Annette Schlemm, Stefan Meretz (September 2000)

Zwischen Selbstverwertung und Selbstentfaltung. Zum neuen Charakter dezentral-vernetzter Produktionsweisen

Zusammenfassung    Download

Version 1.01, Letzte Änderung: 26.01.2001

Originalquelle: http://www.kritische-informatik.de/paq_fsl.htm

Ein open-theory-Projekt: http://www.opentheory.org/proj/selbst-selbst

Lizenz: GNU Free Documentation License Version 1.1, http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html


Zwischen Selbstverwertung und Selbstentfaltung. Zum neuen Charakter dezentral-vernetzter Produktionsweisen

In unserer Lehre und dem ersten Studium bereiteten wir uns noch auf unseren Lebensberuf vor und erst seit ca. 10 Jahren merken wir, daß es inzwischen normal geworden ist, keinen festen Fuß in der Berufswelt zu fassen. Unsere Kinder wachsen in diese Welt hinein und können sich überhaupt nicht mehr vorstellen, ein Leben lang wöchentlich 40 Stunden und mehr irgendwo am Fließband immer wieder dieselbe Arbeit zu tun oder am selben Schreibtisch zu sitzen. Viele Keimformen neuer Arbeitsinhalte und -organisationsformen, die 1987 in der Studie »Widersprüche der Automationsarbeit« der Projektgruppe Automation und Qualifikation (PAQ) [1] untersucht wurden, haben sich jetzt in weitem Maße durchgesetzt. Die EXPO 2000 glorifiziert die Welt der global-mobilisierten, flexibilisierten Arbeit. Die Zumutungen an die Arbeitenden und Erwerbslosen werden - zumindest in Deutschland - fast widerstandslos geschluckt. Wir folgen den PAQ-Untersuchungen in ihrer Zielsetzung, zu untersuchen »was in der Arbeit möglich wäre, wenn sie mit dem heutigen Stand an verfügbarem Wissen menschlich gestaltet würde« (19).

Viele Erwartungen der Projektgruppe, vor allem jene, die in der Automation nicht nur negative, in Richtung Verelendung und Dequalifizierung tendierende Konsequenzen erkannten, können bestätigt und präzisiert werden. Andere Entwicklungen waren damals unvorhersehbar (Totalisierung der Marktlogik, Internet, Freie Software etc. ) und führten zu einem grundlegenden Wandel der Inhalte der Produktivkraftentwicklung und der Möglichkeiten politischen Handelns.

Automation gestern und heute

Unserer Ansicht nach lassen sich die in der Studie »Widersprüche der Automationsarbeit« dargestellten unterschiedlichen Auffassungen zur Rolle der Automation klären, wenn wir unterschiedliche Formen der Automation unterscheiden. Das Projekt verfügte nur ansatzweise und in widersprüchlichen Formen verwoben einen begrifflich-analytischen Zugang zu den vorgefundenen technisch-immanenten Logiken des Gegenstands. So ist die Rede von der Automation als »Ersetzung der informationsverarbeitenden Regelungstätigkeit der Arbeiter durch Regelkreise« (24); von »maschinellen Elementarbewegungen«, die »neu zusammengesetzt« und in Kombination »gleichzeitig und zeitlich hintereinander koordiniert« werden (25); von der »Anordnung der Regler, ihrer(r) Verkettung und Verknüpfung untereinander«, die ein »wissenschaftliches Modell des jeweiligen Prozesses in Gestalt von Eingriffsmöglichkeiten und Steuerungsgrößen« repräsentieren (45) usw. Andererseits wird unter Verwendung informatischer Vorbegriffe unvermittelt von »Algorithmisierung« (28) geschrieben, wenn es um die Programmierung geht, ohne den inhaltlichen Zusammenhang der Phänomene zu erfassen und kategorial zu verdichten. Das spiegelt den Stand der marxistisch-fundierten Automationsforschung der 80er Jahre wider, die eben nur relativ entwickelt war, wenngleich ungleich hellsichtiger als soziologistisch-affirmative Ansätze.

Ein zweiter Denkrahmen des Projekts - auch das ist ihm nicht vorzuhalten, sondern kann rückblickend nur konstatiert werden -, steht heute in Gänze zur Disposition: die Verankerung im klassischen »Arbeiterbewegungsmarxismus«. Zur Dekonstruktion hat hier die »Krisis-Gruppe« entscheidende Beiträge geliefert, die jedoch aufgrund überkommener Grabenkämpfe, aber auch Defiziten im Theoriekonzept von »Krisis«, noch völlig unzureichend zur Kenntnis genommen werden [2]. Ausgangspunkt der PAQ-Forschung war das »Theorem vom Widerspruch der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse« (179), was auf den Widerspruch von Arbeit und Kapital, von »gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung« (170) und schließlich von Gebrauchswert- und Verwertungsstandpunkt heruntergebrochen wurde: »Um es in eine Formel zu pressen: Die Analyse von Arbeitshandlungen sollte managementkritisch, widerspruchsinteressiert und kooperationsorientiert sein.« Das »Ineinander von Selbst- und Fremdbestimmung« (170) im Betrieb wurde mit der »Perspektive der gemeinschaftlich organisierten Produktion« (19) kontrastiert ohne den kategorialen Rahmen der »Selbstverwertung von Wert« (Marx) zu verlassen. Betrieblich wurde registriert, was gesamtgesellschaftlich der Fall ist: »(D)er Produktivismus verwandelt die Sozialform Betrieb in einen Produktionsprozeß, der ‘laufen’ muß, der ‘entwickelt’ werden muß, und in dem dieses ‘Laufen’ und diese ‘Entwicklung’ Selbstzweck sind. Der Produktivismus verwandelt die betrieblichen Herrschaftsverhältnisse und ökonomischen Prozesse in ein selbstzweckhaftes Funktionieren.« (149). Der »Produktivismus« ist jedoch keine besondere »Managementstrategie« wie das PAQ meint, sondern spiegelt den blinden, auf sich selbst bezogenen Verwertungskreislauf von Wert wider, der den Handlungsrahmen der Menschen - ganz allgemein und erst recht im Betrieb - bestimmt. Begreift man die durch den Wertfetisch konstituierten immanenten Handlungslogiken, dann wird klar, daß Arbeit und Kapital nicht Antipoden, sondern ergänzende Handlungszentren in der übergreifenden Gesamtdynamik der Wertselbstverwertung sind. So wird verständlich, warum von PAQ als gegensätzlich wahrgenommene Erscheinungen im Betrieb heute in radikalisierter Form wie »selbstverständlich« vorkommen, manchmal sogar zusammengeschlossen in einer Person.

Genug genörgelt, wir wollen die auf dem damaligen Stand der Erkenntnis befindliche Leistung des PAQ würdigen, indem wir auf der Grundlage einer neuen kategorialen Fassung des Problemzusammenhangs die Ergebnisse des PAQ reinterpretieren und Perspektiven aufzeigen.

Kategorie Algorithmus

Der Zugriff auf das vorgefundene Material hätte ungleich mehr an Kraft gewonnen, hätte das PAQ über einen angemessenen Algorithmusbegriff verfügt. Einen solchen Algorithmusbegriff kann man jedoch nicht ungebrochen aus Informatik entnehmen, da dort nur eine technizistisch verengte Form verwendet wird und insofern nur »vorbegrifflichen« Charakter trägt. Wir fassen »Algorithmus« als »ideelle Vorwegnahme eines Prozesses« (Meretz 1999a). Jede gedankliche, gegenständlich-materialisierte oder gegenständlich-symbolische Widerspiegelung einer zeitlichen und sachlichen Prozesslogik entspricht demnach einer unterschiedlichen Repräsentationsform eines Algorithmus. Davon zu abzuheben ist der materielle Prozess selbst. Wenn ich koche, dann koche ich; wenn ich den sachlichen und zeitlichen Ablauf des Kochens denkend vorbereite, dann nehme ich eine ideell-algorithmische Abstraktion und Antizipation vor.

