Kritik ist machbar
Die KI wird kritisierbar, wenn es gelingt, ihr sachlich Grundannahmen zu
entziehen. Am Beispiel der Bedeutungen, wurde gezeigt, daß KI und
Informatik ihren Bedeutungsbegriff aus dem Syntax-Semantik-Verhältnis bei
Programmen verwenden und unzulässigerweise auf menschlich-weltliche
Bedeutungen ausdehnen. Programmierte Syntax-Semantik-Relationen
und menschliche Bedeutungswelt sind jedoch - mit einer Computermetapher
gesprochen - völlig ‘inkompatibel’.
Notwendig ist eine Theorie der
Informatik - bisher gibt es sie nicht. Eine solche Theorie kann nur eine
kritische Informatik sein. Sie muß sich mit vorhandenen Ansätzen
außereinandersetzen, ihre Grundannahmen ‘freilegen’, ggf. sachlich
begründet verwerfen und konzeptionelle Alternativen schaffen. Die
KI ist dabei nicht mehr als ein bunter Vogel. Praxisrelevant wird es, wenn
es um die Softwareentwicklung und andere Kerndisziplinen geht.
Kasten 1:
Zuordnungshypothese
Die Zuordnungshypothese ist der Kern der informatischen
Auffassung der Definition von ‘Bedeutung’. Besonders klar hat diese Hypothese
Kayser [4] formuliert:
"Die folgende These (T) wird allgemein als zutreffend angesehen:
(T) Jeder Satz, der verstehbar ist, hat eine (oder, im Fall von Mehrdeutigkeit,
mehrere) Bedeutung(en), und es existiert ein Formalismus - unterschiedlich zum
Satz selbst -, der die Fähigkeit besitzt, sie zu repräsentieren.
In mehr technischen Ausdrücken lautet die gleiche These:
Es existiert ein Raum S, der Bedeutungsraum genannt wird, und eine Abbildung s, die
für jedes Element der Menge E verstehbarer Sätze ein oder mehrere
Elemente von S liefert."
Die Zuordnungshypothese wird in Abb. 1 grafisch veranschaulicht. Der Aufbau
der These ist vollständig zirkulär. Sie ‘erklärt’ sich durch
sich selbst, in dem sie einen eigenen, abgeschlossenen Raum definiert. Die
These kann in zwei Weisen - einer trivialen und einer informatischen -
interpretiert werden.
Triviale Interpretation
Die Menge E enthält Sätze,
denen mit der Abbildung s Bedeutungen - Elemente aus S - zugeordnet werden.
Diese Zuordnung ist sinnvoll, wenn man annimmt, daß die Sätze
durch diese Abbildung ihre Bedeutung erhalten, folglich vorher keine besitzen.
Wie aber funktioniert s, wie werden die richtigen Sätze erkannt,
denen ihre Bedeutung zugeordnet werden soll? Sie können erkannt
werden, weil sie verstehbar sind. Warum sind Sätze verstehbar?
Weil wir ihre Bedeutung erkennen - bedeutungslose Sätze sind nicht
verstehbar. Damit ist die Bedeutung der Sätze, die erst durch die
Abbildung s auf S geleistet werden sollte, durch ihre Verstehbarkeit bereits
vorgegeben. Damit ist s überflüssig oder etwa so sinnvoll wie
programmiertechnisch die Zuweisung i:=i.
Die Mengen E und S enthalten demnach beide Bedeutungen, ihre Zuordnung
ist somit trivial. Daran ändert sich nichts, wenn man annimmt, daß
es sich um unterschiedliche Bedeutungstypen handelt, also etwa gegenständliche
Bedeutungen (der sinnlich benutzbare ‘Stuhl’) und symbolische Bedeutungen
(das Wort ‘Stuhl’): Ein Stuhl ist ein Stuhl.
Informatische Interpretation
Nimmt man an, beide Mengen enthalten
keine Bedeutungen im menschlich-weltlichen Sinne, sondern eine andere ‘Art’
von ‘Bedeutungen’. Als Beispiel mag ein Programmfragment dienen. Der ‘Satz’
printf("Hello world")
hat ggf. bei der Ausführung des Programms die Ausgabe des Textes ‘Hello
world’ auf dem Bildschirm (o.ä.) zur Folge. Eine Zeile eines Programms
aus der Menge E ‘bedeutet’ demnach eine Aktion aus der Menge S bei der
Ausführung. Für die Zuordnung s sorgt der Compiler, der einen
Text in Maschinencode ‘übersetzt’, der eine Aktion bewirkt (eigentlich
eine doppelte Zuordnung, aber diese Unschärfe sei gestattet). Ein
anderer Compiler mit einer anderen Zuordnung s könnte eine andere
Aktion bewirken - etwa eine Geschirrspülmaschine anschalten. In der
Informatik gibt es für dieses Verhältnis von Text und Aktion
das Begriffspaar Syntax und Semantik.
Die Syntax legt die korrekte Form fest (oben fehlt z.B. das Semikolon!), die
Semantik legt die verbundene Aktion fest. Und im Informatik-Duden
[5] steht für ‘Semantik’: ‘Lehre von der inhaltlichen
Bedeutung einer Sprache.’
