Punkt, und zwar in dem Bemühen, das eigene Ich zu suchen, zu fassen, zu festigen, zu stärken, beweglich zu halten." (Schachtner 1993, 126)

[10] Eine ähnlich widersprüchliche Befindlichkeit konstatiert auch Schachtner: "Der innere Zwiespalt antwortet der strukturellen Widersprüchlichkeit, die die der Maschinenlogik verpflichtete Softwareproduktion in sich birgt. Die Entwicklung von Software verlangt einerseits nach einer sich entfaltenden Subjektivität … Dann wieder erfahren Softwareentwickler sich in ihrer Subjektivität fragmentiert, aufgelöst in Stückwerk, abgekoppelt von sich selbst und der Welt, ausgelöscht in ihrer Individualität." (Schachtner 1993, 236f)

[11] Es gibt auch eine andere Weise des Umgangs mit dem Problem der Grenzziehung, der inneren Enthaltung. Molzberger formuliert: "Wenn ich ‘therapeutische Aufgabe’ sage, so meine ich, daß der Software-Mann die Erfahrung machen muß, daß er heute keine Angst mehr vor seinen kreativen Fähigkeiten zu haben braucht." (Molzberger 1985, 167) Mir scheint hier ist genau das oben thematisierte Problem angesprochen. Programmierung als Selbstbestimmung in der Fremdbestimmung. Selbstbestimmung meint eben auch, daß die emotionale Seite des Arbeitenden in die Arbeit eingeht. Was Molzberger nicht sieht ist, daß es sich um ein strukturelles Problem handelt, das in der Angst einen adäquaten Ausdruck findet. Als "therapeutische Aufgabe" wird es psychologisiert und erscheint als Problem des Software-Mannes, die Problematik der Software-Arbeit ist ausgeblendet – nicht verschwunden! Wenn Molzberger auch recht zu geben ist, daß Programmieren eine Kunst ist (vgl. Molzberger 1988), so enthebt das nicht der gesellschaftstheoretischen Reflexion, sondern erweitert sie um einen Aspekt!
Ebenfalls thematisiert wird das Problem in dem Buch zweier Unternehmensberater Wien wartet auf dich! "‘In Fahrt’ ist ein Zustand tiefer, fast meditativer Versunkenheit. In diesem Zustand fühlt man eine leichte Art von Euphorie, und man hat kein Gefühl von Zeit. … Man merkt die Arbeit nicht, sie geht einem locker von der Hand."(DeMarco u.a. 1991, 74). Das, was sie als ‘in Fahrt’ bezeichnen, meint einen Zustand, in dem die Momente der Fremdbestimmung praktisch zum Verschwinden gebracht sind. Das ganze Buch läßt sich als eine Anweisung für Manager lesen, wie Fremdbestimmung athmosphärisch ‘beseitigt’ werden kann: "Wir zeigen ihnen einen Ansatz, der auf folgender Erfolgsformel beruht: – gute Leute einstellen[,] – diese glücklich machen, damit sie bleiben[,] – sie möglichst frei arbeiten lassen" (ebd.., 107) So sympathisch dieses Herangehen ist, stellt sich die Frage, ob das Problem der Fremdbestimmung im Athmosphärischen richtig verortet ist. Ich denke, es drückt sich dort aus, aber es entspringt einer tieferen Struktur, so daß athmosphärische Korrekturen immer nur als Ausnahme in Ausnahmebetrieben erfolgreich sein können. Anders gesehen ließe sich ihre Arbeit als ein Plädoyer für eine andere Form der Arbeit lesen, doch das würde ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht.

[12] Im Sinne des zweiten Kapitels vermitteln Bedeutungen individuelle und gesellschaftliche Reproduktion. In der Aufklärung der die Probleme konstituierenden Begriffe in Richtung gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten, liegt die Perspektive des Sichtbarmachens tiefer liegender Widersprüche. Hier tritt die konkrete individuelle Lebensführung als Moment gesellschaftlicher Reproduktion auf den Plan.

[13] Noch genauer gesagt, handelt es sich um eine Reproduktion, die sich nach zwei Seiten auffassen läßt.