Wendet man diesen allgemeinen Algorithmusbegriff auf industrielle Produktionsprozesse an, dann kann man - in Reinterpretation der Marxschen drei Faktoren der industriellen Maschinerie (1976/1890, 393ff) - den industriellen Prozess analytisch aufschlüsseln in den energetischen, den gegenständlich-prozessualen und den algorithmischen Produktionsaspekt. Die Heraushebung des algorithmischen Produktionsaspekts (bei Marx nur erahnt als »Transmissionsmechanismus«) ist dabei von entscheidender Bedeutung. Die Revolutionierung des gegenständlichen Produktionsprozesses durch Vergegenständlichung der ursprünglichen Handwerkertätigkeit und seiner Werkzeuge in einer Maschine, damit Entsubjektivierung und Verallgemeinerung des manuellen Herstellprozesses (Marx: »Werkzeugmaschine«), zog sekundär die Revolutionierung der Energieproduktion nach sich (Dampfmaschine, Elektroenergie) [3]. Der algorithmische Produktionsaspekt ist in der Folge derjenige, dessen Revolutionierung für qualitativ abgrenzbare Etappen der Produktivkraftentwicklung innerhalb des entwickelten Kapitalismus steht.

Fordismus und Toyotismus [4] - Etappen algorithmischer Revolutionen

Die erste algorithmische Revolution vollzog der Fordismus unter Zuhilfenahme der Arbeitswissenschaft (Taylorismus) als in die Extreme getriebene Enteignung und Vergegenständlichung des ursprünglichen Erfahrungswissens der Handwerker in maschineller Form. Nach der Übertragung des Werkzeugs und seiner Anwendung auf eine Maschine während der Industriellen Revolution, stand nun die algorithmisch-informationelle Seite im Licht der »grellen Verhörlampe der Aufklärungsvernunft« (Kurz 1999, 372). Der Mensch wurde zum nahezu vollständigen Anhängsel der Maschine, die den von Ingenieuren vorgedachten Algorithmus des Produktionsprozesses vergegenständlichte. Doch noch waren Algorithmus und gegenständlicher Herstellprozess in einer Maschine »analog« zusammengeschlossen. Die Trennung und separate Universalisierung besorgte erst die zweite algorithmische Revolution des Toyotismus. Sein Programm [5] ist die fortwährende Änderbarkeit des Produktionsprozesses, die flexible Produktion. In quasi fordistischer Manier wurde (und wird) versucht, die möglichen Änderungen der algorithmisierten Produktion selbst wieder algorithmisch abzubilden - sozusagen als Algorithmisierung der Algorithmisierung [6]. Dazu werden nun der gegenständlich-prozessuale und der informationell-algorithmische Produktionsaspekt voneinander getrennt und auf Universalmaschinen übertragen: auf der einen Seite auf die flexiblen, programmierbaren Produktionsmaschinen, auf der anderen Seite auf die Universalmaschine sui generis, den Computer. Der Computer als universelle Algorithmusmaschine seinerseits trennt materielle und informationelle Teile in Hard- und Software. Erst jetzt wird ansatzweise deutlich, was Marx meinte, als er ahnungsvoll schrieb, dass die Industrie »jeden Produktionsprozeß, an und für sich zunächst ohne alle Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine konstituierenden Elemente« auflöst und der Wissenschaft unterwirft [7].

Im folgenden wollen wir schlaglichtartig wichtige Ergebnisse im von uns aufgespannten kategorialen Rahmen und unter Einbezug der realen Entwicklungssprünge seit der Zeit der PAQ-Untersuchungen diskutieren.

Kapital vs. Arbeit

Bei den vom PAQ beobachteten Prozessen der Etablierung von Automationsarbeit handelt es sich um die ersten zarten Pflänzchen im Übergang zu den Zielen des Toyotismus, die sich zu großen Teilen noch in alten Formen entwickelten. So identifiziert das PAQ alte Hierarchien als funktionale Widerspiegelung der durch den Gegensatz von Kapital und Arbeit bedingten Trennung in Verwertungs- und Gebrauchswertlogik - etwa im Handeln des Managements und der ArbeiterInnen. Die Strategien der Manager(innen?) werden unter dem Gesichtspunkt bewertet, wie sie die Verwertungslogik in betriebliche Produktionsprozesse umsetzen, wie sie vorgehen, um einerseits die »Arbeiter zu ‘motivieren’, um sie an den Betrieb zu binden« (133) und sie andererseits »von Planungsprozessen überhaupt auszuschließen« (137). Das PAQ beschreibt die Widersprüche ohne die Austragungsformen derselben bereits erkennen zu können: »Es scheint geradezu, als sei erst mit dem DV-Einsatz in der Produktionsplanung und -steuerung die technische Grundlage für das Vorantreiben der Taylorschen Zielstellung geschaffen worden, die Planung der Arbeit dem Management zu überantworten.« (139) Andererseits: »(D)ie Eigenarten der automatisierten Produktion machen es schwierig, wenn nicht unmöglich, genau vorab zu definieren, was zu welchem Zeitpunkt, mit welchen Mitteln und in welchen Kooperationsbeziehungen getan werden soll.« (137) Die Vorstellung, daß sich Verwertungs- und Gebrauchswertlogik funktional zusammenschließen, ist unter den Prämissen des Antagonismus von Kapital und Arbeit undenkbar. Dieser Dichotomisierung sitzt übrigens auch die Manager auf, die alle Maßnahmen, die sie konkurrenzgegeben umsetzen müssen, stets nur unter dem Vorbehalt der Aufrechterhaltung der »Kontrolle« konzeptualisieren: »Werkstattprogrammierung« (139) in Inseln, »verantwortliche Autonomie« (140) als Teilfreigabe von Kompetenzen, »betriebliches Vorschlagwesen« (140) als begrenzte Einbeziehung der ArbeiterInnen in die Produktgestaltung, raffinierte Inszenierung der »Produktion als Schlacht« (144) oder als »Spiel« (145) etc. Das PAQ bildet diese Widersprüche begrifflich als »Politisierung der Produktion« ab mit der Hoffnung, es könne »sich eine Situation ergeben, in der die alternative Gestaltung betrieblicher Strukturen zu einem Schlüsselthema der Politik wird« (151) und über die es gelingen könnte, die »Frage der gesellschaftlichen Nützlichkeit der Produktion, ... ihre ökologische Verträglichkeit, ihre Gesundheitsschädlichkeit u.a.« voranzubringen. Gleichzeitig beobachtete man die Verhaltensweisen einer mit 20% nicht mehr ganz kleine »eigentümlichen Arbeitergruppe ..., die, im Besitze der relevanten Produktionsdaten, zum Teil sogar in Kenntnis der an Markt und Profit orientierten Wertehierarchie, ... ohne äußere Beschränkungen offenbar von einem Standpunkt aus produziert, der derjenige der Unternehmer ist, ohne daß diese zu Kontrollmaßnahmen greifen müssen« (130) und rieb sich verwundert die Augen. Das kann nur durch »Vereinnahmung für fremde Standpunkte« (130) geschehen sein, also müsse man die »vermutete Gegensätzlichkeit der Standpunkte von Unternehmer und Arbeiter in der automatisierten Produktion« eben »genauer ... fassen« (130). Zur Überlegung, daß der »fremde« zum »eigenen« Standpunkt werden könne, war das PAQ nicht in der Lage. Gerade dies ist aber der zentrale Kern moderner Managementkonzepte, bei denen die bisher noch ungenügend ausgeschöpften qualitativen Potenzen der lebendigen Arbeit als Verwertungsquelle erschlossen werden sollen (vgl. Schlemm 1999).