Herkunft der Bedeutungen
Beide Deutungsweisen der Zuordnungshypothese - die triviale und die
informatische - sind Realität. Die triviale Bedeutungszuordnung vollziehen
wir tagtäglich, in dem wir mit Gegenständen umgehen und über
sie mit anderen sprechen, Texte lesen etc. Ohne diese ‘Trivialität’ der
permanenten Zuordnung von Bedeutungen zu Bedeutungen würde die
Gesellschaft nicht funktionieren. Daraus folgt, daß
‘Bedeutung’ nicht ein ‘platonischer’ Begriff sein kann, mit dem
eine ‘Wesensverwandtschaft’ zwischen Ding und Symbol gefaßt wird
[6]. ‘Bedeutung’ muß als Vermittlungsbegriff
aufgefaßt werden. Bedeutungen vermitteln zwischen den ‘Dingen’ und uns.
Bedeutung ist demnach nichts absolutes, Bedeutung haben die ‘Dinge’ immer
für uns. Dabei haben sich die gesellschaftlichen, also allen
gemeinsamen Bedeutungen historisch herausgebildet. Sie entstanden nicht - wie
oft vermutet wird - aus einer Art gesellschaftlicher ‘Einigung’. Eine solche
Annahme würde die gleiche Zirkularität enthalten, wie sie in der
‘trivialen’ Deutungsweise der Zuordnungshypothese beschrieben wurde. Die
Bedeutungen entstanden aus Notwendigkeiten bei der gesellschaftlichen
Herstellung des Lebens, denn gesellschaftlich werden Dinge nicht bloß
individuell oder für einen persönlich Bekannten hergestellt, sondern
allgemein ‘für andere’. Der allgemeine Andere kann das Hergestellte jedoch
nur gebrauchen, wenn er die Brauchbarkeit - die Bedeutung - erkennt. Die
allgemeine Brauchbarkeit entsteht in der Produktion durch sein allgemeines
‘Gemachtsein’ für Andere. Das bedeutet, daß
die (gegenständliche und mit Sprache/Schrift auch die symbolische)
Bedeutung gesellschaftlich hergestellt wird und auf diese Weise
unsere Gesellschaftlichkeit erst ermöglicht (z.B. im Unterschied zu
Tieren - ausführlicher in [7]).
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Kasten 2:
Konventionsräume
In Konventionsräumen sind die Syntax-Semantik-Verhältnisse eindeutig
definiert. Jedem Zeichen (Wort etc.) ist eine eindeutige Aktion beigelegt. Bei
Programmen spiegeln Konventionsräume die physikalische
Ursache-Wirkungs-Kausalität des Computers wider. ‘If-Then’ ist das
textuelle Gegenstück zur ‘Wenn-Dann-Schaltung’ der Hardware des Computers.
Ohne Konventionsräume keine funktionierenden Computer.
Der KI’ler Haugeland hat also Recht, wenn er sagt: ‘Wenn man auf die Syntax achtet,
wird die Semantik auf sich selbst achten’ [8]. Außerhalb
von fest defnierten Konventionsräumen ist diese Aussage jedoch ungültig.
Die Ausdehnung der Computerlogik auf die menschliche Welt ist folglich
unzulässig. Die menschliche Welt ist hinsichtlich ihrer Bedeutungen
unbegrenzt und unabgeschlossen, und es besteht auch keine feste Zuordnung
von Zeichen zu Bedeutungen. Das macht im übrigen auch die Begrenztheit
von maschinellen Übersetzungsprogrammen aus.
Konventionsräume können ein hierarchisches Verhältnis aufbauen.
Gleich ‘Schachteln’ in ‘Schachteln’ (vgl. Abb. 2) definieren sie auf jeweils
höheren Ebene komplexere Syntax-Semantik-Verhältnisse. Ein Beispiel
ist etwa die Schachtelung Maschinencode - Assembler - Hochsprache - CASE-Diagramm.
Wenn Syntax-Semantik-Verhältnisse in Konventionsräumen eingeschlossen
bleiben - was sie müssen, damit Computer funktionieren -, dann ist es
unerheblich, mit welcher Geschwindigkeit die Zeichenketten in Aktionen umgesetzt
werden. Es ist auch unerheblich, ob es sich bei den Aktionen um Bildschirmausgaben
oder Bewegungen von Motoren von Robotern handelt. Die ‘höchste’, komplexeste
‘Schachtel’ kann nie in Richtung bedeutungsvoller Menschenwelt überschritten
werden. Das wäre gleichbedeutend mit einer Auflösung des Konventionsraumes
und damit der Bedingung, die Computer erst funktionieren lassen. Wenn man
nicht von der These ausgeht ‘Der Mensch denkt, Gott lenkt’ im unmittelbar
technischen Sinne, dann ist die äußerste ‘Schachtel’ auch die
letzte - und die hat keine Wände!
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Literatur
[1] Hans Moravec, Mind Children, Hoffmann und Campe, Hamburg 1990
[2] Gespräch mit Hans Moravec, c’t 6/96, S. 106ff.
[3] Hans Moravec, Geisteskinder, c’t 6/96, S. 98ff.
[4] D. Kayser, A computer scientist’s view of meaning, in: S.B. Torrance, The
Mind and the Machine. Philosophical Aspects of Artificial Intelligence, Ellis
Horwood, Chichester 1984
[5] Duden Informatik, Dudenverlag, Mannheim/Wien/Zürich 1989
[6] John Lyons, Einführung in die moderne Linguistik, Verlag C. H. Beck,
München 1989
[7] Anita Lenz, Stefan Meretz, Neuronale Netze und Subjektivität, Vieweg-Verlag, 1995.
[8] John Haugeland, Künstliche Intelligenz - Programmierte Vernunft?,
MacGraw-Hill, München 1987
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