[14] Wobei anzumerken ist, daß es sich hier nicht um psychologische Bestimmungen handelt. Ohnmacht und Macht kennzeichnen die Möglichkeiten individueller Einflußnahme auf einen gesellschaftlichen Prozeß. Sie stehen im Zusammenhang mit der Frage, wer das eigentliche Subjekt gesellschaftlicher Entwicklung ist. Sie drücken demnach gesellschaftliche Verfügungsstrukturen aus. Vor diesem Hintergrund lassen sich psychologische Bestimmungen gewinnen. Das Gefühl der Macht und Ohnmacht stände mit den beiden Begriffen im Zusammenhang, ließe sich aber nicht auf sie reduzieren.

[15] Die zu überwachende Arbeit müßte nocheinmal vollzogen werden, um als Vergleichsobjekt zu dienen. Ouantitative Raster erfassen das Eigentliche der Kopfarbeit nicht.

[16] Die Anlehnung an den Gestaltungsbegriff ist hier zunächst zufällig. Vielleicht wird jedoch durch die Betrachtung der Binnenstruktur von Gestaltung einiges von seinem umstrittenen Stellenwert für die Informatik deutlicher.

[17] Politischer, das gleiche im Visier, argumentiert Volpert: "Das Konzept, gegen das wir uns gemeinsam wenden, wurde schon als ‘technik-orientiert’ bezeichnet: Im Vertrauen auf einen als Selbstlauf angesehenen Fortschritt wird das jeweils technisch Mögliche geschaffen; was daraus an Aufgaben und Tätigkeiten für die Menschen resultiert, ist gewissermaßen das Abfallprodukt dieses Prozesses." (Volpert 1992, 132)

[18] Hier liegt im Gegenastz zumPAQ, das nicht über einen entfalteten Begriff von Programmierarbeit verfügt, ein objektiver Grund des Technikdeterminismus. Das PAQ greift auf Psychologismen zurück ("verführt zur Universalisierung des technischen Problemlösungsmusters"), die erst nach der Analyse objektiver Strukturen Sinn machen.

[19] "Die Systemgestalter bemühten sich nicht um die Realisation ihrer Menschen- und Organisationsbilder, sondern bewältigten ihre Gestaltungsaufgabe in Form eines ‘muddling through’ unter den vom Management gesetzten Zeit- und Kostenrestriktionen (…)." (Sydow 1989, 21)

[20] "Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich." (Marx 1844, 514)

[21] Entscheidungen meint hier die Reformulierung von Steuerungs- und Leitungsfunktionen.

[22] Jede technische Entscheidung für diesen und gegen jenen Algorithmus bezieht sich auf ein Modell des zu modellierenden Prozesses. Erst das Wissen darum, ob hier besonders schnell oder besonders platzsparend gesucht werden soll, ob diese Funktion oft oder selten benutzt wird, ob lange oder kurze Zeichenketten mit einer bestimmten Struktur gesucht werden sollen, ob sich der Aufwand für einen Suchbaum oder eine Hash-Tabelle lohnt oder nicht, ermöglicht einen technischen Entscheidungsprozeß. Das gilt umso mehr, da es sich bei der Informatik ja nicht um die Wissenschaft des Berechenbaren, sondern um die des praktisch Berechenbaren handelt, und eine der Bestimmungsgrößen für dieses ‘praktisch’ der Arbeitskontext des Programmes ist. Ebenso kann es keine Gestaltung einer Software geben, die nicht um die technischen Möglichkeiten, die technische Kultur der Problemlösungen weiß. Es sind zwei Seiten eines Prozesses!

[23] Es entsteht das "muddling through" (s.o.).

[24] Hier sei daran erinnert, daß es mir nicht darauf ankommt das Phänomen als ganzes aufzuklären. Es existieren viele psychologische, philosophische, sozialwissenschaftliche Untersuchungen bis hin zu Studien zu burn-out oder zu Süchten, die alle relevante Ebenen des Problems anschneiden. Ich möchte lediglich argumentieren, daß ein – vielleicht verschwindendes – Moment des Ganzen in einer subjektiven Reaktion auf eine institutionelle Konfliktstruktur besteht.