Es war - aus heutiger Sicht gesehen - undenkbar, in welcher Weise sich die Widersprüche, die dem vermeintlichen Antagonismus von Kapital und Arbeit zugeschrieben wurden, transformieren würden. Es war nicht vorstellbar, dass sich das Motto »Tut was ihr wollt, aber ihr müßt profitabel sein« (Glißmann 1999, 151) umsetzen läßt, dass sich die Totalität der Verwertungslogik der Marktwirtschaft so durchsetzt, wie wir es heute erleben: bis in die kleinsten Winkel der Gesellschaft. Dies beruht nicht zuletzt auf der Neuorganisation des Produktionsprozesses über das globale Internet. Bei Telearbeit wächst das Büro ins heimische Wohnzimmer; die Arbeit mit dem Kunden wird oft direkt am Arbeitsplatz betrieben und verantwortet. Nicht mehr das Abarbeiten von Aufgaben im Auftrag von Chefs ist Inhalt der Arbeit, sondern die Erfüllung von Kundenwünschen in eigener Verantwortung. Der Markt rückt dem einzelnen Mitarbeiter »auf den Leib«.

Heute droht eine Aufhebung der Sphärentrennung von Arbeit als Produktion und Nicht-Arbeit als Reproduktion durch Okkupation der Nicht-Arbeit [8]: »Nur in diesem geradezu perfiden Sinne scheint dann auch eine Aufhebung der Sphärentrennung auf: nicht als Wiederzurücknahme der ‘Arbeit’ auf höherer Entwicklungsstufe in den gesellschaftlichen Lebensprozess, sondern umgekehrt als ihre endgültige Usurpation der Lebenstotalität« (Kurz 1995). Betrieblich wird dieser Totalisierungsprozess durch Fraktalisierung und Vernetzung umgesetzt: »Eine der wesentlichen Forderungen, die wir an zukunftsträchtige Zukunftsstrukturen gestellt haben, ist die Fähigkeit zu unternehmerischem Denken und Handeln aller Bereiche, bis hin zum einzelnen Mitarbeiter. Wenn das hieraus abgeleitete Bild von selbständig agierenden Einheiten zutrifft, muß jedes Fraktal seinerseits eine (kleine) ‘Fraktale Fabrik’ sein.« (Warnecke 1996, 143). In der radikalisierten Form ist die kleinste »Fraktale Fabrik« der/die prekär (Schein-) Selbständige, der/die alle Widersprüche in einer Person vereint. Während die Gewinne selbstverständlich weiterhin zentralisiert und konzentriert werden, vollzieht sich in vielen Bereichen in der Produktionsorganisation ein Übergang zu einer Vernetzung stark dezentralisierter Produktionseinheiten, bei der die einzelnen MitarbeiterInnen ihre eigene Arbeit profitabel quasi »von unten« her zu organisieren haben. Wir können zusammenfassend feststellen, daß der häufig und eben auch vom PAQ beobachtete praktische Gegensatz von Kapital und Arbeit, etwa dem Handeln des Managements und dem der ArbeiterInnen, mit der durchgesetzten ersten algorithmischen Revolution fordistischer Art verbunden war, während die zweite, toyotistische Revolution vorher erzeugte hierarchische Differenzierungen im Produktionsprozeß wieder tendenziell aufhebt und die Verwertungslogik totalisiert, womit der »alte« Gegensatz in neue Widerspruchsdynamiken transformiert wird. Dazu später mehr.

Schon Marx stellte fest, daß die kapitalistische Produktion »alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals verwandelt« (Marx 1976/1890, 439). Die neuen Ansprüche des Kapitals, dass die Arbeitskraft auch noch für die Realisierung des Werts (d.h. die Verwertung) verantwortlich ist, erschwert die Arbeitsbedingungen für Frauen besonders. Jede normale Arbeit steht heute unter ähnlichen Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen wie früher nur die Karrierejobs für Frauen oder Männer. Die angeblich besonderen »weiblichen« Fähigkeiten wie Teamfähigkeit und Kooperationsfähigkeit werden in den neuen Arbeitsformen verstärkt ausgenutzt, ohne daß sie den brutalen Charakter der Arbeit wesentlich positiv beeinflussen könnten. Männer müssen im Gegenzug erfahren, daß auch für sie immer mehr Arbeit nicht wirklich bezahlt wird.

Kopf vs. Hand

Das PAQ begann seine Forschungstätigkeit zunächst auf Grundlage des altmarxistischen »Theorem(s) der Trennung von Kopf- und Handarbeit« (39). Doch das empirische Material sperrte sich gegen eine solche Dichotomisierung. Man erkannte, daß eine »personalisierende Aufteilung von ‘Hand-’ und ‘Kopfarbeit’ ... eine ebensolche Zerlegung von Zwecksetzung und Durchführung der Arbeit nahe (legt), welche Herrschaft ausschließlich als zwecksetzende und kontrollierende Instanz kennt.« (42) Konsequenterweise hätte das polare Arrangement der Kategorienpaare von Kopf/Hand über Zwecksetzung/Durchführung und Verwertungs-/Gebrauchswertstandpunkt schließlich bis zu Kapital/Arbeit aufgebrochen werden müssen, wozu das PAQ - wie dargestellt - auf dem gegebenen Stand der Kenntnisse nicht gelangen konnte. So verblieb das PAQ als Alternative zu Kopf/Hand beim nicht weniger personzentrierten »neutralen« Begriff der »Arbeitsteilung« hängen, ob wohl man eigentlich die »automatischen Anlagen als eine von Menschen geschaffene Denk- und Handlungsform« begreifen wollte, um die »neuartigen Wahrnehmungs- und Denkbeziehungen in der verwissenschaftlichten Produktion« (43) zu untersuchen - verdichtet in dem Begriff »Anforderungstyp ‘Automationsarbeit‘« (187). Wenn jedoch die »automatische Anlage« in ihrer Historizität und Eigenlogik nicht verstanden wird, dann bleibt doch wieder nur der Zugriff über die beobachtbaren betrieblichen Funktionen und damit letztlich über das Arbeitshandeln der Menschen. Es führt jedoch nicht weiter, sich bloß die »Automationsarbeitsplätze« anzusehen ohne zu wissen, was man dort überhaupt zu sehen bekommt und worauf man überhaupt achten muß. Da nutzt es auch nichts, die »Kontrolle darüber, ob die Verallgemeinerung zulässig war« in die Hände der »Befragten selbst« zu legen (187). Die Gefahr der wissenschaftsförmigen Oberflächenverdopplung liegt nahe: Das Arbeitshandeln verstehen, in dem man sich das Arbeitshandeln anguckt, um es dann rückwärts als »Anforderung« zu beschreiben, was man sich von den »Arbeitshandelnden« bestätigen läßt [9].

Analytisch müssen dem grundsätzlich sinnvollen Ansatz, die Empirie über »Prozeßanforderungen« aufschließbar zu machen, jedoch die kategorialen Klärungen des »Prozesses« vorausgehen - ein Anspruch, den das PAQ zwar hatte, aber eben nur begrenzt umsetzen konnte [10]. Nehmen wir die oben dargestellte Unterscheidung von gegenständlich-prozessualem und der informationell-algorithmischem Produktionsaspekt hinzu, so wird deutlich, dass die Kopf-Hand-Dichotomie, aber auch der Begriff der »Arbeitsteilung« die gegenständliche oder symbolische Bedeutungskonstellation des jeweiligen Prozesses - die Prozeßanforderungen - nicht einzufangen vermag. Wenn, wie dargestellt, bei fordistischer Produktion der gegenständliche und der algorithmische Produktionsaspekt noch »analog« zusammengeschlossen waren, dann muß daraus eine Funktionsteilung (die sich als »Arbeitsteilung« widerspiegelt) erwachsen, in der die einen die Maschinen konstruieren und die anderen sie »bedienen«, in der die einen konkurrenzbedingte Zwecksetzung in einen gegenständlich-algorithmischen Prozess transformieren und die anderen die vergegenständlichten Zwecke als Anforderungen operativ nachvollziehen und umsetzen. Beides ist jedoch gleichermaßen »Kopf- und Handarbeit«.

Mit dem Übergang zur toyotistischen Produktion, also der sukzessiven Trennung von gegenständlichem und algorithmischem Produktionsaspekt, kommt es zu einer kompletten Neustrukturierung der Anforderungskonstellation im Betrieb. Da die verwertungsdiktierte Zwecksetzung nicht mehr nur die ist, ein spezielles Produkt in großer Stückzahl günstig herzustellen, sondern in kürzester Zeit eine jegliche Marktanforderung (im Extremfall als Individualanforderung) in ein Produkt umzusetzen, bleibt kein Stein mehr auf dem anderen, bleibt kein »Arbeitsplatz« wie er war. Wenn es nunmehr darum geht, ganz generell »Produkte für die Verwertung« herzustellen, es also keine »konkrete« Anforderung mehr gibt, dann muß die Produktgestaltung, die Zwecksetzung und damit der Verwertungsstandpunkt sich durch alle Sphären der Produktion ziehen. Die Allgemeinheit der Produktion unter Wertverwertungsbedingungen zu organisieren, bedeutet, die Allgemeinheit des Verwertungsstandpunkts des Kapitals zu realisieren. Die Anfänge dieser Umwälzung konnte das PAQ beobachten, wenn auch nicht begreifen. Die »eigentümliche Arbeitergruppe«, die »von einem Standpunkt aus produziert, der derjenige der Unternehmer ist« (130), ist Normalität geworden. Besonders deutlich wird dies für die »ArbeiterInnengruppe«, die sich vorrangig mit dem algorithmisch-informationellen Produktionsaspekt i.w.S. beschäftigen, was längst nicht mehr nur InformatikerInnen sind. Solche algorithmisch-informatischen ArbeiterInnen erfassen den in Produktion umgesetzten Verwertungszusammenhang tendenziell in ihrer Totalität. Natürlich gibt es auch hier fordistisch-tayloristische Wurmfortsätze von Kontrollversuchen seitens des Managements, die jedoch nicht mehr widerspiegeln, als die inhärente Widersprüchlichkeit des Prozesses. Der Idealtypus ist die unmittelbare Konfrontation der Produktionsgruppen mit den Verwertungsanforderungen, mit »dem Markt«. Wilfried Glißmann, Betriebsrat bei IBM in Düsseldorf, beschreibt die neue widersprüchliche Dynamik so:

»Es geht einerseits um 'sich-selbst-organisierende Prozesse', die aber andererseits durch die neue Kunst einer indirekten Steuerung vom Top-Management gelenkt werden können, obwohl sich diese Prozesse doch von selbst organisieren. Der eigentliche Kern des Neuen ist darin zu sehen, daß ich als Beschäftigter nicht nur wie bisher für den Gebrauchswert-Aspekt, sondern auch für den Verwertungs-Aspekt meiner Arbeit zuständig bin. Der sich-selbst-organisierende Prozeß ist nicht anderes als das Prozessieren dieser beiden Momente von Arbeit in meinem praktischen Tun. Das bedeutet aber, daß ich als Person in meiner täglichen Arbeit mit beiden Aspekten von Notwendigkeit oder Gesetzmäßigkeit unmittelbar konfrontiert bin. Einerseits mit den Gesetzmäßigkeiten im technischen Sinne (hinsichtlich der Schaffung von Gebrauchswerten) und andererseits mit den Gesetzmäßigkeiten der Verwertung. Ich bin als Person immer wieder vor Entscheidungen gestellt. Die beiden Aspekte zerreißen mich geradezu, und ich erlebe dies als eine persönlich-sachliche Verstrickung.« (Glißmann 1999, 152)

Man könnte auch formulieren: Der Kapitalismus kommt erst mit der Durchsetzung der Verwertungstotalität in allen Sphären des Lebens als sich-selbst-organisierendes und erweitert-reproduzierendes System auf seinen Begriff. Und diese Dynamik geht durch jede Person hindurch. Die Regel »Tut was ihr wollt, aber ihr müßt profitabel sein« (Glißmann 1999, 151) bedeutet für die expandierenden Bereiche, in denen die Profitabilität aufgrund der extremen Wachstumsgeschwindigkeit quasi-automatisch erfüllt wird, auch neue Möglichkeiten der Entfaltung der Individualität. Diese sind jedoch nur von kurzer Dauer, müssen mit hohen persönlichen Aufwänden »bezahlt« werden (16-Stunden-Tag) und reproduzieren konkurrenzförmige Strukturen, denen jede/r schnell selbst zum Opfer fallen kann. Dennoch ist festzuhalten: Hier legt der Kapitalismus in seiner objektiven Entwicklung Keimformen für Neues, das über das totalitäre Wertverwertungssystem hinausweist (s.u.). Während in der bisherigen kapitalistischen Produktion der einzelne Arbeiter durch den vergesellschafteten verdrängt wurde (Marx 1976/1890, 407), von der Individualität also abstrahiert wurde, drängt die jetzt entstehende neuartige vergesellschaftete Arbeitsform auf die Entfaltung der Individualität als Grundlage der neuen Produktion - unter kapitalistischen Bedingungen ein hoch widersprüchlicher Prozess. Zwar führen auch die neuen Produktionsorganisationsstrukturen zur Erweiterung des Selbstentfaltungspotentials von Menschen und zu neuen Ansätzen für vernetzte Dezentralisierung - aber diese können den Widerspruch zwischen Selbstentfaltungsbedürfnissen und dem Zwang zur Verwertung unter dem Diktat der Profiterwirtschaftung nicht aufbrechen. Konnte das PAQ noch auf die Negation der »sozialismusförmige(n) Produktion für die Barbarei« (34) setzen, wonach die Form zwar angemessen ist, die Ziele aber neu definiert werden müßten, so geht heute nichts mehr unterhalb der Revolutionierung des umgreifenden Formzusammenhangs der totalen Wertverwertung. Es geht um die Aufhebung einer »barbarischen Produktion für die Barbarei«.

»Unmittelbare Produktivkraftentwicklung«

Die Anfänge dieses Prozesses beobachtete auch schon das PAQ. Einer der Highlights in PAQ 1987 ist der »Exkurs: Programmierarbeit«. Das PAQ stellt den gesellschaftlichen Charakter der Softwareentwicklung heraus, der auf den ersten Blick der (damaligen) »einsamen Tätigkeit« der Programmierung nicht anzusehen ist. Das PAQ benennt folgende Aspekte:

  • Auswirkungen des Softwareprodukts: Arbeitslosigkeit durch Rationalisierung
  • Gestaltung der Arbeitsplätze, damit Festlegung der Arbeitsbedingungen
  • Nutzung eines »hochgradig gesellschaftlichen Produktionsmittels« (207), des Computers
  • Nutzung von Computern als Kommunikationsmittel
  • Nutzung gesellschaftlichen Wissens über Software-Algorithmen etc.

Durch das Internet, also der neuen Qualität globaler Vernetzung und dieser Grundlage möglich gewordener Kooperation, erfahren die darauf beruhenden und im folgenden genauer benannten Tendenzen eine zu Zeiten des PAQ kaum ahnbare Vervielfältigung und Dynamik.

Die Tatsache, dass es sich beim Programmieren um Lohnarbeit handeln, um eine »höchst gesellschaftliche Tätigkeit in privatisierenden Verhältnissen« zudem noch mit »fremden Produktionsmitteln« (208) [11], die aber in isolierter Form aufgeführt werde, könne man nur verstehen, wenn man zwischen Teilhabe am und Verfügung über den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess unterscheide. Von der Verfügung seien die ProgrammiererInnen ausgeschlossen, dennoch haben sie in direkter Weise an der Produktivkraftentwicklung teil. Dieser »unmittelbare Eingriff in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess« über die »Veränderung der Produktivkräfte« (210) mache die »Faszination (aus), die viele empfinden, die mit der Erstellung von Computerprogrammen beschäftigt sind« (205) [12]. Zwar wird der Widerspruch zwischen Teilhabe und Verfügung vom PAQ noch politisch begründet, d.h. die selbstorganisierende Dynamik der zirkulären Wertverwertung wie Glißmann sie beschreibt, kann noch nicht begrifflich gefaßt werden, - spannend ist aber, dass das PAQ den Charakter der Softwareentwicklung als eine Art unmittelbarer Produktivkraftentwicklung beschreibt. Es ist dieser Aspekt, der in der Folgezeit eine neue brisante Dynamik entfalten sollte. Auch hier war das PAQ mit der Beobachtung der »Hacker« [13] wiederum ahnungsvoll als es schrieb: »Die Subkultur der Hacker lebt gerade davon, daß sich hier technisch Interessierte zum Werkzeug der Produktivkraftentwicklung um ihrer selbst willen machen, gegen private und staatliche Einschränkungen« (211). Im folgenden wollen wir das darin zum Ausdruck gebrachte Verhältnis von Mensch und Produktivkraftentwicklung vom Kopf auf die Füße stellen und damit die ungeahnte »Weitsichtigkeit« der Aussage herauslocken.

Zu der These von den Hackern als freiwilliges Werkzeug der Produktivkraftentwicklung gelangt das PAQ über folgende Annahme: »Die Teilhabe an der ungeheuren Dynamik der Technikentwicklung im Gegensatz zum Ausgeschlossensein von sozialen Entwicklungsprozessen verführt zur Universalisierung des technischen Problemlösungsmusters« (211). Hacker können über ihre Lebensbedingungen nicht verfügen, deshalb stürzen sie sich auf die Technik, über die sie dann Einfluß ausüben. Der »Technikentwicklung um ihrer selbst willen« (212) ordnen sie sich unter, was durch »Formen typischer Männer-Sozialisation« verstärkt wird. Diese in den Achtziger Jahren verbreitete Kritik ist nachvollziehbar, richtete sie sich doch gegen technizistische Vereinseitigungen in verschiedenen Disziplinen. Mit dieser Kritik wurde jedoch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, so dass die immanent revolutionäre Potenz, die in diesem Prozeß steckt, verdeckt wird. Auch das PAQ tat die Hacker ab: »Die Hacker würden gefährlich für das System, wenn der Kapitalismus die Produktivkraftentwicklung tatsächlich blockieren würde.« Durch die Vereinseitigung von Produktivkraftentwicklung auf »Technikentwicklung« verstellte sich das PAQ den Blick auf die neuen sozialen Formen, die die freie Softwareentwicklung jenseits der selbstzweckhaften Wertverwertung der kommerziellen Software-Industrie ab Mitte der 80er Jahre auszubilden begann. Es schien undenkbar zu sein, dass sich Keimformen der Systemüberwindung auch jenseits der etablierten Strukturen kapitalistischer Verwertung - und noch dazu außerhalb der Klassensubjekt-Erwartungen - entwickeln sollten. Dieser Prozess sei im folgenden in Kurzform dargestellt (ausführlich vgl. Meretz 1999b, 1999c, 2000).

Selbstentfaltung als neue Dimension der Produktivkraftentwicklung

Für die freie Softwarebewegung stehen heute zwei Bezeichnungen: GNU [14] und Linux - wobei letztere bekannter sein dürfte. Es war jedoch das GNU-Projekt von Richard Stallman (1984), das sich 1984 als Reflex auf die Unterordnung von bis dahin »öffentlicher« Software unter die Maßgaben der Verwertung gründete. Ziel des GNU-Projekts war und ist die Schaffung eines freien Computer-Betriebssystems. Die historisch geniale Leistung bestand in der Schaffung einer freien Software-Lizenz, die diesen Prozess absichert: der GNU General Public License (GPL). Sie erlaubt und garantiert das freie Nutzen, Kopieren, Modifizieren und Weiterverbreiten, indem sie die Privatisierung verbietet. Die GPL stellt eine Subversion der bürgerlichen Eigentumsvorstellung dar, denn sie basiert auf dem Copyright, das eigentlich exklusive Verwertung sicherstellen soll, schließt aber auf dieser Grundlage Exklusion aus - und das dauerhaft: Die Lizenzform darf auch vom Copyright-Inhaber unter der GPL nicht geändert werden. Die ironische Bezeichnung des Copylefts bringt das sehr schön zum Ausdruck [15].

Das GNU-Projekt hing selbst jedoch an der alten tayloristischen Methodik der Softwareentwicklung. Komplexe Programmteile wie den »Kernel« (Kern des Betriebssystems) wollte man kleinen Gruppen entwickeln, um die »Kontrolle« zu behalten. Doch in dieser alten Form stagnierte das Projekt. So kam die von GNU-Projekt völlig unabhängige Entwicklung eines Kernels durch Linus Torvalds 1991 gerade recht. Dieser Kernel wurde »Linux« genannt. Torvalds unterstellte Linux der GPL, Linux-Kernel und GNU-Programme bildeten ab 1992 das GNU/Linux-System [16]. Ausschlaggebend für den Erfolg von Linux waren drei Faktoren: Internet, Selbstentfaltung und Selbstorganisation. Torvalds nutzte als Erster die Potenzen des Internets in neuer Qualität. Das Internet war nicht bloß Mittel der Kommunikation, sondern im umfassenden Sinne virtueller Raum der globalen, kooperativen Produktion von Software. In schneller Folge stellte er Versionen des Kernels ins Netz und gab jedem die Möglichkeit der Beteiligung in einem Ausmaß, das jede/r selbst bestimmen konnte. Grundlage und Maßstab für die Beteiligung anderer Hacker war die jeweils individuelle Selbstentfaltung. Nichts verpflichtete zur Beteiligung, jede/r konnte aus- und einsteigen, die eigene Beteiligung steigern oder reduzieren. Kriterium war einzig das eigene Interesse, der Spaß und die Lust der eigenen Entfaltung. Entsprechend schaffen sich freie Softwareprojekte ihren Rahmen in freier Selbstorganisation. Die konkreten Strukturen der Projekte sind dabei durchaus unterschiedlich, doch jedes Projekt findet die Form, die ihm angemessen ist (vgl. dazu Meretz 2000). Was sich vordergründig wie ein Widerspruch anhört - das »gemeinsame Eigeninteresse« - ist das zentrale Antriebselement in freien Softwareprojekten. Nur in freien Projekten, in denen sich Einzelne nicht wie in Kommerz-Projekten auf Kosten anderer durchsetzen, sondern nur in Kooperation mit ihnen, steht das eigene Interesse nicht im Widerspruch zu den Interessen anderer. Damit wird deutlich, daß sich diese neuen Formen der individuellen Selbstentfaltung und kollektiven Selbstorganisation nur außerhalb der Verwertungszusammenhänge herausbilden konnten [17].

Die Verwertungsfreiheit ist auch die Voraussetzung für die herausgebildeten Keimformen einer neue Qualität von Produktivkraftentwicklung. Programmieren in globaler Kooperation bedeutet, in neuer Qualität seine eigene Individualität zu vergegenständlichen, in neuer Weise sich selbst als Produktivkraft zu entfalten. Der Mensch ist - entsprechend der klassischen Diktion - nicht nur Hauptproduktivkraft in Bezug auf die Natur, die er zum Zwecke des Stoffwechsels bearbeitet und umgestaltet, nicht nur in Bezug auf die Mittel, die er dafür in wissenschaftlicher Weise herstellt, sondern eben auch in Bezug auf sich selbst. Sich selbst als Hauptproduktivkraft an-und-für-sich zu entfalten, als Selbstzweck gewissermaßen, ist mit der Produktionsweise der freien Softwarebewegung zum ersten Mal keimformhaft erahnbar geworden. Natürlich sind diese Ansätze in vielfältiger Weise widersprüchlich verwoben mit dem dominanten kapitalistischen System der Wertverwertung. Im Unterschied zum Gegensatz von Kapital und Arbeit ist hier der Begriff des Antagonismus berechtigt: Die Selbstzweckhaftigkeit des irren Systems der Verwertung von Wert auf jeweils höherer Stufenleiter schließt die individuelle Selbstentfaltung als qualitativ neuem Selbstzweck aus. Selbstverwertung als Exekution eines äußeren Sachzwangs und Selbstentfaltung als unbeschränkte Entäußerung der je eigenen Individualität sind unvereinbar. Das ist auch der Kern der widersprüchlichen Dynamiken in den aktuellen Formen der Produktion und ihren Ideologien.

Von hier aus lässt sich auch die Einschätzung des PAQ, daß mit den Hackern sich »technisch Interessierte zum Werkzeug der Produktivkraftentwicklung um ihrer selbst willen machen« machen lassen, gerade rücken, indem wir die eigentlich intendierte Bedeutung umkehren. Nicht einer blinden Funktionslogik einer (auf die Technikentwicklung verengten) abstrakten Produktivkraftentwicklung ordnen sich die Hacker als »Werkzeug« unter, nicht ein abstrakter Selbstzweck wird reproduziert, sondern sie machen sich selbst zum Maß aller Dinge, sie machen die Entfaltung ihrer Individualität zur Produktivkraftentwicklung selbst. Sie entfalten sich als Produktivkraft, sie machen sich selbst zum Werkzeug ihrer eigenen Entfaltung, sie machen sich »zum Werkzeug der Produktivkraftentwicklung um ihrer selbst willen«!

Vorschein einer assoziierten Produktions- und Lebensweise

Die freie Softwarebewegung zeigt keimförmig in der Praxis, wenn auch bislang nur einem offensichtlich dafür günstigen Bereich, »was in der Arbeit möglich wäre, wenn sie mit dem heutigen Stand an verfügbarem Wissen menschlich gestaltet würde« (19), wie einst das PAQ als Ziel ihrer theoretischen Untersuchungen formulierte. Zur Herausbildung dieser Keimform einer neuen Vergesellschaftungsweise war es notwendig, die Verwertungszusammenhänge zu verlassen, um neue Potenzen menschlicher Entfaltung freizusetzen. Mit diesem intuitiven, aus den Umständen geborenen Schritt macht die freie Softwarebewegung jedoch auch nachdrücklich klar, dass eine Perspektive einer freien Gesellschaft nur jenseits der Verwertungszusammenhänge liegen kann. Die materiellen Voraussetzungen wurden und werden dabei in den alten Formen entwickelt: Computer, Internet, dezentrale Produktionsformen, globales kumuliertes Menschheitswissen:

»Der Kapitalismus hat gute Vorarbeit geleistet: Seine fortgeschrittensten Produktionskonzepte zeigen eine Tendenz zur Dezentralisierung und Modularisierung. Das Modul ist als sich selbstorganisierendes Element mit nur wenigen Schnittstellen mit dem gesamten Fertigungsprozess verbunden. Diese Tendenz vollzieht sich sowohl innerhalb der Betriebe, indem kleine - meist homogene - Gruppen Gleichgesinnter in einer hierarchiefreien Atmosphäre zusammengestellt oder relativ autonome Abteilungen gebildet werden, als auch dadurch, dass Teilprozesse gänzlich ausgelagert werden und die Beziehungen durch Lieferverträge und -kommunikation geregelt werden.« (Dunkhase 2000, 84)

Sowohl die wertimmanent geschaffenen materiellen, organisatiorische und informationellen Ressourcen, als auch die realen Erfahrungen einer Selbstorganisation jenseits des Werts »würde(n) perspektivisch zum Kinderspiel machen, was der Räte-Idee immer als angebliche praktische Unmöglichkeit vorgehalten wurde: die unmittelbare Interaktion einer globalen Selbstverwaltungsgesellschaft ohne Geld und ohne Staat.« (Kurz 2000). Genau dieser Übergang vom speziellen Gebiet der Softwareproduktion zur gesamten Gesellschaft wird seit über einem Jahr intensiv diskutiert in der Mailingliste »Oekonux« [18]. Eine der leitenden Fragen ist dort: »Kann GNU/Linux als Prototyp für eine nicht auf Tausch basierende Ökonomie gelten?«. Während eine Diskussionsteilnehmerin vermutet, Linux sei »nichts weiter als eine ökonomische Besonderheit, die bald ins Nirwana privatisiert wird oder als eine Art Bürgerarbeit klassifiziert werden kann«, faßt einer der Oekonux-Initiatoren, Stefan Merten, folgende Punkte zusammen:

»... wenn wir uns mal anschauen, wie eine Überwindung des Kapitalismus nach theoretischen Überlegungen aussehen müßte, dann erfüllt Gnu/Linux einfach viele dieser,
  • z.B. indem es den Gebrauchswert des Gutes an oberste Stelle setzt - nicht den Tauschwert der Ware.
  • z.B. indem es von den ProduzentInnen in freier Absprache freiwillig erstellt wird.
  • z.B. indem es ein Produkt ist, das an der Spitze der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung liegt - mithin also nach Marx'schen Kategorien am ehesten dafür prädestiniert ist, die Fesseln der Produktionsverhältnisse zu sprengen (hier mal ohne Erläuterung der Begriffe).
  • z.B. weil es ein Produkt ist, dessen Existenz sich gegen die herrschende Vergesellschaftungslogik (Vergesellschaftung bezeichnet die Art und Weise wie die Mitglieder einer Gesellschaft zueinander in Beziehung treten. Im Kapitalismus ist primär der Markt die Vermittlungsinstanz.) durchgesetzt hat, ohne daß ein revolutionäres Bewußtsein dem Handeln vorangegangen wäre. Ich denke, daß das sehr an die frühen KapitalistInnen erinnert, die auch keinen blassen Dunst davon hatten, welch gesellschaftsverändernde Kraft ihre (Patikular-)Interessen haben würden.« (Merten 1999a)

Auch die ökologische Fragestellung bleibt davon nicht unberührt. Allerdings werden sie vor allem von VertreterInnen ökologischer Konzepte meist übersehen oder vergessen, wenn nach »alternativen Technologien« gesucht wird. Dabei stellt die ganz »normale« Güterproduktion, neben der sonst im ökologischen Mittelpunkt stehenden Energie-, Verkehr- und Nahrungsmittelwirtschaft, das wichtigste Zentrum der Arbeitstätigkeit, also auch des Stoffwechsels mit der Natur dar. Wie Frederic Vester schon früh analysierte, können letztlich nur dezentral-vernetzte Wirtschaftsstrukuren ökologische Prinzipien berücksichtigen. Unter der Voraussetzung, daß in einer nach-kapitalistischen Gesellschaft unnütze Produktion wegfällt, jedoch eine traditionell landwirtschaftlich-handwerkliche Produktionsweise die Bedürfnisse der Menschen des 21. Jahrhunderts nicht mehr erfüllen kann, ist der Ausblick auf neue Formen der Vernetzung dezentraler Produktionseinheiten aus ökologischer Sichtweise unverzichtbar.

Wir können heute beobachten, wie es zu einer dramatischen Verschiebung von den gegenständlich-prozessualen zu den informationell-algorithmischen Anteilen an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit kommt. Der klassische PAQ-Automationsarbeiter [19] ist bereits wieder im Schwinden begriffen und wird ersetzt durch den neuen »Symbolarbeiter«. Die eigentliche materielle Produktion von Güter ist nur noch Restgröße in einem sich stets vergrößernden »Informationsraum« (Baukrowitz 1996), der um den gegenständlich-prozessualen Produktionskern gesponnen wird. Dieser Kern selbst muß modulartig aufgebaut werden, um die neue flexible Produktion zu ermöglichen. Damit entstehen auch neue materielle Perspektiven einer aus den Wertzusammenhängen befreiten Produktion:

»Während man im Fordismus noch Produkte vorhielt (mit Massenproduktion, Massenkonsum, Werbung etc. im Schlepptau), verlagert sich der Schwerpunkt in einem durch flexible Produktionssysteme geprägten Technologietyp hin zum Vorhalten von Produktionsbedingungen, aus denen heraus ‚just in time‘ und maßgeschneidert entsprechend individuellen Bedürfnissen produziert werden kann. Technologisch hat die Menschheit damit die Möglichkeit, sich zu einer Vorsorgegesellschaft zu wandeln, die vielfältige Konzepte bereithält, um auf die verschiedensten Situationen adäquat reagieren zu können, von denen entsprechend der konkreten Situation aber nur einige wenige tatsächlich bis zur Realisierung geführt werden.« (Gräbe 2000b)

Doch mit der zunehmenden Bedeutung des informationell-algorithmischen Produktionsaspekts gewinnen die informationellen Ressourcen der Unternehmen in Form von Patenten, Copyrights, Urheberrechten und anderen Restriktionen strategische Relevanz im globalen Verwertungskrieg. Die ursprüngliche Bedeutung des Schutzes von Ideen, um diese zur Entfaltung zu verhelfen, hat sich in sein Gegenteil verkehrt: Patente und andere Knebel enteignen die Menschheit vom Menschheitswissen durch Privatisierung. Die freie Softwarebewegung hat gezeigt, dass auf Grundlage des subversiven Unterlaufen bürgerlich-juristischer Knebel durch die GPL die verwertungsorientierte Softwareproduktion von einer global assoziierten wertfreien Produktionsweise langfristig in den Schatten gestellt wird. Daraus müssen linke politische Bewegungen den Schluss ziehen, dass Patente etc. strategische Angriffspunkte auch in anderen Bereichen sind. Es kann nicht nur kleinkrämerisch-borniert darum gehen, Softwarepatente in der EU zu verhindern [20], sondern Ziel muß die Abschaffung aller Patente und Urheberrechte und die Rückgabe des Menschheitswissen in die Hände der Menschen sein. Die Frage der Verfügung über das kumulierte Wissen der Menschheit verbindet objektiv viele partikulare Bewegungen in der ganzen Welt.

Unter dem Schlagwort einer »GPL-Gesellschaft« wird eine Übertragung auf andere Bereiche der Gesellschaft diskutiert. Allerdings beziehen sich solch hohe Erwartungen nicht nur auf den Softwarebereich, auch wenn dieser der Kern jeder modernen Produktion bleiben wird. Es wird notwendig sein, das Prinzip der GPL-Lizenz (Copyleft), die »das freie Nutzen, Kopieren, Modifizieren und Weiterverbreiten (erlaubt und garantiert), indem sie die Privatisierung verbietet« (s.o.) auch auf den »Rest« der Produktions- und Lebensgrundlagen zu übertragen. Dabei geht es um eine »Gesellschaft, die auf den Prinzipien beruht, die Gnu/Linux erfolgreich machen... . Die These ist, daß die GPL-Gesellschaft eine ist, in der die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt rücken, in der also nicht mehr blinde Mechanismen wie der Markt die Menschen knechten anstatt ihnen zu dienen« (Merten 2000b). Als Ansätze seien erwähnt der freie nachbarschaftliche Musikaustausch auf Basis des MP3-Digitalformats, der von der Musikindustrie als »illegal« denunziert wird; eine quellenoffene partizipative Stadtplanung [21]; verschiedene »Hardwareprojekte« wie freie Computerprozessoren (Freedom-CPU [22]), das freie Autoprojekt OSCar [23], die kollektiv auf Grundlage von offenen Quellen hergestellt werden; freie Enzyklopädien [24]; offene Kulturprojekte [25] etc.

Diese Ansätze versuchen in »Nachahmung« der freien Softwareentwicklung die Potenzen globaler Kooperation auf der Grundlage individueller Selbstentfaltung freizusetzen. Indem sie genauso »unpolitisch« und bloß »intuitiv« vorgehen, sind ihre Perspektiven aber fraglich. Die freie Softwarebewegung hat sich mit der GPL eine subversive Absicherung im bürgerlichen Rechtssystem verschafft. Doch noch einmal werden die Wissensprivatisierer nicht schlafen, denn das haben sie inzwischen erkannt: Wissen ist die strategische Ressource. So bekommt die alte Marxsche Forderung der »Expropriation der Expropriateure« eine neue Bedeutung: Es geht um die Enteignung der Wissensenteigner und um die Wiederaneignung der materiellen und informationellen Ressourcen durch die Menschen - diesmal zur wertfreien Nutzung: Das haben hoffentlich wir gelernt.

Versionen-Geschichte

  • Version 1.00, 21.9.00: Einreichen der Heftversion bei der Argument-Redaktion
  • Version 1.01, 21.1.01: Ablehnung durch die Argument-Redaktion, Erstellung der Online-Version

Literatur

Baukrowitz, A., Neue Produktionsmethoden mit alten EDV-Konzepten? In: Schmiede, R., 1996: Virtuelle Arbeitswelten. Arbeit, Produktion und Subjekt in der ‘Informationsgesellschaft’. Berlin. Internet: http://www.ifs.tu-darmstadt.de/kairos/book.htm.

Dunkhase, H., 2000: Kommunismus = Sowjetmacht + Internet. In: Marxistische Blätter 3-00, S. 80-86. Internet: http://home.t-online.de/home/hDunkhase/parisw.htm.

Glißmann, W., 1999: Die neue Selbständigkeit in der Arbeit und Mechanismen sozialer Ausgrenzung. In: Herkommer, S., (Hrsg.) 1999): Soziale Ausgrenzungen. Gesichter des neuen Kapitalismus. Hamburg

Gräbe, H.-G., 2000a: Nachdenken über Sozialismus: das Open-Source-Projekt. In: Utopie kreativ Nr. 117, Juli 2000, S. 651-660. Internet: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/moderne/graebe/opensource1.html.

Gräbe, H.-G., 2000b: Thesen zum Kolloquium »Bildungsanforderungen im 21. Jahrhundert« am 30. September 2000 in Leipzig. Internet: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/moderne/Texte/b-thesen.html.

Gruppe Gegenbilder, 2000: Freie Menschen in freien Vereinbarungen - Gegenbilder zur Expo. Saasen. Internet: http://www.opentheory.org/proj/gegenbilder.

Haug, F., 1996: Frauen-Politiken. Berlin.

Kurz, R., 1995: Postmarxismus und Arbeitsfetisch, in Krisis 15, Bad Honnef. Internet: http://www.opentheory.org/proj/fetisch-arbeit.

Kurz, R., 1999:, Schwarzbuch Kapitalismus: Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. Frankfurt/Main.

Kurz, R., 2000: Euphorie um New Economy. Das Internet als Traumfabrik des Neuen Marktes. In: Jungle-World Nr. 16. 12.04.2000. Internet: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/16/17a.htm.

Marti, M., 2000: Die Droge Arbeit. In: Der Spiegel Nr. 25, 19.06.2000. Internet: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,81395,00.html.

Marx, K.,1976/1890: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Frankfurt/Main. Identisch mit Marx-Engels-Werke, Band 23, nach der von Friedrich Engels 1890 in Hamburg herausgegebenen vierten Auflage.

Meretz, S., 1999a: Die doppelte algorithmische Revolution des Kapitalismus – oder: Von der Anarchie des Marktes zur selbstgeplanten Wirtschaft. Internet: ttp://www.kritische-informatik.de/algorev.htm.

Meretz, S., 1999b: Linux - Software-Guerilla oder mehr? Die Linux-Story als Beispiel für eine gesellschaftliche Alternative. In: FIFF-Kommunikation 3/99, S. 12-21. Internet: http://www.kritische-informatik.de/linuxsw.htm.

Meretz, S., 1999c: Produktivkraftentwicklung und Subjektivität. Vom eindimensionalen Menschen zur unbeschränkt entfalteten Individualität. Internet: http://www.kritische-informatik.de/pksubj.htm.

Meretz, S., 2000: Linux & Co. Freie Software - Ideen für eine andere Gesellschaft, Neu-Ulm, Internet: http://www.kritische-informatik.de/fsrevo.htm

Merten, S, 1999a: »3.1.2. Was an Gnu/Linux weist über den Kapitalismus hinaus?« Eintrag im Oekonux-FAQ. Internet: http://www.oekonux.de/liste/faq.html.

Merten, S, 1999b: Gnu/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft. Internet: http://www.oekonux.de/texte/lt00vor_smn.html.

Projektgruppe Automation und Qualifikation (PAQ) 1987: Widersprüche der Automationsarbeit. Berlin.

Raymond, E., S., 1999: How To Become A Hacker, Internet: http://www.tuxedo.org/~esr/faqs/hacker-howto.html.

Schlemm, A., 1999: Selbstorganisationsmanagement, Web-Projekt unter: http://www.thur.de/philo/som.htm.

Scholz, R., 2000: Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Patriachats, Bad Honnef.

Stallman, R., M., 1984: The GNU Manifesto, http://www.gnu.org/gnu/manifesto.html, deutsche Übersetzung: Das GNU-Manifest, http://www.gnu.de/mani-ger.html.

Vester, F., 1984: Neuland des Denkens. München.

Warnecke, H.-J., 1996: Die Fraktale Fabrik. Revolution der Unternehmenskultur. Reinbek.

5.3. Anmerkungen

[1] Soweit nicht anders erwähnt, im folgenden alle Zitate aus PAQ 1987, jeweils mit Hervorhebungen des Originals.

[2] Hinzuweisen ist auch auf die Theorie der disjunktiven »Zeitlogiken« im Produktions- und Reproduktionsbereich (Haug 1996) sowie darüber hinausgehend die kritische Reformulierung der radikalen Wertkritik auf Grundlage des »Abspaltungstheorems« (Scholz 2000). Aus Platzgründen können wir beides hier nicht aufgreifen, so daß ein kritischer Durchgang durch das Thema der »Geschlechterverhältnisse« im PAQ (Kap. 6, 60ff) einer gesonderten Betrachtung vorbehalten bleiben muß. Einen vorbereiteten Absatz »Mann vs. Frau« haben wir aufgrund der hier nicht möglichen ausreichenden Durchdringung nicht aufgenommen.

[3] Die Behauptung einer umgekehrten Entwicklung - der Dampfmaschine als Ursprung der Industriellen Revolution - ist zwar weit verbreitet, dennoch weder entwicklungslogisch noch historisch-faktisch haltbar.

[4] Es ist uns bewußt, daß Fordismus und Toyotismus umfassende gesellschaftliche Regulationsformen innerhalb des Kapitalismus bezeichnen, während wir hier vor allem die produktions-organisatorischen Aspekte dieser Formen in den Mittelpunkt stellen.

[5] Wenn wir vom »Programm des Toyotismus« schreiben, dann wollen wir damit andeuten, dass der Toyotismus keine »fertige Stufe« ist, die wir »heute« erreicht hätten. Im Gegenteil: Wir wollen zeigen, daß und warum bestimmte Ziele des toyotistischen Programms unter Bedingungen der Wertvergesellschaftung nicht erreichbar sind.

[6] Es ist evident, dass dieser Versuch in einem infiniten Regress endet, denn auch die zukünftigen Veränderungen der zu ändernden Produktion müßten antizipiert werden, was schlicht unmöglich ist, da die konsumtiven Bedürfnisse unvorhersagbar sind.

[7] Die Radikalität dieser Aussage wird klar, wenn man sich vor Augen hält, dass diese »konstituierenden Elemente« eines Produktionszusammenhangs erdumspannend verteilt sein können. So etwas ist nur denk- und praktizierbar in einer nicht nur von der »Hand« entsinnlichten, abstraktifizierten Produktionsweise wie wir sie heute mit dem Begriff des »Globalisierung« bezeichnen.

[8] »Die Verbetrieblichung des Lebens, dieses Arbeiten ohne Ende, wird nicht mehr als pathologisch wahrgenommen, sondern zur erstrebenswerten Norm erhoben« (Andreas Boes in Marti 2000).

[9] So stehen die »notwendige(n) Eingriffe« (26), die »Störungsregulation« (28), das »Von-Hand-Fahren« (37) - kurz: die Ausnahme in der Produktion - im Fokus der Untersuchungen. Das mag im alltäglichen Handeln der ArbeiterInnen eine wichtige Rolle gespielt haben, entspricht aber gerade nicht dem eigenen Anspruch der »Widerständigkeit von Theorie« (191) gegenüber dem empirischen Material.

[10] Aus heutiger Perspektive können wir sagen, dass dazu mindestens zwei grundlegende Klärungen gehören: Inhalt und Form der Produktivkraftentwicklung. Wir können die notwendigen Bestimmungen hier aus Platzgründen nicht ausführen und verweisen auf die Veröffentlichung der »Gruppe Gegenbilder« (2000). Teile daraus haben wir in verdichteter Form mit den Begriffen des »Algorithmus« (ausgehend von den Marxschen »Faktoren der industriellen Maschinerie«) und der »Wertvergesellschaftung« (ausgehend vom Marxschen Fetischbegriff) dargestellt. Produktivkraftentwicklung ist dabei nicht zu reduzieren auf »Technikentwicklung«, sondern als Verhältnisbegriff zu fassen, der die Historizität der Mensch-Mittel-Natur-Dialektik abbildet.

[11] Heute ist es nicht mehr ungewöhnlich, wenn in ungesicherten Verhältnissen beschäftigte Quasi-Angestellte ihre Produktionsmittel mitzubringen haben.

[12] Den Widerspruch - unmittelbare Teilhabe durch direkte Beteiligung an der Produktivkraftentwicklung aber Ausschluss von der Verfügung über den gesamtgesellschaftlichen Prozess - bezeichnet das PAQ in Abhebung zum Kategorienpaar der restriktiven/verallgemeinerten Handlungsfähigkeit der Kritischen Psychologie (Holzkamp 1983) als »kanalisierte Handlungsfähigkeit«. Die Problematik der Verwechslung von Deskription und Analyse, die in diesem Begriff aufscheint, können wir hier nicht diskutieren.

[13] Das PAQ verwendet »Hacker« noch im Sinne des Technik-Enthusiasmus und nicht, wie heute in der medialen Öffentlichkeit meist üblich, als Synonym für elektronischen Vandalismus. Hacker selbst bezeichnen die destruktive Form als »Cracking«: »Hackers build things, crackers break them« (Raymond 1999).

[14] GNU bedeutet »GNU is Not Unix«, eine unter Hackern beliebte rekursive Bezeichnung für das freie Betriebssystem, das zwar Unix-artig, aber nicht privat, sondern frei und öffentlich sein sollte.

[15] Left, Vergangenheitsform von leave, kann man auch als »überlassen« lesen: Das Kopieren ist jedem überlassen. Gleichzeitig drückt das »left« auch eine politische Tendenz aus.

[16] Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung, aber auch, um die explizit politischen Ziele des GNU-Projekts zu übergehen, wird das gesamte Betriebssystem heute zumeist einfach »Linux« genannt.

[17] Gräbe (2000a) schätzt die Größe der freien Software-Community auf weltweit 10 Millionen Menschen. Das ist die Gemeinschaft der EntwicklerInnen und aktiven NutzerInnen, die zum Beispiel neue Programme testen und darüber berichten, in Foren mitdiskutieren etc. und den EntwicklerInnen - wobei die Grenzen fließend sind. Zum Kern der EntwicklerInnen werden etwa 10.000 Menschen gerechnet.

[18] »Oekonux« ist eine Abkürzung für die Wortverbindung von »Ökonomie und Linux«. Die Oekonux-Diskussion wird im Internet koordiniert unter: http://www.oekonux.de.

[19] »An den neuen ... Automationsarbeitsplätzen ... fanden wir keine Frauen.« (60).

[20] Gegen die drohende Einführung von Softwarepatenten hat sich eine starke Bewegung gebildet, vgl. http://swpat.ffii.org.

[21] http://www.berlin.heimat.de/divercity

[22] http://www.f-cpu.org

[23] http://www.theoscarproject.org

[24] Z.B. http://www.nupedia.com

[25] Z.B. http://www.osculture.de